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Nilaufwärts - Schönheit, Gewürze und Geschichte

Die Destination ist wieder attraktiv, nachdem die Behörden des Landes die Sicherheit an Flughäfen und anderen touristischen Zielen spürbar verstärkt haben.

Assuan

Das Betreten des Steam Ship «Sudan» ist verwirrend. Man fühlt sich wie in einem Dämmerschlaf, wenn Träume und Wirklichkeit sich vermischen. Das geschichtsträchtige Schiff gehörte einst König Faruk, der es für Familienausfahrten nutzte. Und es beherbergte Agatha Christie, die dort den Krimi «Tod auf dem Nil» schrieb.

Heute ist die «Sudan» fast hundert Jahre alt und der letzte Dampfer auf dem Nil. Traum oder Wirklichkeit? Je genauer man hinschaut, desto mehr verschwimmen die Grenzen. Die «Sudan» vereint den Prunk des Fin de Siècle, als Holz und Messing zum guten Ton gehörten, mit modernem Funktionalismus.

Einstiger Luxus, erkennbar am stattlichen Salon und den massiven Möbeln, verschmilzt mit den Anforderungen von heute. An Bord herrscht Frieden, man versinkt in Träumereien, wird aber ständig von der elektrischen Realität der Städte am Flussufer aus der Fantasterei geholt.

Assuan breitet sich an einer schmaleren Stelle an beiden Flussufern aus, als wolle die Stadt aus Platzgründen aufs Wasser ausweichen. Ein kompliziertes Netz aus Landungsbrücken, Steintreppen, Stegen und Kähnen verbinden die Ufer mit dem Stadtgefüge. Irgendwie erinnert Assuan an römische Feste der Antike, als Mässigkeit auf Masslosigkeit und Ordnung auf Chaos trafen.

Ende des 19. Jahrhunderts gebaut, ist die Steam Ship Sudan ein authentischer Dampfer der «Belle Epoque». Sie hat 18 Doppelkabinen und fünf Suiten. An Bord dieses Schiffes begleitete Agatha Christie 1933 ihren Mann, einen Archäologen, und fand die Inspiration zum Buch «Tod auf dem Nil». Im nächsten Bild die Suite, die ihren Namen trägt.

Vielgestaltig ist auch die Architektur. Ptolemäer-Tempel stehen dreist neben Blockhäusern, Schönes muss vielerorts Hässlichem weichen. Ohne Vorwarnung folgt auf ein hübsches Haus mit orientalischen Schnörkeln eine triste Lagerhalle aus schmutzigem Metall. Assuan ist eigentlich keine schöne Stadt, dafür aber ein idealer Ort zum Einschiffen. Man lässt sich von den belebten Strassen, dem Lachen und Schreien und dem monotonen Singsang eines zum Gebet rufenden Muezzins mitreissen.

Am frühen Abend schlendert man durch den Souk auf der Suche nach Gewürzen, Korbwaren und Wollschals, unterhält sich mit dem einen oder anderen Händler und legt eine Pause ein, um einen frisch gepressten Zuckerrohrsaft zu trinken.

Man hebt den Kopf, um die betörenden Düfte des Marktes einzufangen. Dann wird es dunkel und merklich kühler. Zeit, um im Restaurant Al-Masry in der Sharia al-Matar unweit des Souk einzukehren und sich Humus, Salat und ein gegrilltes Hähnchen zu Gemüte zu führen.

Die einfachen, unglaublich schmackhaften lokalen Speisen und die freundliche Bedienung trösten über den Temperatureinbruch hinweg. Zum Essen wird Zimttee serviert. Das Restaurant ist gefüllt mit Assuanern und Kairoern im Urlaub. Fremde sind nur wenige auszumachen. Die Tourismusbranche, einer der wichtigsten Pfeiler der ägyptischen Wirtschaft, wurde durch die Ereignisse in den letzten Jahren schwer in Mitleidenschaft gezogen.

Ein Paar aus Israel schwärmt vom nahegelegenen Tempel von Philae. Er sei eine Wucht. Ich verspreche, ihn am nächsten Tag zu besuchen. Am frühen Morgen bringt uns ein Motorboot zum Tempel. Das Juwel aus der Zeit der Ptolemäer liegt auf einer Insel. Es bildet einen faszinierenden Kontrast zur ausgelassenen Stimmung im Souk, wo ägyptische, griechische, römische und christliche Einflüsse aufeinanderprallen, lebhaft diskutiert und heftig geflucht wird.

Diese Perle Ägyptens ist eine «architektonische Bibliothek». Generäle Napoleons haben wie Schüler bei einem Museumsbesuch ihre Namen in die Steine geritzt. George, der Fremdenführer der «Sudan», dessen unerschöpfliches Wissen allein die Kreuzfahrt wert ist, entziffert die Inschriften.

Jetzt erst erfasse ich, wie faszinierend das Leben der griechischen Pharaonen war, die versuchten, die vielschichtige ägyptische Religion in ihre Philosophie einzubinden. Ein Tempel ist nicht nur architektonisch von grossem Interesse, sondern auch als Ort, an dem politische, landwirtschaftliche, religiöse, medizinische, wissenschaftliche und wirtschaftliche Angelegenheiten zusammenfliessen.

In der heutigen Welt der Spezialisierung kann man sich kaum vorstellen, dass diese so unterschiedlichen Bereiche einmal eins waren, dass sie von einem einzigen Menschen verkörpert wurden und so miteinander verschmolzen waren, dass sie sich in einem einzigen Relief darstellen liessen. Der Geruch von altem Stein und Flusswasser macht mich leicht benommen.

Eine Reihe hoher Papyrussäulen zieht sich den Innenhöfen entlang bis hin zum letzten Altar. Georges Begeisterung ist ansteckend. Wie einst Ptolemäus und die griechischen Eroberer will auch ich alles wissen. Es vergehen Stunden, Stunden wie in einer anderen Zeit. Jetzt verstehe ich auch, was Sloterdijk mit dem «kosmischem Gefühl», das in der Moderne verloren gegangen ist, gemeint hat.

Esna

Am späten Nachmittag geht die Reise weiter nach Esna. Mit dumpf brummendem Dampfmotor fährt die «Sudan» auf dem Nil. An beiden Ufern zeugen Dörfer, Gehöfte und Vieh von der bemerkenswerten Arbeit der Menschen, die nie müde wurden, die fruchtbaren, aber oft undankbaren und (zumindest bis zum Bau des Assuan-Staudamms im Jahr 1971) immer wieder überschwemmten Ufer zu bestellen.

Ein paar Feluken, Schaluppen und Jachten fahren vorbei. Ihre Passagiere winken uns freundlich zu. Heraklit zufolge badet man nie zweimal im gleichen Fluss. Als wollte sie den Philosophen Lügen strafen, wird der Nil durch die ägyptische Kunst schon seit Menschengedenken auf unterschiedlichste Weise personifiziert.

So ist der Nil einmal der ruhige Liebhaber, dann die erzürnte Frau. Die Ägypter verbindet eine unerschütterliche Liebe zu dieser historischen Lebensader, auch wenn sie manchmal in Hassliebe umschlägt. Der Nil wird besungen, bildlich dargestellt und in Erzählungen verehrt. Auch der Besucher kann sich dieser Jahrtausende alten Faszination, die der Nil auf die Menschen ausübt, unmöglich entziehen.

Mit dieser Erkenntnis gleiten wir langsam vorwärts bis nach Esna. Esna ist eine kleine, eher wenig besuchte Küstenstadt. Ich besichtige sie nachts in Begleitung von George. Hier sucht man vergeblich nach «echten Andenken» made in China. Die kurvenreichen Strassen sind voller Sand und stellenweise zerstört. Auf den ersten Blick wirken sie nicht gerade einladend.

Ihren Zauber entpuppen sie nur langsam. Die Menschen sind traditionell gekleidet und scheinen über unsere Anwesenheit erstaunt. Ablehnung oder Aggression sind aber nicht zu spüren. Im Gegenteil: Sie grüssen uns so freundlich und lächelnd, dass wir uns nach kürzester Zeit wohl fühlen.

Hinter einer Abbiegung stehen wir so plötzlich vor dem Chnum-Tempel, dass wir sogar nachts geblendet sind. Zwischen bescheidenen Behausungen und schummrigen Shops, umgeben von stark beschädigten Gassen, hebt sich das unter Ptolemäus VIII. begonnene und unter Mark Aurel fertiggestellte Bauwerk majestätisch ab.

Es befindet sich mehrere Meter unter dem Strassenniveau der Stadt. Ein Wächter legt uns ans Herz, am nächsten Tag wiederzukommen, wenn der Tempel geöffnet ist. «Geht in der Zwischenzeit etwas trinken», empfiehlt er uns. Wir folgen seinem Rat und setzen uns dem Tempel gegenüber auf die Terrasse eines Cafés.

Der Chef bringt uns einen Zimttee, Pfefferminzblätter und eine Wasserpfeife. Um uns herum diskutieren die Einheimischen, lachen und spielen Schach. Das Gespräch gleitet vom Chnum-Tempel zur heutigen Situation Ägyptens, zur noch zaghaften Erholung des Tourismus und schliesslich zu den grossen Ölprojekten im Mittelmeer.

George ist optimistisch. Er (wie die meisten anderen Ägypter, mit denen ich mich noch unterhalten werde) glaubt, dass der Albtraum, der durch die Machtergreifung der Muslimbrüder ausgelöst wurde, endgültig vorbei ist. Die Zukunft bringt wieder Hoffnung. «Es wird seine Zeit brauchen, aber wir haben eine Jahrhunderte alte Geschichte, da kommt es auf ein Jahr mehr oder weniger nicht an.»

Der Nil ist mal ruhiger Liebhaber, mal erzürnte Frau. Man liebt ihn unerschütterlich, hasst ihn auch mal, man besingt ihn, malt und umdichtet ihn, verehrt ihn.

Luxor

Luxor ist ein Hotspot des Alten Ägyptens. Besucher aus der ganzen Welt besichtigen die Sehenswürdigkeiten: den Old Winter Palace, der lange im Besitz des Königs war, den majestätischen Karnak-Tempel mit seinen 134 Säulen, den Tempel des Amun-Re aus der Zeit von Ramses II. und das geheimnisvolle Tal der Könige, in dem die Überreste von 52 Pharaonen bestattet sind.

Die historischen Stätten locken Laien ebenso an wie Experten. Forscher aus Amerika und aus Kairo sind stolze Wächter einer fernen, glorreichen Zeit, die bis in die Gegenwart hineinwirkt. Eine Gegenwart, die wie in Assuan von einem hypnotischen, unbändigen Treiben und einer bunt zusammengewürfelten Architektur aus Minaretten, Glockentürmen koptischer und franziskanischer Kirchen, Ziegelbauten und freistehenden Papyrussäulen geprägt ist.

In Luxor begeben wir uns vom Totentempel des Ramses III. zum exquisiten Restaurant Sofra in der Mohamed-Farid-Strasse und vom unergründlichen Arbeiterviertel Deir-el-Medina zum modernen Kunsthandwerk auf dem brodelnden Markt, der erst zur Ruhe kommt, wenn die Flut der Käufer versiegt ist.

Wir besuchen die Grabkammer der Nofretete und die üppigen Gärten des Old Winter Palace, wo wir unter Palmen ein ägyptisches Bier geniessen. In Luxor geht die Nilkreuzfahrt zu Ende. Ich trinke im Salon einen letzten Hibiskustee und verabschiede mich von der Besatzung. Bei ihrer Fahrt durch diese aussergewöhnliche Region offenbart die «Sudan» ihre eigentliche Funktion: Sie lässt die Vergangenheit aufleben und schreibt sie so weiter.

Der inspirierte Reisende kann nicht anders, als es Agatha Christie gleichzutun: versuchen, das ägyptische Wunder zu Papier zu bringen und, wenn auch nicht Neues, dann doch Authentisches darüber zu berichten.

Die vom Reisebüro Voyageurs du Monde, Genf, organisierte sechstägige Reise umfasst den Linienflug von Genf nach Assuan und von Luxor nach Genf, sämtliche Privattransfers, eine Übernachtung im Hotel Sofitel Legend Old Cataract in Assuan mit Nilblick und Frühstück, die Kreuzfahrt auf der Steam Ship Sudan mit Vollpension, die Ausflüge und eine Übernachtung im Hotel Sofitel Winter Palace in Luxor mit Frühstück, jeweils in Doppelzimmer resp. Doppelkabine.