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Netzwerkeffekte an der Börse

Einige wenige Unternehmen bilden derzeit eine merkwürdige Speerspitze von Spitzenwerten. In volatilen Zeiten zeigt die Erstarrung zu Akronymen schon bemerkenswerte Stabilität an. GAFA steht für die Big Four: Google, Apple, Facebook und Amazon. Kaum prägte die Berichterstattung das Akronym, gingen zwei Buchstaben auch schon verloren. Facebook hat beim Börsenwert etwas den Anschluss verloren, und Google wurde zu Alphabet – so würde vom Akronym nur ein ominöses AAA übrig bleiben.

Zwischenzeitlich hatte sich Netflix mit sensationellen Kurssteigerungen dazugedrängt und dem Akronym FAANG Auftrieb gegeben. Mit Ausnahme von Facebook verbuchte das FAANG-Portfolio einen beträchtlichen Teil der globalen Börsenperformance dieses Jahres.

Es handelt sich nicht nur um lukrative Anlagen, sondern um vorausgesagte und angesagte lukrative Anlagen. Man kommt zum paradoxen Schluss, dass es heute als eines der konservativsten Investments gelten kann, Beteiligungen an Hochtechnologiefirmen zu halten. Diese Anlagen entwickeln sich zu Selbstläufern – Rekordunternehmenswerte von 1 Bio. $ werden erreicht. Damit ist ein einzelnes amerikanisches Unternehmen so viel wert wie alle Gesellschaften des deutschen Leitindex zusammen. Dieses symbolträchtige Faktum verdeutlicht einmal mehr, wie die US-Wirtschaft allen europäischen Unkenrufen nach der Trump-Wahl zum Trotz ihren Vorsprung wieder vergrössert.

Schuldenspirale wird weiter gedreht

Bei aller Schadenfreude ist die Euphorie über eine Rettung der US-Wirtschaft durch Donald Trump doch verfrüht. Steuersenkungen regen zwar ein Rückwandern im Ausland steuerschonend geparkter Cash-Reserven an. Doch letztlich wird die Schuldenspirale weiter gedreht. Die Leitwährung Dollar hat dabei das exorbitante Privileg, dass eigene Geldschöpfung hinter globaler Dollarnachfrage maskiert werden kann. Es genügt dann für die USA, nur ein klein wenig besser dazustehen als die EU, um die Rechnung für ihre Schuldenwirtschaft weiter gestundet zu bekommen.

Gewiss ist die Vorrangstellung der grossen vier, fünf, sechs – nennen wir sie doch einfach die AAA-Konzerne – nicht bloss unverdiente Nebenfolge der Geldpolitik. Ausgehend vom Silicon Valley begann ein Siegeszug neuer digitaler Bewirtschaftung eines Massenmarktes globaler Konsumenten. Der Internetpionier Marc Andreessen hat die Entwicklung auf eine Formel gebracht: «Software frisst die Welt auf.» Das beschreibt die Dynamik ganz gut, führt aber auch in die Irre.

Es handelt sich nicht bloss um die Ausdehnung von Softwareunternehmen, sondern um eine neue Etappe eines bereits recht alten Prozesses, der nicht so bald zum Ende kommen wird. Dieser Prozess zeigte sich davor schon im globalen Siegeszug von Fordismus, professionellem Management und Systemgastronomie – um nur einige Beispiele zu nennen. Auch frühere Etappen hatten also schon ihre Pioniere in den USA gefunden. Dort verbindet sich Kreativität mit Pragmatismus – ergänzt um die monetären und politischen Voraussetzungen, mit neuen Prozessen rasch die gesamte Welt zu erobern.

Es ist ein Siegeszug der mobilsten und skalierbarsten Produktionsfaktoren: Wissen in der übertragbaren Form von Rezepten, Anweisungen, Prozessen und Programmen. Ausgerechnet zwei österreichische Ökonomen wurden zu den Kronzeugen der Anfänge dieser Entwicklung in ihrer neuen Heimat USA. Peter Drucker und Fritz Machlup erkannten unabhängig voneinander die neue Rolle des Wissens als Kapital und prägten den Begriff vom Wissensarbeiter. Ihre Einsichten wurden in Europa weitgehend ignoriert.

Erst mit der letzten Welle des Digitalen, wobei nun Bits auch für den kleingeistigsten Buchhalter als Kapitalwerte unverkennbar sind, drängen diese Einsichten verspätet ins Bewusstsein. Zu spät. Eine völlig anachronistische Vorstellung von Wirtschaft und «Arbeitern» hat eine Steuer- und Regulierungslandschaft geschaffen, die der Mobilität des Digitalen nicht gewachsen ist. Die Folge ist die massive Benachteiligung nicht digitaler, nicht globaler, nicht skalierender und immobiler Geschäftsmodelle. Es kommt zu künstlichen Skaleneffekten, die den Abstand zwischen traditionellen Kleinunternehmen und den globalen Digitalkonzernen aufblähen.

Diese Schieflage darf man nicht den Konzernen vorwerfen, denn sie haben ja stets klein begonnen. Die ungeheure Dynamik der «Unicorns» ist nicht nur Verzerrungsfolge, sondern auch Hinweis auf reale und revolutionäre Wertschöpfung. Die letzte, bislang dynamischste Etappe eines längeren Prozesses hat mit der digitalen Erreichbarkeit eines globalen Milliardenpublikums durch mobile Endgeräte eingesetzt. Die grösste Skalierbarkeit zeigt sich im Massenkonsum. Leider sind sich die Menschen am ähnlichsten bei den niedersten Bedürfnissen, bei höheren Zielen jedoch nimmt die Divergenz zu.

Zum Glück erlaubt die Digitalisierung auch die günstige Bewirtschaftung kleinster Nischen und bringt somit für nahezu jeden Geschmack eine Wohlstandsmehrung. Doch die Netzwerkeffekte sind dort am stärksten, wo sich die grösste Masse ansammelt – und das sind oft die digitalen Niederungen des Affekt- und Geltungskonsums. Die US-amerikanische Unternehmerkultur war immer schon pragmatischer darin, diese Bedürfnisse anzusprechen und systematisch auszunutzen.

Das wäre im Sinne einer globalen Arbeitsteilung nicht so dramatisch, denn die Massenunterhaltung hat auch positive kathartische Nebenfolgen. Problematisch ist die künstliche Überdehnung durch monetäre und politische Skaleneffekte. Sie führt in den USA selbst zu einer Überkompensation der hochskalierten unternehmerischen Amoralität durch gesellschaftliche Hypermoralität, sodass ausgerechnet im «Land of the Free» politische Korrektheit und Prüderie noch stärker wüten als im moralisch übersäuerten Westeuropa.

Überhöhte Kurse

Die digitalen Netzwerkeffekte zeigen sich besonders in der Aufmerksamkeitsbewirtschaftung. Trotz aller Verzerrung bleibt aber eine positive Bilanz überall zugänglicher, immer günstigerer digitaler Dienste und Schnittstellen für potenziell unbegrenzte produktive Einsatzmöglichkeiten. Doch neben ihnen gibt es auch noch andere, gemeinhin übersehene Netzwerkeffekte – und sie sind mindestens so ambivalent. Die AAA-Konzerne mit ihrer beeindruckenden Profitabilität, ihren Cash-Reserven, ihrer globalen Durchdringung und Innovationskraft bieten durchaus unternehmerischen Wert. Dennoch scheinen ihre Kurse aus der Value-Perspektive bereits überhöht.

Es gibt eben auch Netzwerkeffekte der Anlage. Durch die Zunahme des passiven Investierens kommt es zur Selbstverstärkung. Die besten Titel schaffen es in die immer engeren Filterblasen der Anleger. Dann greift die sogenannte Rekognitionsheuristik: Mit ihrer globalen Markenpräsenz sind die AAA-Konzerne unübersehbar. In einer Zeit ungebremster Geldschöpfung profitieren prozyklische Aktien: Alle kaufen, was alle anderen auch kaufen. Da einzelne Titel, zu denen die Masse der Anleger konvergiert, knapper sind als die Geldmenge, steigen die Kurse.

Lukrative Papiere erreichen dann höchste Marktgängigkeit. Ab diesem Punkt dürfte man die Aktien der AAA-Konzerne nicht mehr bloss als Dividendentitel betrachten, sondern müsste sie zunehmend als Geldalternative sehen. Dann könnte die global präsente Marke das Geldattribut «Kopf» verdrängen, das Symbol des dominantesten Netzwerks zur vermeintlichen Deckung der «Zahl» auf der Rückseite. Die Konsequenz zeigt das SNB-Portfolio – die Netzwerkassets als Goldersatz. Da könnte man den Franken gleich durch ein Apple-, Amazon-, Alphabet-Geld ersetzen.