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Nervosität in den Schwellenländern steigt

Seit Jahresbeginn haben sich die Finanzprobleme Argentiniens deutlich verschärft.

Die Kombination aus steigenden US-Zinsen und einem stärkeren Dollar sorgt in den Schwellenländern zurzeit für einige Nervosität. Zu präsent sind die Erinnerungen an 2013, als das «Taper Tantrum» – die US-Notenbank gab damals bekannt, das laufende Anleihenkaufprogramm kürzen zu wollen – in den Emerging Markets zu Kapitalabflüssen, steigenden Risikoaufschlägen (Spreads), hoher Volatilität und sinkenden Aktienkursen führte. Droht nun das gleiche Schicksal? Und welche Schwellenländer wirken besonders exponiert?

Dass die Sorgen der Investoren gewachsen sind, zeigt sich an allen Ecken und Enden. Gegenüber dem Dollar haben die Schwellenländerwährungen über die letzten Wochen deutlich an Terrain eingebüsst – wobei sich zumindest die Volatilität (Schwankungsbreite) noch im Rahmen hält. Parallel dazu haben die Risikoaufschläge gegenüber US-Staatsanleihen seit Jahresbeginn von rund 3 auf 3,6 Prozentpunkte zugenommen.

Allein zwischen Mitte April und Anfang Mai wurden laut dem Institute of International Finance (IIF) über 6 Mrd. $ aus Schwellenländeranleihen abgezogen. Kaum hilfreich wirkt dabei, dass die Mehrheit der Emerging Markets – mit Ausnahmen wie der Türkei oder Argentinien – die Zinsschraube jüngst eher gelockert denn angezogen hat.

Kreditwürdigkeit sinkt

Die Frage, wie exponiert die Schwellenmärkte tatsächlich sind, spaltet gegenwärtig die Analystengemeinde. Eindeutige Antworten zu finden, ist schwierig, lassen sich doch – abhängig von den betrachteten Kenngrössen und Ländern – unterschiedliche Argumente ins Feld führen.

Grundsätzlich gilt: Ein stärkerer Dollar geht meist mit einer sinkenden Kreditwürdigkeit der Emerging Markets einher. Laut der Ratingagentur Fitch sind dafür mehrere Faktoren verantwortlich: Praktisch alle Schwellenländer haben sich über die letzten Jahre vermehrt in der US-Valuta verschuldet, weshalb sich ein steigender Greenback rasch in einem höheren Zinsdienst niederschlägt. Derweil kann eine schwächere Heimwährung zwar kurzfristig den Export stimulieren. Doch gleichzeitig wird die Beschaffung ausländischer Investitionsgüter teurer, was mittelfristig die Aussichten für das Wirtschaftswachstum trübt.

Tendenziell positiv haben sich über die letzten Jahre dagegen die Leistungsbilanzen entwickelt, die hauptsächlich die Import-Export-Differenz einer Volkswirtschaft abbilden. Im Vergleich zu 2013 weisen laut Capital Economics deutlich weniger Schwellenländer ein Defizit von über 3% auf, was den Lokalwährungen eine gewisse Stabilität verleiht. Alejo Czerwonko, Schwellenländerexperte bei UBS, vertritt ebenfalls die Meinung, dass viele Schwellenländer inzwischen auf soliderem Fundament stünden. Auch Paul McNamara von GAM Investments erwähnt die Aussenhandelsbilanzen, die stärker seien als kurz vor den grossen Verkaufswellen der Jahre 2008 und 2013. «Lokalwährungen verzeichnen selten grössere Rückschläge, wenn ein Leistungsbilanzüberschuss erwirtschaftet wird», schrieb McNamara jüngst in einem Kommentar.

Riskante Verschuldung

Skeptischer sind die Analysten der Ratingagentur Fitch, die primär auf die gestiegene Schuldenlast verweisen: Über die letzten zehn Jahre haben sich die ausstehenden Verbindlichkeiten in den Schwellenländern von 5 auf 19 Bio. $ knapp vervierfacht. In die gleiche Kerbe schlägt Carmen Reinhart: «Das Gefüge der Schwellenländer weist zurzeit deutlich mehr Risse auf als 2013 respektive 2008», gab die Harvard-Professorin jüngst zu Protokoll. Hauptschuldig seien vor allem die deutlich höheren Verbindlichkeiten.

Die Verschuldung ist dabei nicht nur nominal, sondern auch im Vergleich zur Wirtschaftsleistung gewachsen. Noch 2008 machten die Verbindlichkeiten der Schwellenländer rund 25% des Bruttoinlandprodukts (BIP) aus. Inzwischen notieren sie bei fast 50%. Diese Entwicklung zeigt sich ebenfalls in den Zinskosten: Während sie in den Industrieländern gesunken sind, haben sie in den Emerging und den Frontier Markets gemessen an den Einnahmen kräftig zugelegt.

Bedeutende Unterschiede

Die Schwellenländer sollten jedoch nicht über einen Kamm geschoren werden – zu unterschiedlich präsentiert sich ihr finanzielles und politisches Fundament.

Eine erste Gruppierung nehmen die Analysten von Bloomberg vor: Sie stufen die Emerging Markets anhand ihres Leistungsbilanzdefizits und des Government Effectiveness Indicator der Weltbank ein. Letzterer bewertet, wie gut die politischen Instanzen funktionieren und eine effektive Wirtschaftspolitik ermöglichen – zeigt doch gerade das Beispiel Türkei unter Präsident Erdogan, wie schädlich sich ein Eingriff in die Unabhängigkeit der Notenbank auswirken kann. Laut Bloomberg sind neben der Türkei auch Argentinien, Peru, Brasilien, Indonesien und Südafrika besonders exponiert (in der Grafik links oben).

Des Weiteren hängt die Stabilität einer Volkswirtschaft von der Grösse der Fremdwährungsreserven ab: Je dicker das Polster, desto länger kann mit Kapitalmarktinterventionen gegen den Zerfall der Lokalwährung angekämpft werden. Auf den ersten Blick wirken hierbei die meisten Emerging Markets solide – etwa wenn man betrachtet, wie lange die Guthaben reichen würden, um die Importe zu begleichen. Die meist als kritische Schwelle definierten drei Monate werden laut Capital Economics von allen Ländern erfüllt, wenn auch im Fall von Ecuador nur knapp. Gerade das krisengeplagte Argentinien belegt jedoch, dass dem Indikator nicht blind vertraut werden sollte.

Capital Economics schlägt deshalb eine alternative Kenngrösse vor. Als Vergleichsbasis dient die Summe aus dem Leistungsbilanzdefizit und ausländischen Krediten, die in den nächsten zwölf Monaten fällig werden. Hierbei stechen die Türkei, Argentinien, die Ukraine und Venezuela besonders negativ hervor. Doch auch Südafrika, Chile und Indonesien sollten laut Capital Economics im Auge behalten werden.

Hoher Finanzierungsbedarf

Das IIF hat vor kurzem ebenfalls verschiedene Risikofaktoren kombiniert, um die Anfälligkeit einzelner Länder einzustufen. Zu den Kenngrössen gehören neben den Währungsreserven und dem externen Finanzierungsbedarf auch die Qualität der Institutionen. Die Ukraine, China, Argentinien, Südafrika und die Türkei wirken am verletzlichsten.

Ein wichtiges Element ist letzten Endes die Fälligkeitsstruktur der Staatsanleihen. Denn je früher die Refinanzierung der Bonds ansteht, desto rascher schlagen sich steigende Zinsen in höheren Ausgaben nieder. Laut IIF müssen die Schwellenländer – einschliesslich der Unternehmen – bereits bis Ende 2019 fast 3 Bio. an Dollarschulden refinanzieren. Besonders betroffen sind China, Russland, Südkorea und Indien. Moody’s hat die Anleihenstruktur ebenfalls analysiert: Besonders anfällig sind laut der Ratingagentur die Türkei, Russland und Brasilien, wo die durchschnittliche Fälligkeit zwischen sechs und sieben Jahren beträgt. Leicht solider erscheinen Argentinien, Mexiko und Indien mit einem Mittelwert von neun bis zehn Jahren.

Was bedeutet das nun für die Investoren? Angesichts der Erwartung eines weiter steigenden Dollars und zügiger Zinserhöhungen der US-Notenbank dürfte sich die Schwäche der Schwellenländer vorerst fortsetzen. Zudem deuten die Risikoaufschläge darauf hin, dass wohl noch nicht alle negativen Nachrichten eingepreist sind.

Für eine Schnäppchenjagd ist es folglich noch zu früh – besonders in Nationen wie Argentinien, der Türkei, der Ukraine, Venezuela, Indonesien und Südafrika, die gleich in mehreren Indikatoren negativ hervorstechen.