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Mike Horn: «Man muss wild sein, um in der Wildnis zu überleben»

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«In der Welt des Abenteuers ist man vor einem Unfall nie sicher. »
«Unsere Lust, zu gewinnen ist grösser, als die Angst zu verlieren. Man tut es, um sich lebendig zu fühlen, nicht um zu sterben.»
«In der Welt des Abenteuers ist man vor einem Unfall nie sicher. »

In seinen Sendungen auf dem französischen Kanal M6 «À l’état sauvage» führt der aus Südafrika stammende und in der Schweiz wohnhafte Extremsportler Stars des Showbusiness und des Sports in die Wildnis.

In «The Island» kommentiert er die Bemühungen anonymer Abenteurer, zu überleben. So weit das in der Öffentlichkeit bekannte Image eines Mannes, der zuweilen als der grösste Forscher unserer Zeit betrachtet wird. Der Fünfzigjährige hat nichts von seiner übermenschlichen Kraft verloren.

Bertrand Piccard bezeichnet ihn als Fakir, der mit einer einmaligen mentalen und physischen Kraft ausgestattet ist. Im Februar hat Mike Horn eine Leistung erbracht, die bisher keinem Menschen gelungen ist: In 56 Tagen und 22 Stunden durchquerte er zu Fuss und ohne jegliche Unterstützung die Antarktis.

Seit einigen Wochen ist er im Rahmen seines Projekts Pole2Pole (27‘000 km) wieder unterwegs. Unterstützt wird er von der Uhrenmarke Panerai, die ihm seit sechzehn Jahren die Treue hält.

Nach Ihrer Antarktis-Expedition sind Sie schon wieder unterwegs in Neuseeland und werden mit Ihrem Boot nach Australien reisen. Wie erleben Sie diese Veränderungen? - Neuseeland ist der ideale Ort für Abenteuer, denn es gibt unendlich viel zu entdecken: Meer, Dschungel, Berge. Nach der Antarktis-Durchquerung fühlte ich, wie mir die Vegetation gefehlt hatte. Dort ging es ums reine Überleben. Es war für mich sehr wichtig, mich wieder mit dem Lebendigen zu verbinden. Neuseeland ist eines meiner bevorzugten Länder, meine Frau Cathy (Cathy Horn starb 2015 an Krebs, Anm. d. Red.) stammte von hier. Ich habe ihre Familie getroffen, es war wichtig zu zeigen, dass ich immer noch am Leben bin. Ich habe eineinhalb Monate hier verbracht und reise jetzt auf meinem Boot weiter nach Australien.

Was sind die Motive für Ihre Expeditionen? - Erforschen bedeutet nicht nur Berge erklimmen und Dschungel durchqueren. Es wird dann interessant, wenn man die eigenen Grenzen entdeckt, die inneren Hindernisse überwindet.

Bedeutet es, wenn man durch übermenschliche Prüfungen das Extreme sucht, auch die Suche nach dem Wilden, Animalischen? - Genau. Das Interessante dieser Erfahrung ist, das in uns wohnende wilde Tier zu zähmen. Jeder von uns hat eine wilde Seite, die sich in verschiedenen Leidenschaften ausdrückt – Kunst, Musik, Wissenschaft. In meinem Fall ist sie eine physische und mentale.

Expeditionen faszinieren, TV-Realityshows wie «The Island» sind ein Renner. Vielleicht weil sich die jetzige Generation nicht mehr mit dem Wilden konfrontieren kann? - Ja, der Mensch entfernt sich immer weiter von der Natur und damit von sich selbst. Man spielt mit dem virtuellen Wilden, Videogames zeigen eine Fiktion des Wilden. Aber diese Fiktion wird das echte Angstgefühl nie ersetzen, die Neugier, die man in der Natur verspürt. Wenn man zu beschützt lebt, ist es unmöglich, durch Leistungen sich selbst zu finden. Heute wird alles zu stark kontrolliert. Indem man eine grosse Distanz zur Natur legt, verliert man den Kontakt zu sich selbst.

Durch Ihre Sendung «A l’état sauvage» vermitteln Sie eine idealisierte Version der wilden Welt. Wie stehen Sie zu diesem eher romantischen Image? - Es stimmt, man wird nicht Forscher, indem man einfach mit dem Finger schnippt. Aber die Gäste dieser Sendung träumen davon, sich mit der Wildnis zu konfrontieren. Für mich war jedoch schnell klar, dass ich keine Verzerrung der Realität wollte. Ich sagte den Produzenten des Kanals M6: «Wenn ich sehe, dass die Sendung zu einer romantischen Idee des Wilden, des Irrealen wird, höre ich auf.» Ich bin ein Abenteurer und kein TV-Präsentator. Ich war bereit, diese Sendung zu machen, weil ich zeigen kann, dass die Natur existiert. Weil ich die Menschen motivieren will, ihre Komfortzone zu verlassen. Ich glaube, es hat funktioniert. Es sind einfache Dinge, die es den Menschen ermöglichen, sich wieder mit der Natur zu verbinden. Das Fernsehen bietet die Möglichkeit, die guten Seiten der Natur zu teilen. Das macht Mut in einer Zeit mit immer grösseren wirtschaftlichen Problemen. Und die Einschaltquoten bestätigen dies, jede Sendung wird von 4,6 Mio. Zuschauern gesehen.

Und für Sie eine gute Möglichkeit, Ihre Expeditionen zu finanzieren? - Nein, keineswegs. Leider! Im Gegensatz zu dem, was man glauben könnte, sind es nicht diese Sendungen, mit denen ich mein Leben bestreite. Fernsehen ist sogar eher schlecht bezahlt. Ich finanziere mein Leben durch Vorträge. Ganz ehrlich, ich mache diese Sendung nicht wegen des Geldes, sondern um die Menschen zu inspirieren. Für mich ein sehr schöner Lohn.

Sie geniessen seit vielen Jahren das Vertrauen zweier Sponsoren, darunter der Uhrenmarke Panerai. Welches sind die Gründe für diese Partnerschaft? - Panerai unterstützt meine Expeditionen seit 2001, weil sie alle eine ganz besondere Geschichte dieser Welt erzählen. In der Vergangenheit produzierte das Unternehmen Taucheruhren für die italienische Marine. Seine Geschichte hat viel mit Forschung zu tun, ausserdem arbeitet das Haus gern mit Menschen, die Geschichte schreiben. Für mich ist Panerai nicht nur eine Uhr, sondern ein wichtiges Navigationsinstrument, denn es ist die Uhrzeit, die mir die Richtung vorgibt. Der Zeitmesser muss also hundert Prozent zuverlässig sein. Am Nordpol, wo ich die Sonne nie sah, gab er mir die Position an, war also lebenswichtig. Wenn man in solchen Situationen in jedem Moment das Leben riskiert, muss man sich auf das Material verlassen können. Das hat nichts mit Marketing zu tun, das ist sehr real.

Welches waren die schlimmsten Momente auf dem zwei Monate dauernden, 5100 km langen Parcours durch die Antarktis, den Sie zu Fuss und ohne jegliche Unterstützung absolvierten? - In diesen abgelegenen Gegenden gibt es keine Unterstützung. Ich war allein, die Leistung war daher vielmehr eine mentale. Es war also weniger ein physischer Exploit: Ich habe die Fähigkeit, Kälte zu widerstehen, 24 Stunden zu gehen, einen 250 kg schweren Schlitten zu ziehen, Eisgräben zu überqueren, Erfrierungen auszuhalten. Aber bei Windgeschwindigkeiten von 130 km/h und bei minus 50 Grad muss man mentale Ressourcen mobilisieren, denn man ist sich bewusst, dass der geringste Fehler fatal sein könnte.

Mike Horn durchquerte zu Fuss 5100 km in der Antarktis.

Sind Sie überrascht, wie gross Ihre mentalen Ressourcen immer noch sind? - Ja, es ist möglich, sich immer weiter zu übertreffen, vor allem, wenn die Dinge nicht so laufen wie vorgesehen. Anderseits kann man sich nur auf sein Wissen und seine Erfahrungen verlassen. Unter extremen Bedingungen, wenn man das Gefühl hat, dass es wirklich keine Lösung mehr gibt, produziert das Gehirn neue Möglichkeiten. Das Mentale öffnet sich. Es ist die Angst, die den Menschen einschränkt, denn eigentlich sind seine Fähigkeiten grenzenlos. Um dies zu erkennen, muss man hinaus, aufs Terrain, zu Hause in der guten Stube ist dies nicht möglich.

Kannten Sie Ueli Steck? - Ich kannte ihn sehr gut. In der Welt des Abenteuers ist man vor einem Unfall nie sicher. Aber unsere Lust, zu gewinnen, ist grösser als die Angst, zu verlieren. Dies ist der Grund, weshalb man solche Abenteuer auf sich nimmt. Man tut es, um sich lebendig zu fühlen, nicht um zu sterben. Ueli ist nicht der erste Freund, den ich verliere. Ich könnte Ihnen einige aufzählen, Erhard Loretan, jetzt Ueli Steck. Es war ein Schock, der mir die Realität vor die Augen gehalten hat. Aber gelungene Expeditionen machen glücklich. Und wenn man ein solches Glück erlebt, werden grosse Ziele zu Missionen.

Kann man den Tod wirklich akzeptieren? - Ich weiss es nicht (zögert). Ich würde nie akzeptieren, zu sterben. Aber Unglücke passieren schnell, man hat keine Zeit zum Nachdenken. Man überlebt und tut alles, um am Leben zu bleiben. Bis zum entscheidenden Moment nimmt man den Tod nicht an. Ich weiss, Ueli Steck hatte die gleiche Philosophie. Wenn man ausrutscht und fällt, kann man nichts mehr tun. Der Tod wird dann eine Realität, die man hinnehmen muss. Aber vorher glaube ich nicht, dass es möglich ist, den Tod einfach zu akzeptieren. Man liebt das Leben. Ich war dem Tod oft sehr nahe. Wenn man wirklich alles tut, um am Leben zu bleiben, wie etwa bei meiner jüngsten Antarktis-Expedition, der anspruchsvollsten in meiner Karriere, dann ist das nur möglich, wenn man das Leben in sich spürt, wenn man zutiefst mit dem Leben verbunden ist. Aber es stimmt: Wir leben in einer anderen Welt mit anderen Prioritäten. Unsere wichtigste ist, am Leben zu bleiben.

Was fühlen Sie, wenn Sie in Zonen vordringen, die die Menschen noch nie erforscht haben, in die reine Wildnis? - Ein Gefühl des unendlichen Friedens, der Harmonie, der perfekten Schönheit. Ein sehr seltenes Privileg. Dieses Gefühl ist meine grösste Befriedigung, es ist viel grösser, als nur einfach zu sagen, ich habe die Antarktis durchquert. Eine Befriedigung, die jeder erleben kann, so er sich entsprechend dafür vorbereitet. Man kann sie weder kaufen noch schnell erreichen. Der Weg dorthin dauert ein Leben lang.

Fühlten Sie sich auf dieser Expedition von der Natur bedrängt? - Anders als beim Tennisspieler oder beim Fussballer ist unser Gegner die Natur. Der Mensch kann nie stärker sein als sie. Natürlich kann man sich vorbereiten, man kann trainieren, Material entwickeln, sodass das Glück möglichst auf unserer Seite ist. Aber die Natur ist unbesiegbar, das einzig Besiegbare ist die Angst. Wenn der Mensch sich nicht anpasst, schlägt ihn die Natur. Dies habe ich erlebt mit den Eiswellen in der Antarktis, den Sastrugi. Sie haben die Art der Durchquerung entscheidend beeinflusst. In einem solchen Fall geht es nicht ums Geld, sondern einzig um die Fähigkeit, sich anzupassen. Nur so kommt man vorwärts.

Was motiviert Sie auch in Zukunft? - Zu erforschen, was uns unser Planet zu bieten hat. Unser Leben dauert etwa 30’000 Tage. Ich möchte sie damit verbringen, die Unermesslichkeit der Erde zu entdecken, auf 8000 Meter zu klettern, den Pazifik, den Südpol, den Amazonas-Dschungel zu durchqueren. Das hat mit meiner Person zu tun, ich muss immer weiter gehen, um zufrieden zu sein. Eine andere Person findet diese Zufriedenheit schon, indem sie vom Tisch springt. Bei mir müssen es 30‘000 Meter sein. Aber die Gefühle sind die gleichen.

Akzeptieren Sie das Alter, die Tatsache der vergehenden Zeit? - Ich mag das Gefühl, älter zu werden, denn mit dem Alter hat man auch mehr Erfahrung. Eines Tages werden meine Explorationen keinen kommerziellen Wert mehr haben. Aber dank Pole2Pole habe ich fast zwei Jahre Zeit, Berge zu erklimmen und die Erde zu erforschen. Oft entschliesst man sich zu früh, etwas zu beenden. Das ist jedoch keine Entscheidung, sondern ein Gefühl.

Tauschen Sie sich mit andern Forschern aus? Interessieren Sie sich für ihre Geschichten? - Ja, wir tauschen uns viel aus. Zum Beispiel im Basislager K2 im Himalaya. Wir teilen Wissen, man respektiert sich. Mit Jean Troillet bestieg ich zwei Achttausender. Als er die Durchquerung der Kamtschatka (Halbinsel im äussersten Osten Russlands) vorbereitete, fragte er mich um Rat bei der Wahl des Materials. Mit der neuen Generation erleben wir eine Evolution der Spitzenleistungen. Damit diese sich kommerziell rechnen, dürfen sie nur einen Tag dauern. Dafür verantwortlich ist auch Red Bull mit ihrer Kommunikationsstrategie. Sie hat das Ansehen von Spitzenleistungen verändert, man muss in dreissig Sekunden alles zeigen können, sonst ist die Leistung wertlos.

Welches ist der echte Wert? - Schnell und schön ist nicht mein Ziel. Ich mag die Idee, eine Geschichte zu schreiben, die nach meinem Tod weitergeht.

Wie hoch ist das Budget, damit Sie Ihre Expeditionen finanzieren können? - Es gibt das ideale Budget, und es gibt das reelle Budget. Für die Expedition Pole2Pole benötige ich im Idealfall 1,2 Mio. Fr. pro Jahr. Darin enthalten sind Boots versicherung, Aufwand für Kameramann, Kommunikation, Büro usw. Glücklicherweise besitze ich bereits mein Segelschiff «Pangaia», sonst bräuchte ich weitere 8 Mio. Ich muss zugeben, ich bin noch sehr weit vom Budget entfernt, ich muss sogar daran denken, die Expeditionen aufzugeben, denn ich habe kein Geld mehr. Vor fünfzehn Jahren lebte ich besser. Ich bin ein passionierter Mann, aber kein Geschäftsmann.

Erhöhen diese Budgetprobleme die Sicherheitsrisiken Ihrer Expeditionen? - Ja, denn ich muss bei der Logistik sparen, gebrauchtes statt neues Material verwenden. Die Leute denken, dass ich dank meiner Sponsoren Mercedes und Panerai– ich bin stolz, dass sie mich schon seit langer Zeit unterstützen – und der TV-Sendungen Millionen kassiere. Aber ganz ehrlich, es steht nicht gut. Falls ich nicht einen dritten Sponsor finde, wird es schwierig, die Expedition unter guten Bedingungen weiterzuführen. Expeditionen werden immer grösser und teurer, die Geldmittel kleiner. Ich sollte mich dringend in einen Geschäftsmann verwandeln, aber dann verliere ich meine wilde Seite…(lacht) Es wird immer schwieriger, Grossprojekte zu kommerzialisieren, auch wenn ich weiss, dass das Interesse des Publikums immer noch vorhanden ist. Der Beweis: Ich habe 27 Mio. Follower, die mir auf meiner Antarktis-Expedition auf Social Media gefolgt sind. Das ist enorm.