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Mercedes-Benz 190 SL

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Das versenkbare Verdeck des 190 SL diente der Branche als Vorbild. Auch sonst hat der Oldtimer von 1955 einiges zu bieten, was sich noch in modernen Wagen wiederfindet.

Es ist die reine Freude. Die Sonne scheint, die Luft riecht nach Frühling, die Strassen über den Hauenstein sind leer, weil alle anderen lieber auf der Autobahn rumstehen. Ein wenig Arbeit am grossen Lenkrad, in den Kurven quietschen die Reifen  – man hat das Gefühl, so richtig flott unterwegs zu sein. Bis der Blick auf den Tacho fällt. Dies gehört dies zu den grossen Freuden des Oldtimer-Fahrens: Der Lenker verspürt jede Menge Fahrspass, ist schon fast so ein bisschen am Limit und muss trotzdem nicht um seinen Fahrausweis fürchten. Mit einem modernen Sportwagen wäre man bei gleicher Fahrweise wohl doppelt so schnell unterwegs – und die Fahrerlaubnis akut gefährdet.

Es sind aber auch nur gerade 105 PS, die für Fahrfreude in diesem Mercedes-Benz 190 SL zur Verfügung stehen. Damit wollen relativ massive 1150 Kilo bewegt werden. Ein Benz war damals noch für die Ewigkeit gebaut, das erklärt das im Vergleich zur zeitgenössischen Konkurrenz verhältnismässig hohe Gewicht. Übermotorisiert fühlt er sich wirklich nicht an, der bald sechzigjährige Mercedes. Was aber auch daran liegt, dass wir ihn nicht plagen wollen, spätestens bei 4000/min wird die nächste Fahrstufe eingelegt. Es stehen sowieso nur vier Gänge zur Auswahl, und der Schalthebel ist zierlich, man behandelt ihn mit einer gewissen Zärtlichkeit.

Ungewohnte Bremsen

Und auch die Bremsen sind nicht das, was man von modernen Autos gewohnt ist: Zuerst passiert gar nichts, und dann auch beim festeren Zutreten nicht viel mehr. Also hält man gerne etwas Abstand zum Vordermann, behilft sich mit der Motorbremse, gefällt sich selber durch die ganz klassische Anwendung des Gangwechsels mit Zwischengas – und würde eigentlich gerne ein Liedchen pfeifen beim Fahren.

Ach, diese internen Bezeichnungen bei Mercedes. Das ergibt zwar alles Sinn, und die Kenner wissen auch immer sofort, um welches Modell es sich handelt. Doch manchmal entbehrt das System der Logik. Bestes Beispiel ist wohl der 190 SL, der vor allem deshalb unter dem Namen 190 SL bekannt ist, weil seine interne Bezeichnung W121 ist. Mit W120/121 wurden intern zugleich auch Limousinen bezeichnet, die besser bekannt sind als «Ponton»

Doch lassen wir Maxi Hoffman zu Wort kommen. Er war Importeur von Mercedes in den USA und hatte den dringenden Wunsch nach sportlicheren Geräten; solche, so erzählte er dem Vorstand in Stuttgart, könne er verkaufen wie warme Semmeln. Wir wissen nicht, wie der gebürtige Österreicher Maxi das gemacht hat, aber er muss überzeugend gewirkt haben, nicht nur der Mercedes-Vorstand erfüllte ihm fast alle Wünsche.

Mercedes hatte seit 1952 das Flügeltüren-Coupé 300 SL (W194) auf den Rennstrecken rund um die Welt am Laufen. Und das mit grossem Erfolg. Nach dem grandiosen Sieg bei der Carrera Panamericana 1952 war für Autoverkäufer Hoffman klar, dass er davon eine Variante brauchte. Doch gleichzeitig, so vermittelte er das in Stuttgart, hätte er auch noch gerne einen offenen Sportwagen. Mit Sportwagen, erzählt er den Deutschen, würde Mercedes-Benz das Modellprogramm durch attraktive und exklusive Fahrzeuge in einem neuen Segment abrunden – ausgesprochen sportliche Autos fehlten nämlich im Angebot. So fiel bereits Mitte September 1953 die Entscheidung, den 190 SL und den 300 SL in Serie zu bauen.

Rund fünf Monate später feierten beide Typen ihre Premiere in den Staaten: Sie wurden auf der International Motor Sports Show in New York gezeigt, damals die wichtigste Automesse jenseits des Atlantiks. Das bedeutete, dass den Ingenieuren sehr wenig Entwicklungszeit blieb. Eile war vor allem beim 190 SL geboten, der auf der technischen Basis des Typ 180 neu entwickelt werden musste, während für den Seriensportwagen 300 SL die weiterentwickelte Generation des Rennsportwagens 300 SL als Vorbild diente.

Während der 300 SL bereits von August 1954 an im Werk Sindelfingen gebaut wurde, überarbeitete man den 190 SL noch einmal gründlich. Denn das auf der International Motor Sports Show in New York gezeigte Fahrzeug war weder technisch erprobt noch stilistisch ausgereift. Im März 1955 präsentierte Daimler-Benz dann auf dem Automobil-Salon Genf die endgültige Ausführung des Sportwagens. Der Karosserieentwurf stammte von Walter Häcker, er war eng an das Flügeltüren-Coupé 300 SL angelehnt, obwohl ausser dem Radstand mit 2400 Millimetern wenig technische Gemeinsamkeiten existieren.

Die Serienkarosserie zeigte im Vergleich zum Showcar deutliche Unterschiede: Die stilisierte Ansaughutze auf der Motorhaube war entfallen, die Vorderkante der Motorhaube nach hinten verlegt, auch über den hinteren Radausschnitten gab es Lanzetten, und die Stossstangen, Blinker und Rückleuchten wurden modifiziert.

Dabei ist die Bezeichnung SL für Super Leicht beim 190er mit einem Leergewicht von 1140 Kilogramm eine eher schmeichelhafte Untertreibung, aber er sollte so eben als kleiner Bruder der bekannten Ikone vermarktet werden.

Die Limousine als Basis

Als Basis diente das Fahrwerk der neu entwickelten Ponton-Limousine 180 (Baureihe W120), wobei durch die Eingelenk-Pendelachse und unabhängig aufgehängte Vorderräder ein sicheres Fahrgefühl vermittelt werden sollte. Der Motor stammte von den Sechszylindern der Modelle 220 und 300, wobei zwei Zylinder eliminiert und der Hub um 4,4 mm verkürzt wurde. Mit dem kurzen Hub von 83,6 mm und einer grossen Bohrung von 85 mm kommt der Motor auf ein Volumen von 1897 cm 3 , dank obenliegender Nockenwelle und hängenden Ventilen schafft er eine Leistung von 105 PS bei maximal 6000/min. Einspritzung gab es damals noch nicht, ausser im 300 SL.

Der Motor wird durch zwei Flachstrom-Registervergaser von Solex versorgt. Der Clou: Die zweite Stufe schaltet sich erst bei höheren Drehzahlen ein, um den Benzinverbrauch einzuschränken. Ein damals fortschrittliches Konzept, trotzdem ist ein Durchschnittsverbrauch von 13 Litern auf 100 km für heutige Begriffe nicht gerade sparsam.

Der Vergaser hat sich als das heikelste Aggregat im Motorraum einen notorischen Ruf unter 190-SL-Fahrern geschaffen, da die Drosselklappenwellen mit der Zeit ausschlagen und sich dadurch der Motor nicht mehr genau einstellen lässt. Es gibt es inzwischen sogar Händler, die für 190-SL-Fahrer spezielle Kurse zur Vergasereinstellung anbieten. Die vier Trommelbremsen von ATE sind gross dimensioniert. Sie sind wohl adäquat bei vernünftiger Fahrweise, aber eine Vollbremsung mit Radialreifen bei 100 km/h und mehr zeigt schnell ihre Grenzen auf. Wie damals noch üblich, verfügt das Auto nur über ein Ein-Kreis-Bremssystem.

Eigentlich sind 105 PS für ein sportliches Fahrzeug ohne Rennsportambitionen jener Zeit eigentlich ein angemessener Antrieb. Trotzdem hat der Motor die meiste Kritik abbekommen. Sobald der Fahrer das Aggregat weiter dreht in Richtung Höchstdrehzahl von 6000/min bewegt, kommt der Eindruck auf, dass sich der Motor widersetzt. Tester der Zeitschrift «auto, motor und sport» schrieben in der Ausgabe 15/1960: «Mit 105 PS mag er durchaus sportlichen Ansprüchen gerecht werden. In der Praxis macht es aber nicht viel Freude, diese Leistung auszunützen. Schon bei harmlosen 3000/min gibt er ein giftiges Geräusch von sich, dass jeder meint, es sei wer weiss was los.»

Doch nicht nur durch seine zeitlos schöne Form wird der 190 SL seinem Anspruch als «Tourensportwagen» gerecht. Komfort und Ausstattung heben ihn klar von seinen sportlicheren Konkurrenten ab. Das riesige elfenbeinfarbige Lenkrad steht vor einem hübschen Armaturenbrett mit viel Chrom. Die Instrumente bestechen mit grossen klaren Zifferblättern, und auch die Bedienknöpfe und Hebel sind leicht erreichbar.

Ein Requisit für Filme

Allein die Sitze sind ein weiterer Beweis, dass die Sportlichkeit ihre Grenzen kennt. Es gibt keinen Seitenhalt im grossen und breiten Cockpit. Das Faltdach dagegen ist ein Traum und setzte damals den Standard für alle folgenden Modelle, auch diejenigen der Konkurrenz.

Mit einem empfohlenen Verkaufspreis von 16 500 DM im Jahr 1955 war der 190 SL kein billiges Auto, doch fand er zu Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs genügend Käufer. Man konnte sich sehen lassen damit, schliesslich wurde das Auto häufig als Requisit für Filme, Modezeitschriften und Stars gesehen.

Einen unerwarteten Verkaufseinbruch gab es jedoch, als das Frankfurter Callgirl Rosemarie Nitribitt, die einen schwarzen 190 SL fuhr, am 1. November 1957 ermordet wurde. Ihr wurden Verbindungen zu den wichtigsten Wirtschaftsführern im Land nachgesagt, der Mord wurde nie aufgeklärt. Danach sank die Nachfrage des Autos um mehr als 20%. Aber es gab im Gegenzug genug internationalen Glamour mit Pressebildern von Grace Kelly, Gina Lollobrigida, Zsa Zsa Gabor und Françoise Sagan im 190er, sodass die hastigen Verkaufsaktionen 1958 wieder eingestellt werden konnten. Die Verbindung Nitribitt und 190 SL wird aber bis zum heutigen Tag gezogen.

Der US-Autohändler Max Hofman hat Recht behalten. Genau 25 881 Exemplare wurden von 1955 bis 1963 gebaut, davon 10 368 in die USA exportiert, fast die Hälfte. Noch im Jahr 1954 konnte Mercedes-Benz nur 639 Autos aller Fahrzeugtypen in die Vereinigten Staaten exportieren, im Folgejahr waren es bereits 830 Exemplare allein des 190 SL. Das Preisschild damals lautete auf 4000 $. Und ein englisches Magazin hat dereinst dem Auto das höchste Kompliment gemacht: «Konstruiert wie ein Schlachtschiff, gebaut wie eine Uhr, gefertigt wie ein Rolls-Royce.»