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Manon: «Avantgarde ist immer ein Risiko!»

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Legendär: Bild aus «La Dame au Crâne Rasé» von 1977/1978, einer der ersten Bildserien, die in Paris entstanden sind.
Drei Bilder aus der Fotoserie «Einst War Sie Miss Rimini», 2003: Manon schlüpfte selbst in über fünfzig Rollen.
Fotografierte Rauminstallation «Seblstportrait in Gold», 2014, selbstleuchtendeLED-Lightbox, 189x126cm

Sie wirkt zerbrechlich, fast schüchtern. Gibt nicht gleich alles preis von sich. Dabei ist Manon eine der einflussreichsten Künstlerinnen der Schweiz, nimmermüde Pionierin seit ihrem künstlerischen Coming-out, als sie 1974 in Zürich die Rauminstallation «Das lachsfarbene Boudoir» präsentierte.

Die Künstlerin, die diesen Sommer siebzig geworden ist, arbeitet nach wie vor. Eben erst ist «Aujourd’hui Madame» entstanden, elf Aluminiumschildchen an Bäumen in einem Winterthurer Park. Mit den 48 schwarz-weissen, in Paris entstandenen Fotografien «La dame au crâne rasé» veröffentlichte sie ihre ersten inszenierten Selbstportraits.

Auch David Bowie soll ein Bild aus der Serie gekauft haben. Dem Medium der Selbstinszenierung, wie auch dem Medium Fotografie, ist sie in immer neuen Facetten treu geblieben. Wie sie überhaupt stets eine sich treue Frau war. So sehr sie die öffentliche Anerkennung brauchte und liebte (dokumentiert durch zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Prix Meret Oppenheim Bern und den Grossen St. Galler Kulturpreis, und unzählige Ausstellungen in Europa und den USA), so sehr entzieht sie sich auch stets wieder der Öffentlichkeit, versteckt sich hinter der Kunstfigur Manon.

Warum, erzählt sie hier. Sie wählt ihre Worte präzis, überlegt. Wie alles, was sie tat und tut, exakt gedacht ist. Dabei wirken ihre Werke, als wären sie aus lustvoller Spontaneität entstanden.

Ich frage mich, wer mir jetzt gegenübersitzt: die private Frau, die ja auch einen bürgerlichen Namen hat? Oder die Kunstfigur Manon, die seit über vierzig Jahren sich selbst und ihr Publikum inszeniert? - Ich denke, beide. Die sogenannte Kunstfigur wird heute nicht mehr dermassen wahrgenommen wie damals. Vielleicht weil ich in meinen neuen Werken nicht mehr so oft selbst vorkomme. Es war ja auch nie explizit meine Idee, eine Kunstfigur zu erschaffen. Früher habe ich das für mich so definiert: Vorne gibt es die Figur namens Manon. Und dahinter gibt es eine private Person, die aber niemand kennt. Geschaut wurde auf die «Kunstfigur».

Und Sie wollten beide voneinander trennen? - Damals wollte ich es so, ja. Die Kunstfigur war mein Panzer, war mein Schutzschild. Ich versteckte meine Schüchternheit und meine Ängste hinter ihr, habe sie wirklich nötig gehabt. Um zu existieren, habe ich mich als Person neu erfunden. So ist die Kunstfigur Manon entstanden. Nicht als Kraftakt sondern ganz organisch.

Welche von beiden hat dann die Kunst gemacht? - Sie ist als Teamwork der beiden entstanden. Ich habe das früher wirklich als zwei Persönlichkeiten empfunden: mein Ich und die Kunstfigur als Tarnung. Es war für mich selbst manchmal schwierig, sie auseinanderzuhalten. Die Kunstfigur wurde auch zum Korsett, wurde besitzergreifend. Aber es ging nicht anders. Heute ist das nicht mehr so. Heute, scheint mir, sind die beiden eins geworden.

Sie werden heute die Grande Dame der Avantgarde genannt. - Ja, heute sagt man das. Damals hat man das überhaupt nicht verstanden.

Sie haben mit diesem Nichtverstandenwerden aber auch kokettiert. - Nein, nicht im Geringsten. Ich hatte mich nicht mal gefragt, ob das, was ich mache, Kunst sei. Das hat mich überhaupt nicht interessiert. Es war nicht mein Thema.

Was war die Triebfeder, es zu tun? - Es war ein wahnsinnig starker Impuls, an dem ich nicht vorbeikam. Es entstanden Performances, es entstanden Environments, aber ich kannte weder das eine noch das andere Wort. Ich wusste auch nicht, ob es in der Welt irgendwo noch andere Künstler gab, die ebenso arbeiteten. Ich hatte keine Ahnung.

Ihre Installationen – zum Beispiel «Manon presents Men» (1976), wo Sie im Schaufenster einer ehemaligen Metzgerei sieben Männer präsentierten, aber auch die inszenierten Selbstportraits – haben stets irritiert, manchmal auch schockiert. Muss die Avantgarde das? - Es interessiert mich nicht, was Kunst muss oder nicht muss. Mich interessiert nur, was ich muss, was für mich zwingend ist. Es war nie meine Absicht, dem Publikum etwas aufzudrängen. Es sollte ihm stets die Möglichkeit für eigene Inhalte offenbleiben.

War dieses Ausstellen von Männern als Objekte der Begierde eine Kritik an der Gesellschaft? - Es war eine Reaktion auf etwas, was ich als Frau erlebt hatte. Ich sah in Amsterdam und in Deutschland diese Gassen, wo sich Prostituierte in den Schaufenstern anboten. Optisch hat mir das sehr gefallen, mich tief beeindruckt, aber auch bedrückt. Als die Galeristin Jamiléh Weber dann ihre erste Schau mit mir machen wollte – zudem in einer ehemaligen Metzgerei! –, war mir klar: Das musste ich machen.

Wollten Sie nicht auch auffallen damit? - Aufmerksamkeit wollte ich. Das brauchte ich, weil, da müsste man weit zurückblenden, weil ich eine schwierige Kindheit hatte und nicht beachtet wurde. Zum ersten Mal wurde ich beachtet am ersten Tag in der Kunstgewerbeschule. Da hat sich mein Leben geändert. Meine künstlerische Tätigkeit war schon auch eine Kompensation. Ich musste spüren: Es gibt mich.

Avantgarde ist ja ursprünglich ein militärischer Begriff aus dem Frankreich des 17. Jahrhunderts, er bedeutete die Vorhut, die im Kampf den ersten Feindkontakt hatte. - Und das war gefährlich, zuvorderst sein ist gefährlich. Avantgarde ist immer ein Risiko. Obwohl ich mir dessen damals nicht bewusst war. Aber die Kunstszene hat lange gebraucht, bis sie das überhaupt wahrnahm. Erstens war ich in der Schweiz, und zweitens bin ich eine Frau. Das war noch zusätzlich schwierig. Aber das gehört zum Künstlersein.

Sie wurden so etwas wie die Inkarnation der Avantgarde, der Provokation in der Kunst. - Es war nie mein Gedanke, einfach zu provozieren.

In der Performance «Sentimental Journey», 1979 in Amsterdam, sassen Ihnen Besucher in einem Käfig drei Minuten lang Auge in Auge stumm gegenüber. Ähnlich, wie Marina Abramowić es 2010 im MoMA New York machte. - Ja. Wobei ich nicht denke, dass sie wusste, dass ich dasselbe schon dreissig Jahre früher gemacht hatte. Sie hat dafür sogar einen Titel von mir verwendet: The Artist Is Present. Ich nehme an, das war ein Zufall.

Der aber zeigt, dass Sie der Zeit voraus waren. - Es ist nicht unbedingt ein Vorteil für einen Künstler, der Zeit voraus zu sein. Im Gegenteil manchmal.

Ein Bild, eine Fotografie haben einen Verkaufspreis. Wie ist es mit einer Performance, einer Installation? Diese finden ja nur während einer bestimmten Zeit statt, sind selten verkäuflich. Haben sie dennoch einen Preis? - So etwas kann man nur in Museen oder Kunsthäusern machen, dort ist ein Budget vorhanden. Da können Installationen entstehen wie «Reise nach Sibirien» letztes Jahr im Kunsthaus Interlaken. Es war die grösste, die ich je realisieren konnte.

Worum ging es dabei? - Es war ein begehbarer, weiss gekachelter Kubus, in dem es eiskalt war, man fror wie in einem Gefrierhaus. Dazu hörte man eine automatische Zeitansage, die Sekunde um Sekunde zählte.

Eine politische Aussage? - Eine Aussage über die Zeit, die verstreicht, und wo sie uns hinführen wird. Ob wir wollen oder nicht.

Eine ziemlich bedrückende Zukunftsvision. - Ja.

Wenn Sie zurückdenken an die Siebzigerjahre, die man heute als Avantgarde wahrnimmt: Arbeitete man damals als Teil einer Bewegung? - Ich jedenfalls nicht. Ich verstand mich nie als Teil einer Bewegung. Das wäre nicht ich. Ich bin eine absolute Einzelgängerin.

Zur selben Zeit machten Musiker Minimal Music, Robert Wilson revolutionierte die Theaterregie, Peter Handke schrieb die Publikumsbeschimpfung, und Schweizer Schriftsteller gründeten die Gruppe Olten – war es der Geist der Zeit? - Ich denke schon, dass der Künstler etwas in der Zeit spürt. Es war wohl auch mein Talent, vorauszuspüren. Ohne dass ich es hätte formulieren können. Ich war die Erste, die damals in Paris mit inszenierter Fotografie gearbeitet hat. Als dann das Zürcher Kunsthaus zwei Serien meiner Fotografien kaufte, war es das erste Haus, das Fotos unter dem Begriff Kunst ankaufte. Bisher galt Fotografie als angewandte Kunst.

Sie haben Ihre Fotografien inszeniert als Kombination von Fiktion und Realität. - Wobei ich davon vorher immer eine Zeichnung machte, genau aufzeichnete, wo was sein wird und wie man das aufnehmen muss. Ich fotografierte nie, was einfach da war. Ausser bei meinen Tagebuchaufnahmen, die ich seit Jahren mache. Ein Foto jeden Tag. Es gibt inzwischen Tausende, die ich aber noch nie verwendet habe. (Schmunzelt:) Eigentlich müsste ich gar nicht mehr arbeiten, weil so vieles da ist.

Zeigen Ihre Performances, Ihre inszenierten Fotografien, Ihre Environments eine Traumwelt? Eine Wunschwelt? - An einer meiner letzten Arbeiten, «Hotel Dolores», habe ich drei Jahre gearbeitet, 2008 bis 2011. Es ging um die Vergänglichkeit. Da kann man nicht sagen, dass es Wunschwelten sind. In meiner Fotoserie «Einst War Sie Miss Rimini» von 2003 zeige ich fünfzig Frauen über fünfzig. Ich hatte mir ausgedacht, dass eine junge Schönheit vor dreissig Jahren mal Miss Rimini war. Und ich fragte mich: Was hat das Leben aus ihr gemacht? Ich habe fünfzig Möglichkeiten selbst dargestellt: tragische Figuren, kranke Figuren, schöne und kaputte, erfolgreiche und heruntergekommene Figuren. Auch da ging es um Vergänglichkeit, und ich habe mich dafür weiss Gott nicht geschont. Es war auch für mich selbst eine wichtige Arbeit.

Sie stellen sich in vielen Fotoarbeiten selbst dar. Wie kam es dazu? - Das hat ganz logisch angefangen. Nach meinem ersten Auftritt als Künstlerin 1974 stand ich in Zürich stark unter Beobachtung. Das fand ich sehr unangenehm und fuhr zusammen mit einem jungen Studenten, den ich erst kurze Zeit kannte, für drei Jahre nach Paris. Dort begann ich mit inszenierten Fotografien. Als Künstlerin hatte ich ja nur mich, meine Fantasien sowie einen Freund, der bereit war zu assistieren. Damit musste etwas Neues entstehen.

Inszenierte Selbstportraits wurden eines Ihrer Stilelemente. Auf manchen Fotos zeigen Sie sich auch nackt. Ihre Arbeiten sprechen viel von Erotik, auch von Travestie. - Beides waren meine Themen. Weshalb bloss soll ich nur diese eine sein, die ich gerade bin? Im Privatleben bin ich eine schamhafte, eher scheue Person. In der Arbeit gelten andere Gesetze: Will ich eine bestimmte Szene, für eine Installation oder ein Bild, tue ich alles, um sie zu realisieren. Da akzeptiere ich keine Hindernisse. Will ich etwas ausdrücken, wozu Nacktheit nötig ist, dann kann ich das. Trotzdem: Ich bin eine schamhafte Exhibitionistin.

Wie beurteilen Sie die heutige Kulturszene? Als Sie begannen, herrschte Aufbruchsstimmung. - Ja, es war Aufbruch. Nicht nur in der Kunst, Aufbruch in jeder Beziehung.

Und heute? - Sibirien!

Woran mag das liegen? - Es ist schwierig geworden. Eine allgemeine Sättigungsstimmung. Doch ich arbeite nie bewusst als Reaktion auf einen äusseren Einfluss, sondern aus mir heraus. Aber auch ich bin unbewusst ein Produkt der Zeit.