Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Die Pionierin der Atomphysik

«Solange die Atombombe sich nur in Händen der beiden Grossmächte befindet, gibt es keinen Krieg. Gefährlich wird es erst, wenn sich jeder das dazu notwendige Plutonium aus der Apotheke holen kann.» Das sagte Otto Hahn, der «Vater der Kernchemie». Unterdessen gibt es ein paar Atommächte mehr als die USA und die UdSSR bzw. Russland: das Vereinigte Königreich, Frankreich, China – die Vetomächte im Uno-Sicherheitsrat; dazu Israel, Indien und Pakistan, nun auch Nordkorea. Das totalitäre Regime in Pjöngjang entspricht Hahns Albtraum ziemlich genau. Nicht zu vergessen der Gottesstaat Iran, der nuklear tüftelt.

Sozusagen die «Mutter der Kernphysik» war seine Kollegin Lise Meitner, mit der er eng zusammenarbeitete. Gegen Ende Dezember 1938 gelang Hahn und Fritz Strassmann die erste Kernspaltung. Wenige Monate zuvor hatte Lise Meitner das Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin, das Hahn leitete, verlassen müssen und war nach Schweden geflohen, denn nach dem «Anschluss» ihrer Heimat Österreich ans Dritte Reich hatte sie ihre Staatsbürgerschaft verloren; weil Meitner aus einer jüdischen Familie stammte, war sie an Leib und Leben gefährdet (dass sie protestantisch erzogen worden war, half zu Hitlers Zeiten nicht).

Hahn schrieb an Meitner, noch bevor er die Physiker in seinem Institut über diese Experimente unterrichtete; ziemlich mutig angesichts der damaligen Umstände, als selbst die Naturwissenschaften arisch zu sein hatten. Im Februar 1939 legte Meitner aus dem Exil, zusammen mit ihrem Neffen, dem Kernphysiker Otto Robert Frisch, eine erste physikalisch-theoretische Erklärung vor für die von Hahn auf radiochemischem Weg nachgewiesene Kernspaltung. Meitner und Frisch erkannten, dass bei der Spaltung grosse Energiemengen frei werden müssen.

Die führenden Nuklearphysiker und -chemiker auf der ganzen Welt wurden sofort hellhörig: Niels Bohr, Werner Heisenberg, Enrico Fermi, Leó Szilárd, Irène Joliot-Curie, Yoshio Nishina usw. Die Frage, ob und wie sich die Kernspaltung zur Gewinnung von Energie einsetzen lässt, lag auf dem Tisch. Damit auch, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, die Frage nach der militärischen Nutzbarkeit.

Die Antwort lieferten die Amerikaner im August 1945. Über Hiroshima und Nagasaki warfen sie je eine Atombombe ab, seither kamen diese Waffen nie mehr zum Einsatz. Das deutsche Kernwaffenprogramm gedieh übrigens nicht weit, den Japanern wiederum fehlten Uran und Plutonium.

Die USA blieben vier Jahre lang die einzige Atommacht und damit, trotz der konventionellen Überlegenheit der Roten Armee, unangreifbar; die Sowjetunion hätte in einem Gegenschlag weitgehend ausradiert werden können. Es begann der Kalte Krieg, ein Jahrzehnte währendes militärisches Patt.

Nun ist ein absurder Staat wie Nordkorea in der Lage, sich dank der Arbeit von Wissenschaftlern wie Meitner ein Machtmittel zu verschaffen, um sich gegen Druck von aussen zu immunisieren und allenfalls andere Staaten zu erpressen – bis diese, Japan und Südkorea vor allem, sich ebenfalls nuklear bewaffnen. Die friedliche Nutzung geht derweil global munter weiter; der Ausstieg aus der Kernenergie, man mache sich nichts vor, ist ein eher provinzielles Thema namentlich in Deutschland und der Schweiz.

Mit der Entwicklung von Kernwaffen wollte Lise Meitner nichts zu tun haben. Aufforderungen der Amerikaner, an der einschlägigen Forschung, dem Manhattan-Projekt, mitzuwirken, schlug sie aus und blieb während des Krieges in Schweden. Die Fortschritte auf ihrem Wissenschaftsgebiet, vielmehr ihre Folgen, machten sie zur Pazifistin.

1906 hatte Lise Meitner an der Universität ihrer Heimatstadt Wien als zweite Frau in Physik promoviert, 1922 habilitierte sie in Berlin und erhielt vier Jahre darauf als erste Frau eine Professur für Physik in Deutschland. Zunächst war ihr Geschlecht der Karriere hinderlich, später dann das, was die Nationalsozialisten als «Rasse» halluzinierten: 1933 entzogen sie ihr die Lehrbefugnis. Die Forschungsarbeit konnte Meitner fortsetzen, bis Hitler am Wiener Heldenplatz «vor der Geschichte nunmehr den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich» meldete.

Die Biografie Lise Meitners, die nicht nach Deutschland zurückkehrte, illustriert Triumph und Tragödie der Kernforschung im Besonderen und der Naturwissenschaften allgemein. Friedrich Dürrenmatt brachte das in seiner (tragischen) Komödie «Die Physiker» auf die Bühnen der Welt: «Unsere Wissenschaft ist schrecklich geworden, unsere Forschung gefährlich, unsere Erkenntnis tödlich», sagt der Physiker Möbius und, eben: «Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden.»