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Was Argentiniens Zahlungsausfall bedeutet

Der Streit zwischen Argentinien und den Aasgeiern (Buitres) bewegt die Volksseele.

Nur zwölf Jahre nach der letzten Staatspleite müssen Argentiniens Gläubiger den zweiten Zahlungsausfall erdulden. Zinsen von 539 Mio. $. wurden nicht termingerecht an die Gläubiger überwiesen. Denn am Mittwoch scheiterten die Verhandlungen zwischen der argentinischen Regierung und den Hedge Funds über eine Zahlung von 1,5 Mrd. $, die die Fonds vor Gericht zugesprochen erhielten.

Da die Verhandlungsfrist abgelaufen ist, bleibt das ursprüngliche Urteil rechtskräftig: Die Hedge Funds sind aus den Mitteln zu entschädigen, die für die Bedienung der restrukturierten Schuldtitel zu Verfügung stehen. Die 539 Mio. $, die Argentinien für die Gläubiger überwiesen hat, bleiben solange auf dem  Konto einer US-Bank eingefroren.

Die Ratingagentur Standard and Poor’s (S&P) senkte die Bonität Argentiniens umgehend von CCC– auf «selective default». Es bedeutet, dass der Schuldner einen Teil der Anleihen nicht bedient. Der Kurs der 2033 fälligen argentinischen Dollaranleihe verlor darauf 7%, nachdem er in den Tagen vor dem Showdown auf rekordhohe 95 Cents gestiegen war.

Die argentinische Schuldensaga ist damit um ein Kapitel reicher, aber noch nicht zu Ende. «Finanz und Wirtschaft» gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen in diesem komplexen Fall.

Wie kam es überhaupt zum Schuldenstreit?

Nach der Wirtschaftskrise und dem Zahlungsausfall von 2001/02 erzielte Argentinien in den Umschuldungsprogrammen (Debt Swap) 2005 und 2010 mit 93% der Gläubiger eine Lösung. Sie bekamen neue Papiere, die weniger wert waren und längere Laufzeiten aufwiesen.

Der Haircut, so wird der Verlust auf die ursprüngliche Forderung genannt, betrug 70%. Einige Investoren, darunter viele Hedge Funds, aber nahmen an der Umschuldung nicht teil (Holdouts) in der Hoffnung, dass sie Argentinien vor Gericht zu einem besseren Deal zwingen könnten.

Wer sind die Kläger?

Die Kläger sind amerikanische Hedge Funds. Der bekannteste ist NML Capital, der zur Hedge-Fund-Gruppe Elliott Management gehört, deren Gründer und CEO der bekannte Hedge-Fund-Manager Paul Singer ist. Weitere Holdouts auf der Klagebank sind zwei Hedge Funds von ­Aurelius sowie Blue Angel Capital und ­Olifant. Weil die Fonds darauf spezialisiert sind, notleidende (distressed) Kredite und Anleihen günstig zu erwerben mit dem Ziel, möglichst viel von den Schuldnern zurückzubekommen, werden sie auch Aasgeier-Fonds genannt.

Wie urteilte das Gericht?

Tatsächlich gab das zuständige New ­Yorker Gericht den Hedge Funds recht: ­Argentinien darf die Gläubiger, die an - der Umschuldung teilgenommen haben, nicht bevorzugen. Für argentinische Schulden, die nach US-Recht aufgelegt worden seien, gelte die Regel der Gleichbehandlung aller Schuldner (Pari Passu). Das Urteil wurde mehrmals erfolglos angefochten. Argentinien argumentiert, die Pari-Passu-Klausel werde bereits dadurch erfüllt, dass der Umtausch der Anleihen allen Gläubigern angeboten wurde. Die Republik fürchtet eine Welle von weiteren Klagen und Forderungen, wenn sie die Holdouts bedient. Zuletzt wandte sich Argentinien an das Supreme Court. Es soll das New Yorker Gericht als nicht zuständig erklären. Doch im Juni schmetterte das Oberste Gericht die Berufungsklage ab, womit das Urteil rechtskräftig wurde. Der zuständige Richter gab Argentinien noch bis zum 30. Juli Zeit, um sich doch noch mit den Klägern zu einigen.

Ist Argentinien nun pleite?

Nein, im Unterschied zu einem Staatsbankrott, bei dem ein Land die Forderung nicht bezahlen kann, handelt es sich um einen partiellen Zahlungsausfall. Ein Zahlungsausfall, auf Englisch Default, tritt ein, wenn ein Schuldner die Zinsen oder das Nominal nicht termingerecht bezahlt. Im Juni waren 539 Mio. $ Zinsen auf seine 2005 und 2010 umgeschuldeten Staatsanleihen fällig. Das Geld wurde vor einem Monat auf das entsprechende Konto bei der Bank of New York Mellon überwiesen, kam aber nie bei den Gläubigern an, weil der US-Richter die Zahlungen einfrieren liess. Argentinien will von einem Bankrott nichts wissen, denn das Geld wurde ja bezahlt. Um die Zahlungsfähigkeit zu untermauern, hat das Land am Montag 650 Mio. $ den Gläubigerländern des Pariser Clubs überwiesen. Ein Bankrott droht erst, wenn die Gläubiger, die nun keine Coupons erhalten haben, die sofortige Rückzahlung des ganzen Kapitals verlangen. Das wäre gemäss den Anleihenverträgen nämlich ihr Recht. In diesem Fall wäre Argentinien mit Forderungen von - 29 Mrd. $ konfrontiert, was der Höhe der Devisenreserven entspricht. Dann wäre Argentinien wirklich insolvent.

Wie geht die Saga nun weiter?

Es ist nicht damit zu rechnen, dass die Gläubiger die sofortige Rückzahlung des Kapitals fordern und so den Zahlungs­ausfall beschleunigen. Dazu wäre die Zustimmung von 25% der Gläubiger nötig. «Wahrscheinlich wird es im ersten Halbjahr 2015 zu einer Einigung mit den Holdouts kommen», meint Will Nef von UBP, dessen Team Schwellenländeranleihen im Wert von 3,2 Mrd. $ verwaltet, aber seit Ende Juni keine argentinische Bonds mehr besitzt. Denn Ende Jahr laufe die Rufo-Klausel (Rights Upon Future Offers) aus. Sie garantiert den Gläubigern der umgeschuldeten Papiere die gleichen Bedingungen wie die der Holdouts, was eine ­Einigung mit den Hedge Funds verunmöglicht. Die übrigen Kreditoren würden dann auf Gleichbehandlung pochen. Es zirkulieren auch Gerüchte, wonach argentinische Banken den Hedge Funds die Anleihen zum gewünschten Preis abkaufen oder einen Kredit gewähren, bis die ­Rufo-Klausel ausläuft. Es sei aber auch vorstellbar, dass es wegen des Zahlungsausfalls zu neuen Klagen einzelner Investoren kommt, gibt Nef zu Bedenken.

Was heisst das für Argentinien?

Die Folgen sind weniger verheerend als beim Staatsbankrott vor zwölf Jahren. Das Volumen der ausstehenden Staatsschulden beträgt 30 Mrd. $., im Default 2002 waren fast 100 Mrd. $ betroffen. Ein Zahlungsausfall erschwert den Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten, der im Fall von Argentinien allerdings schon vorher eingeschränkt war. Die jüngsten Bemühungen zur Rückkehr an die internationalen Kapitalmärkte erleidet allerdings einen schweren Dämpfer. Folgenschwer wird der Ausfall auch für quasistaatliche Schuldner wie Banken, Gebietskörperschaften und den Erdölkonzern YPF sein. Sie werden weniger Finanzierungskanäle haben, und die Kreditkosten werden steigen. Das läuft letztlich darauf hinaus, dass sie weniger investieren werden, was die angeschlagene Wirtschaft treffen könnte. 2014 könnte das BIP mehr als 3% schrumpfen. Die Kapitalflucht würde zudem die Devisenreserven schwinden lassen. «Der Peso wird abwerten müssen, und das wird die Inflation weiter anheizen», schreibt Carlos Caicedo vom Analystenhaus IHS. Die Inflationsrate beträgt bereits 40%. Mit der Krise von 2001, als die Wirtschaft fast stillstand und die Arbeitslosenrate auf 25% stieg, ist die Situation aber nicht zu vergleichen.

Sind andere Schwellenländer in Gefahr?

Da es kaum Abhängigkeiten gibt, ist kein Dominoeffekt zu erwarten. Argentinien ist ein lokales Problem, ausserdem war der Zahlungsausfall die Folge eines Gerichtsurteils und nicht einer Insolvenz. Das Land hatte zuletzt nur noch ein Gewicht von 1,4% im Straatsanleihenindex der Schwellenländer. Andere Staaten werden allerdings aus dem Fall Argentinien ihre Lehren ziehen, sollten sie auch einmal - in Zahlungsschwierigkeiten geraten und eine Umschuldung durchführen. Das Urteil gegen Argentinien hat gezeigt, dass eine Minderheit die Aufräumarbeiten nach dem Default gefährden und in die Länge ziehen kann, wenn es nicht in den Verträgen geregelt ist.

Was passiert mit den CDS?

Die internationale Vereinigung für Swaps und Derivate (ISDA) wird in den nächsten Tagen entscheiden, ob der partielle Zahlungsausfall die Kreditausfallswaps (CDS) auslöst. Die technischen Voraussetzungen wären im Prinzip gegeben. Am Donnerstag kletterte die CDS-Prämie zur Versicherung einer fünfjährigen Anleihe auf 20%.