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Kaffee mit...

Warum sich in einem Café treffen, wenn das Bistro im Theaterfoyer mit seinem Belle-Epoque-Stil ein stimmiges Ambiente bietet? Urs Blaser, treibende Kraft des Kleintheaters Kammerspiele Seeb vor und hinter den Kulissen, fühlt sich hier ganz in seinem Element. «Vom Konzept her ist es etwas Einzigartiges in der Kulturlandschaft», betont er.

Auf ungewöhnliche Weise verbindet sich in diesem Theaterhaus Kunst und Kulinarik. In den Achtzigerjahren musste sich Urs Blaser noch Kollegenschelte für die Kombination Theater und lukullischer Genuss anhören: «Geht’s noch, in der Kirche isst man ja auch nicht.» Doch der Erfolg gibt ihm recht: Mittlerweile stammt fast die Hälfte des Jahresbudgets von 1 bis 1,2 Mio. Fr. aus der Gastronomie, die ein bedeutender Teil des Gesamterlebnisses ist. Dank Speis und Trank ist es möglich, dass sich die Kammerspiele Seeb zu 80% selbst finanzieren – ein weit überdurchschnittlicher Wert in der Theaterszene. Der Rest stammt von Sponsoren, der öffentlichen Hand und einem Gönnerverein.

Ein Selbstläufer sei der Betrieb eines Theaters auf dem Land aber keineswegs, sagt Blaser: «Die Suche nach Sponsoren ist sehr aufwendig, ein permanenter Kampf.» Zudem muss um jeden Zuschauer gerungen werden, die Konkurrenz aus den Städten Zürich, Winterthur, Schaffhausen und St. Gallen ist riesengross, das Werbebudget klein – «und das Publikum gnadenlos». Über 90% der aufgeführten Stücke sind Eigenproduktionen, auch das ist speziell in einer Zeit, in der sich viele Theater in Kleinstädten aus Kostengründen auf Gastspiele beschränken.

Urs Blaser, man merkt es ihm im Gespräch immer wieder an, fällt der Spagat zwischen künstlerischem und wirtschaftlichem Anspruch nicht leicht. «Kunst und Kommerz zu verbinden, ist die Hauptschwierigkeit», meint er. Das Programm, zwei bis drei Stücke pro Saison, orientiert sich notgedrungen an einem breiteren Publikumsgeschmack. Blaser formuliert es so: «Es sind nicht die Stücke, die ich am liebsten zeigen würde, sondern solche, die eine gewisse Mehrheitstauglichkeit versprechen.»

Dem 58-Jährigen, der etwas Spitzbübisch-Verschmitztes bewahrt hat, ist Theater nicht in die Wiege gelegt worden. An die Schauspielschule gehen durfte er nicht. Seine Eltern wollten, dass er «etwas Rechtes» lernte an der Handelsschule. Einen grossen Teil der Kindheit erlebte Urs Blaser in der Fremde, sein Vater arbeitete für die Swissair. An die ersten drei Jahre in Karachi, Pakistan, hat er keine Erinnerung mehr. Wohl aber an die sechs Jahre in Beirut, «eine paradiesische Zeit»: Das Spielen in den Hinterhöfen mit andern Kindern habe wohl seine Affinität zum Theater geweckt. Im Alter von dreizehn Jahren gründete er zusammen mit seinem Bruder und zwei Kameraden ein Hobby-Theater in einer Scheune in Seeb, einem Ortsteil der zürcherischen Gemeinde Winkel.

Drei Jahrzehnte später erlebte Urs Blaser nach eigener Definition «eine zweite Pubertät». Weil das mittlerweile etablierte Theater in Seeb einer Überbauung zu weichen hatte, musste ein neuer Standort her. Kaum einen Kilometer entfernt, wurde er in Bachenbülach fündig, in der «Handorgeli», in der 1911 bis 1955 Handorgeln hergestellt wurden – «ein himmeltrauriges Abbruchobjekt mit undichtem Dach». Danach folgten sechs schwierige Jahre mit viel Fronarbeit, unter Mithilfe des lokalen Rotary-Clubs, und vielen bangen Stunden: «Wir wussten nie, ob es klappen würde, bis zum allerletzten Moment», erzählt der Theatermann.

Früher war Urs Blaser zu einem externen Halbtagesjob gezwungen, um das Theater durchzubringen. Unterdessen sind die Kammerspiele Seeb in der Schweizer Kleintheaterlandschaft ein fixer Wert und zu einem KMU gewachsen, mit 6 Fest- und 60 bis 70 Teilzeitangestellten. Aber es sei nicht einfach, passendes Personal zu finden, sagt er: «Es braucht ausserordentlich viel Enthusiasmus, und jeder muss bereit sein, im Vergleich zum früheren Job erhebliche finanzielle Einbussen hinzunehmen.»

Auch die Arbeitszeiten sind nicht jedermanns Sache. Während der Proben- und Spielzeit arbeitet Urs Blaser elf bis zwölf Stunden pro Tag. In den Monaten Mai, Juni und Juli hingegen beschränkt sich der Einsatz auf zwei bis drei Stunden. Blaser mag diese Schwankungen, er hätte Mühe, immer schön regelmässig zwischen 8 und 17 Uhr zu arbeiten. Das Hobby zum Beruf zu machen, kann aber auch seine Schattenseiten haben. Mit 50 trat Arthrose auf, eine chronische Gelenkerkrankung: «Mein Körper sagte Stopp!» Seither geht er fast jeden Tag schwimmen.

Blaser hat vor, die Verantwortung auf mehr Schultern zu verteilen, die Abhängigkeit von seiner Person zu reduzieren. Er selbst möchte sich mehr auf das Künstlerische konzentrieren. Als Schauspieler gedenkt er nicht mehr aufzutreten – «ich hätte die Ruhe und die Nerven nicht mehr!» –, wohl aber wieder mehr zu inszenieren: «Im Herzen bin ich Regisseur.» Regiearbeit hat Urs Blaser nach der Methode «Learning by doing» gelernt, eine Ausbildung gab es damals nicht.

Fast jeden Abend und an Matinees ist er im Theater anzutreffen. Wie viele Schauspieler im Kammertheater geniesst Urs Blaser den direkten Kontakt mit den Besuchern: «Das Schönste ist, wenn ich sehe, dass die Leute gestresst ankommen und heiter weggehen.»