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Kaffee mit...

Es gab eine Zeit, in der «paparazzo» zu den drei weltweit bekanntesten italienischen Begriffen gehörte. Die Figur des gleichnamigen Fotoreporters, der nachts durch die Strassen Roms zieht, um Prominente abzulichten, hatte Federico Fellini 1960 in seinem Film «La Dolce Vita» erfunden. Der bekannteste – und beruflich langlebigste – unter ihnen ist Rino Barillari, in Rom nur als König der Paparazzi bekannt. Als Treffpunkt schlägt er, wie könnte es anders sein, ein Café mit Namen «Dolce Vita» auf der Piazza Navona vor. Zum Teil als Erinnerung an die goldenen Jahre des Glamours, zum Teil aus Gewohnheit. Es ist sein Stammlokal, denn er wohnt gleich nebenan.

Zu seinen Lieblingsfotos zählt er Aufnahmen, die er Anfang der Sechzigerjahre von Robert Kennedy und Rudolf Nurejew machte. Der US-Justizminister und der russische Balletttänzer, der sich zuvor aus der Sowjetunion abgesetzt hatte, spazieren lachend und in ein Gespräch verwickelt die Via Condotti entlang. «Das war eine Sensation, denn die Welt steckte damals im Kalten Krieg», erläutert Barillari. Die Zeitungen rissen sich um die Aufnahmen.

Am besten verkauften sich Bilder, mit denen sich eine Geschichte erzählen liess, erklärt er. Bei Bedarf wurde nachgeholfen – und zwar von beiden Seiten. Ein Klassiker: Eine Schauspielerin, die sich und ihren neuen Film bewerben will, lässt sich vor einem Krankenhaus ablichten. Das Bild landet in der Klatschpresse als Beleg für die ansonsten völlig haltlose Behauptung, der Filmstar sei schwanger. Dass die Schauspielerin später dementiert, sichert ihr und dem Fotografen die nächste Bilderserie. Wenn der neue Film auch noch im ärztlichen Ambiente spielt, gibt’s eine weitere Geschichte und erfreut zusätzlich den Produzenten.

Die meisten Aufnahmen entstanden in den Cafés entlang der Via Veneto im Nordwesten der Stadt. Heute macht sie einen behäbigen Eindruck. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren hingegen war sie die wichtigste Ausgehmeile des internationalen Jetsets. «In den Nächten herrschte dort Hochbetrieb. Jeder wollte gesehen werden, und jeder legte Wert darauf, elegant gekleidet zu sein», erinnert sich Barillari, «egal, ob er aus Hollywood kam, aus einem Königshaus oder ob es einfache Touristen waren.»

In Harry’s Bar konnte es passieren, dass man Frank Sinatra am Klavier vorfand, erzählt Barillari.  In seiner fast sechzigjährigen Laufbahn hatte er sie alle vor der Linse, von Alfred Hitchcock bis Lady Gaga. Viele von ihnen begleitete – besser: jagte – er über Jahrzehnte. Sophia Lorens Chauffeur steckte ihm jedes Mal, wo sie gerade hinfuhr. Fellini fabulierte und führte ihn an der Nase herum, wie er es mit allen tat. Marcello Mastroianni erzählte ihm seinen Liebeskummer. Und Audrey Hepburn, die lange in Rom lebte, verzauberte den hartgesottenen Fotoreporter. «War sie in deiner Nähe, spürtest du zuerst den Duft eines zarten Parfüms», erinnert er sich.

Im Gespräch wird klar: Barillari ist vor allem Zeitzeuge. Er erzählt von John Paul Getty III., seinen nächtlichen Ausflügen bis zur Entführung 1973. Barillari ist es auch, dem die Entführer die Fotos zuspielen, die den Milliardärsenkel mit abgeschnittenem Ohr zeigen und den geizigen Grossvater zur Lösegeldzahlung zwingen sollen. Während der «Bleiernen Jahre» arbeitet Barillari als Fotojournalist für die Zeitung «Il Tempo». Seine Aufnahmen von Terroranschlägen führen dazu, dass die Roten Brigaden ihn selbst zum Ziel wählen. Er wird angeschossen. «Zum Glück ging die Kugel knapp am rechten Auge vorbei.» Anderthalb Jahre darf er nur mit Polizeischutz aus dem Haus. Pasolinis Mord, der Papstattentäter Ali Agca, die Mafia – Barillaris Fotos dokumentieren italienische Zeitgeschichte.

Inzwischen ist er wieder auf Promijagd. Stets trägt er eine kleine Systemkamera am Gürtel. «Für alle Fälle», sagt er. Was hält er von Selfies und Instagram? Barillari bestätigt, dass sie sein Metier fast zerstört hätten. Als Profi weist er darauf hin, dass durch Selfies das Sicherheitsrisiko für Prominente zugenommen hat. Der Abstand zum Fan sei kaum mehr aufrechtzuerhalten, häufig komme es zu Körperkontakt, gar Umarmungen. Für Promis sei das ein Albtraum. Es herrsche deshalb Angst. Ohne Bodyguard sei kaum noch jemand unterwegs.

Barillari könnte sich längst zur Ruhe setzen. Seine Fotos werden in Museen ausgestellt. Eben wurde ein Dokumentarfilm über sein Leben ausgezeichnet. Beim Verabschieden stellt er jedoch klar: Er hole nur noch schnell seine Kamera und gehe wieder auf die Pirsch durch das nächtliche Rom. Einmal Paparazzo, immer Paparazzo.