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Kaffee mit…

Es ist nicht ganz einfach, den unscheinbaren Mann in der Lobby des Zürcher Nobelhotels Baur au Lac ausfindig zu machen. In einem etwas zu grossen, schwarzen Wintermantel gehüllt sitzt er schliesslich da, Narayana Murthy. Dem Reporter bietet er mit sanfter Stimme eine Tasse Tee in feinem, weissem Porzellan an. Der schmächtige Mann nimmt sich Zeit, bevor er in leicht indisch gefärbtem Englisch in druckreifen Sätzen zu sprechen beginnt. «Ich hatte mir nie vorgestellt, Unternehmer zu werden. Für mein Umfeld wäre es wichtiger gewesen, dass ich in den Staatsdienst eintrete», sagt er. Murthy stammt aus einer Brahmanenfamilie und wurde 1946 in Mysore geboren, im Südwesten Indiens. Sein Aufstieg zu einer der bedeutendsten Persönlichkeiten des Landes begann eine dreistündige Zugsfahrt von Mysore entfernt, in Bangalore. Dort gründete er 1981 mit Ingenieurskollegen und einem Startkapital von 250 $ Infosys – heute ein globaler IT-Dienstleister mit 217 000 Mitarbeitenden, an der Börse 42 Mrd. $ schwer. 21 Jahre lang, bis 2002, leitete Murthy Infosys als Konzernchef, bis 2011 als Präsident. «Ich gehöre nicht mehr dem Unternehmen an. Ich habe schon lange losgelassen», will er festhalten.

Für Indien ist Infosys nicht irgendeine IT-Firma. Das Unternehmen steht sinnbildlich für den globalen Siegeszug der indischen IT-Industrie. Die Erfolgsgeschichte von Infosys sucht ihresgleichen, und doch war auch sie nicht vor Krisen gefeit. Zuletzt gab es 2017 negative Schlagzeilen wegen einer Akquisition und umstrittenen Entschädigungen an das Management. Auf die damaligen Probleme angesprochen, wird Murthy energisch. «Als grösster Einzelaktionär fühle ich mich verantwortlich, dass die Governance stimmt. Ich habe das Recht, aufzustehen und die Entscheidungen des Verwaltungsrats zu hinterfragen», sagt er. Murthys Widerstand gegen den Kurs «seines Unternehmens» endete mit dem Abgang des damaligen CEO, Vishal Sikka. «Ich kam nur vorübergehend zurück, als das Unternehmen Probleme hatte. Wir wählten einen neuen CEO, und dann ging ich wieder», sagt Murthy, um das Thema abzuschliessen.

Dass Infosys eine solche Erfolgsstory werden würde, hatte er sich nicht vorstellen können. «Es war auch nie das Ziel. Unser Ziel war es, das am meisten respektierte Unternehmen zu sein», sagt er. «Werte» und «Respekt» sind wiederkehrende Wörter in Murthys Sätzen. Den eigenen Wertekanon haben allen voran seine Eltern vorgelebt. «Mein Vater gab mir Grundwerte wie Fleiss, Ehrlichkeit und Bescheidenheit mit. Meine Mutter lehrte mich Mitgefühl und Opferbereitschaft. Meine Lehrer schliesslich bläuten mir ein, das Interesse der Gesellschaft vor mein eigenes zu stellen», sagt er. Murthy beschreibt sich als Anhänger der Lehren von Mahatma Gandhi und Max Weber. «Gandhi lehrte mich, mit eigenem Beispiel voranzugehen. Weber vermittelte mir die Wichtigkeit von Fleiss, Sparsamkeit und Ehrlichkeit. Die protestantische Arbeitsethik hat mich in all diesen Jahren gut angeleitet», sagt er.

Im Geiste war Murthy aber nicht immer Unternehmer. Es ist das Ergebnis eines Erkenntnisprozesses, der in den Siebzigerjahren begann. Murthy reiste damals per Anhalter von Paris nach Indien. Ein Schlüsselerlebnis hatte er in Niš, im damaligen Jugoslawien. Dort kam er ins Gefängnis. «Das einzige Verbrechen, das ich mir zuschulden habe kommen lassen, war, dass ich ein serbisches Mädchen angesprochen hatte», erzählt Murthy. «Ich wurde 140 Stunden in eine Zelle gesperrt, mit kaum etwas zu essen oder zu trinken.» Nach dieser Erfahrung sei ihm klar geworden, dass er sich nie einem System anschliessen könnte, das Menschen so behandelt. «Und so wurde ich von einem verwirrten Linken zu einem entschlossenen, mitfühlenden Kapitalisten», sagt der Milliardär.

Heute engagiert sich Murthy für die Jugend. «Ich habe grosses Vertrauen in die jungen Leute. Sie haben ein viel grösseres Bewusstsein für die Herausforderungen, die zu bewältigen sind, als ältere Generationen. Wenn die Jungen es nicht verstehen, ein friedliches und nachhaltiges Umfeld zu schaffen, wird es unseren Planeten nicht mehr sehr lange geben», stellt er fest. Befindet er sich nicht auf Reisen oder hält Vorträge, liest er viel. Zurzeit befasst sich Murthy mit Einsteins Relativitätstheorie, aber auch die Arbeiten der Physiker Georges Lemaître oder Alexander Friedmann faszinieren ihn. «Ich will Probleme lösen, ich geniesse das.» Diese Art Lektüre ermüde ihn aber schneller als früher, schmunzelt er.