Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Kaffee mit…

Eine Schulteroperation und vor allem acht Monate Arbeitsausfall könnte er sich nicht leisten. Also versucht es Michael Broger seit einigen Monaten mit Alternativtherapien, unter anderem mit dem Verzicht auf Kaffee. «Ich vermisse ihn nicht, und es geht mir besser», sagt der Winzer. Nun trinke er indischen Chai, um aufzuwachen. Als Treffpunkt hat er das Bistro Cartonage in Amriswil vorgeschlagen. Hier habe er früher oft zu Mittag gegessen, als er in den Wintermonaten noch auf einen Nebenerwerb angewiesen war.

Naheliegenderweise werden im Cartonage auch seine Weine ausgeschenkt – die er auswärts aber nie trinke: «Das wäre für mich wie Arbeiten», meint der Perfektionist. Wein solle ein Genuss sein. Michael Broger meidet Überseeweine, am liebsten kredenzt er sortenreine Tropfen anderer Schweizer Weinmacher, oft solche von Nachbarn. Zusammen mit ihm haben in unmittelbarer Nähe zu seinem Gut zunächst der verstorbene Hans Ulrich Kesselring vom Schloss Bachtobel, später dann auch dessen Neffe Johannes Meier sowie Michael Burkhart und Martin Wolfer dafür gesorgt, dass der Ottenberg bei Weinfelden im Kanton Thurgau (von wegen Mostindien) schweizweit bekannt wurde für hervorragende Blauburgunder.

Michael Broger wurde der Wein nicht gerade in die Wiege gelegt, doch schon eine dreijährige Lehre in Weintechnologie in Wädenswil zeigte, worin er seine Berufung sah. Nach Wanderlehrjahren im Ausland und acht Saisons bei Kesselring wollte er schliesslich im Rebberg «ausprobieren, was ich als Angestellter nicht durfte». 2003 kaufte Broger einem Förster ein Bauernhaus aus dem 18. Jahrhundert samt Umschwung ab. Seither sei er am Umbauen, meint er lachend.

Der Start als Winzer indessen war holprig: «Das Geld war stets sehr knapp», erzählt er. Eine goldene Nase lasse sich mit Weinbau nicht verdienen. Vielmehr sei viel Leidenschaft und Einsatz nötig. Auch jetzt sei es nicht einfach, er müsse immer dranbleiben, obschon er die Rebfläche auf 3 Hektar versechsfacht hat. Weinbau bedeutet hohe Investitionen, das Betriebskapital bleibt mehr als ein Jahr blockiert. 3 Hektar seien die untere Limite für einen wirtschaftlichen Betrieb, aber die Fläche expandieren kann und will Michael Broger nicht mehr.

«Doch uns geht es gut, es fehlt an nichts», sagt er. Als Selbstkelterer und Quasi-Einmannbetrieb kommt er kaum dazu, Geld für Ferien auszugeben – obschon er früher gerne in die Ferne reiste. Heute verbringt er viel Zeit zu Hause in seinem biodynamisch geprägten Mikrokosmos, zusammen mit seiner Lebenspartnerin Caroline, drei Kindern und einem tierischen Hofstaat. Broger hält unter anderem Wollsäue und Skudde-Schafe, eine vom Aussterben bedrohte Rasse. Aus ihnen metzget er eigenhändig Merguez, Kräuter- und Whisky-Bratwürste sowie Saucisse aux Choux, die auf dem Hof an zwei alljährlichen Weindegustationen serviert werden.

Ausser an Privatkunden, von denen er viele persönlich kennt,  vertreibt Broger seine Weine mittlerweile über ein «schönes» Händlernetz in der Schweiz. Vor fünfzehn Jahren musste er bei null anfangen. Das war auch ein Vorteil: «Ich konnte so mein eigenes Profil entwickeln», betont er. Michael Broger gilt in der Weinszene als Radikaler, als einer, der mit einem Minimum das Maximum herausholt, wie es die Zeitschrift «Vinum» treffend formuliert hat. Minimum heisst in Brogers Fall: möglichst wenig Chemie, Vergärung durch Naturhefe, wenig oder keine Filtration der Weine, kaum Schwefel. Der Winzer formuliert seine Philosophie so: «Ich produziere sicher keine massentauglichen Mainstream-Weine. Mein Ziel ist es, nicht den besten, sondern den ehrlichsten Wein zu keltern. Ich will den Jahrgang eins zu eins, mit Hochs und Tiefs, ins Glas bringen.» Dabei lässt er sich eher von Intuition und Erfahrung als vom Lehrbuch leiten.

Broger, sanftmütig, die Haare meist zu einem Schwanz zusammengebunden, ist auch ein Rebell. Sein Weingut ist, obschon naturnah bewirtschaftet, nicht zertifiziert. Er hat Mühe mit Verbänden und Organisationen, «am liebsten bin ich nirgends dabei». Ein Einzelgänger ist er freilich nicht, am Ottenberg pflegten die Winzer der jüngeren Generation ein gutes Verhältnis untereinander, sagt er.

Seine grosse Liebe gehört dem Pinot Noir, dieser facettenreichsten und tiefgründigsten aller Rebsorten. Der Blauburgunder Ottenberg «Alte Rebe», sein am höchsten dotierter Wurf, wird aus Weinstöcken gewonnen, die so alt sind wie der Winzer selbst, über 48 Jahre. Die Ernte für den Jahrgang 2018 begeistert ihn: «Sie ist wie erwartet gross und qualitativ top – einfach herrlich!», schreibt er per E-Mail nach dem Treffen. Wegen des Erntestresses habe er fast vergessen, das verlangte Selfie zu schicken, sein erstes überhaupt.

Dank der ungewöhnlich günstigen klimatischen Bedingungen in diesem Jahr begann die Traubenlese vier Wochen früher als üblich. Es gab kaum krankes Laub und keine Fäulnis, also auch keinen Ausfall von 20 bis 50%, wie Broger ihn wegen der Launen der Natur und des sehr dosierten Einsatzes chemischer Schutzmittel immer wieder in Kauf nehmen muss. Den Jahrgang 2018 schätzt er so ein: «Er wird ähnlich sein wie derjenige von 2015, das heisst, es sind sehr zugängliche Weine mit moderater Säure zu erwarten, die früh Freude bereiten.» Santé.