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Kaffee mit…

Eine Verwaltungsrätin mit Mandaten bei vier kotierten Unternehmen kurzfristig zu einem Kaffee treffen? Die Journalistin ist wenig optimistisch, als sie die Anfrage per E-Mail abschickt. Zu Unrecht. Ingrid Deltenre antwortet nach kurzer Zeit: Wie wäre es am Mittwoch? Das «Schiller» in Zürich biete sich an, es liege nur wenige Kilometer von ihrem Wohnort in Zollikon entfernt – und das nächste Treffen habe sie auch gleich dort. Schnell ist klar, Deltenre hat Energie für zwei.

Givaudan, Sunrise, BCV, Agence France-Presse, Deutsche Post DHL: Deltenres Mandate sind nicht nur zahlreich, sondern auch vielfältig. «Ich habe mich schon immer für vieles interessiert», antwortet sie mit ihrem gewinnenden Lachen. So hat sie neben Publizistik in Zürich auch biologische Anthropologie studiert. Sie behalte stets andere Branchen im Blick. «Dabei lerne ich viel und hoffe, den Unternehmen, in denen ich tätig bin, etwas zurückgeben zu können.» Es sei zudem sicher etwas Zufall dabei, dass sie bei diesen Gesellschaften gelandet sei.

Der Öffentlichkeit ist Deltenre wohl hauptsächlich als Direktorin des Schweizer Fernsehens bekannt geworden. Als sie 2003 den Posten übernahm, war ihre Wahl umstritten. Denn sie war als Einzige nominiert worden. Zudem verfüge sie über zu wenig publizistische Erfahrung, monierten ihre Kritiker. Die heute 58-Jährige liess sich davon nicht beirren und setzte damit eine rasante Karriere in der Medienbranche fort. Davor hatte sie fünf Jahre lang als Verlagsleiterin das Wirtschaftsmagazin «Cash» aufgebaut. Es waren die glorreichen Neunzigerjahre. Der Journalismus blühte. «Am Anfang meiner Karriere hatte ich ein Riesenglück», blickt Deltenre zurück. Die Unternehmen, denen sie beitrat, waren im Wachstum begriffen. In der zweiten Phase der Karriere seien es dann Turnaround-Geschichten gewesen, wo sie sich unter Beweis stellen konnte.

In diesen Positionen habe sie Rüstzeug gesammelt. Rüstzeug, damit später Leute aus den Verwaltungsräten und den Personalabteilungen auf sie aufmerksam wurden. Heute zweifelt wohl niemand mehr daran, dass sie das Zeug für den Verwaltungsrat mitbringt: Deltenre war in verschiedenen Unternehmen an der Strategieentwicklung beteiligt und bringt unter anderem Erfahrung in der Digitalisierung mit. Gerade in den Medien sei das natürlich gesucht gewesen. «Dass ich eine Frau bin, war sicher förderlich», nimmt sie vorweg. «Dazu eine mit Führungserfahrung, gerade in exponierten Unternehmen – denken Sie an das Schweizer Fernsehen.» Mittlerweile sei allen klar, dass reine Männergremien nicht die Zukunft seien – «zumindest in den Unternehmen, in denen ich tätig bin», fügt sie an.

Sie sei überzeugt, dass die Diversität die Unternehmenskultur verändert. «Wichtig ist die Vorbildfunktion. Zu sehen, dass da Frauen sind, die es auch geschafft haben.» Frauen würden sich oft weniger in den Vordergrund stellen, seien eher die stillen Macherinnen. Wer sich bewegen müsste, damit die Gremien weiblicher werden? «Eher die Geschäftsleitung und die Personalabteilungen als die Kultur.» Zudem sei eine gewisse Infrastruktur, die die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere verbessere, längst fällig, etwa wenn es um das Betreuungsangebot über Mittag gehe.

Deltenre ist im Stiftungsrat der Schweizer Berghilfe und an der Universität Zürich tätig. Sie ist Präsidentin des Executive MBA. «Im Zentrum steht die Frage, was für Führungskräfte wir wollen.» Zu den wichtigen Eigenschaften dafür gehörten Leidenschaft, Mut und ein sicherer Wertekompass. Das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber den Unternehmensleitungen sei zum Teil von diesen verschuldet. «Der Verwaltungsrat hat eine Aufsichts- und Kontrollaufgabe. Es scheint, als würde die nicht überall wahrgenommen.» Man müsse auch eine unbequeme Rolle einnehmen.

Bequemlichkeit scheint Deltenre ohnehin nicht zu behagen. Mit Blick auf die derzeitige politische Situation, gerade gegenüber Europa, kritisiert sie, dass sich die Schweiz zu sehr auf dem bisher Erreichten ausruhe. Wir befänden uns hierzulande in einer komfortablen Lage, die aber keineswegs gesichert sei. Sie kennt es auch anders. Bereits als Kind war sie viel unterwegs: Wegen der Stelle ihres Vaters als Ingenieur bei Brown, Boveri & Cie. (BBC) habe die Familie längere Zeit im Ausland gelebt. «Wenn ich in die Schweiz zurückgekehrt bin, war das wie das Paradies.» Die ständige Transformation der heutigen ABB habe sie zudem gelehrt, dass man Altes aufgeben müsse, um Neues zu schaffen. «Dafür braucht es Mut und Risikobereitschaft.» Und eine grosse Portion Energie.

Ingrid Deltenre ist eine von drei für den Women’s Board Award nominierten Verwaltungsrätinnen. Die Verleihung findet am 24. Juni statt.