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It’s the Dow, stupid!

Auf die Wirtschaft kommt es an, Dummkopf! – dieser in den Neunzigerjahren geprägte Slogan hat immer wieder amerikanische Präsidentenwahlen entschieden. Gerade wenn der Amtsinhaber erneut antritt, geht es in den unmittelbar vor der Stimmabgabe so wichtigen Fernsehduellen zwischen republikanischem und demokratischem Kandidaten im Kern eigentlich nur um zwei Fragen: Haben mehr oder weniger Menschen einen Job als vor vier Jahren? Sind die Jobs besser oder schlechter bezahlt als früher?

Das sind die zentralen Alltagsthemen, die für die Wähler und ihre Familien wirklich wichtig sind. Alles andere ist mehr oder weniger nebensächlich. Auch für den Durchschnittsamerikaner bleibt die grosse Geopolitik eben relativ weit aussen vor.

Stärker noch als in der Vergangenheit dürfte 2020 die wirtschaftliche Lage der Schlüsselfaktor für den Sitz im Weissen Haus sein. Denn Donald Trump hat seine nun noch anderthalb Jahre laufende Präsidentschaft unter dem Dogma des «America First» auf zwei ganz einfache Regeln aufgesetzt: Kauf amerikanische Produkte, und stell amerikanische Arbeitskräfte ein. Bei aller europäischen Kritik an Donald Trumps ungehobelter Twitter-Diplomatie kann der Amtsinhaber beträchtliche Erfolge vorweisen (die auch – im wenig wahrscheinlichen Fall, dass Donald Trump selbst nicht wieder antreten wird – republikanischen Nachfolgern zugutekommen würden).

Börse performte besser unter Obama

Unwichtig, ob dank oder trotz Donald Trump, die US-Wirtschaft entwickelt sich weiterhin durchaus positiv. Allen immer wieder geäusserten Ängsten zum Trotz war die letzte Rezession vor exakt zehn Jahren, und es gab in den vergangenen fünf Jahren nicht ein einziges Quartal ohne Expansion. Das aktuelle Jahreswachstum des realen Bruttoinlandprodukts liegt knapp unter 3% und damit oberhalb des Potenzials. Die Arbeitslosenquote ist mit 3,6% so niedrig wie seit fünfzig Jahren nicht mehr, die Beschäftigung erreicht Rekordniveau. Auch der Lohnzuwachs ist solide über 3% gegenüber dem Vorjahr. Der Mann im Weissen Haus hat geliefert, was er versprochen hat – beste Voraussetzungen für die Wiederwahl.

Allerdings, und für Donald Trump durchaus ein möglicher Stolperstein, ist der Amtsinhaber ein Mann der Wall Street, nicht der Main Street. Sein Erfolg misst sich in Investments und Renditen, nicht in Beschäftigung und Mindestlöhnen. It’s the Dow Jones, stupid, lautet sein Credo. Bis anhin hat er auch da seine vollmundigen Ankündigungen eingehalten und viele Erwartungen erfüllt. Zum Zeitpunkt des Amtsantritts im Januar 2017 lag der Dow Jones leicht unter 20 000, heute steht er über 26 000 – ein Plus von gut 30%.

Aber, und da beginnt das Trump’sche Drama, sein Vorgänger Barack Obama sorgte in den acht Jahren seiner Präsidentschaft von Januar 2009 bis Januar 2017 für eine Verzweieinhalbfachung des Dow Jones und hatte bei Halbzeit bereits eine Wertsteigerung von fast 50% zu Buche stehen. Ausgerechnet das demokratische Weichei sorgte bei den Kapitalisten für mehr Wertsteigerung und Profit als der republikanische Hardliner.

Donald Trump erhöht den Druck auf Jerome Powell

Spätestens hier offenbart sich das Trump’sche Dilemma. Er sorgt zwar für einen Boom der Beschäftigung, doch nicht so sehr an der Börse. Im Gegenteil beschleicht Anleger die Sorge, dass der Präsident mit ungehobelter Rhetorik und grimmigen Twitter-Botschaften den Bogen überspannt hat. Die Handelskonflikte mit China, Mexiko und der EU führen zu steigender Unsicherheit und getrübten Zukunftsaussichten, was nicht nur die Konjunkturentwicklung – weltweit und auch in den USA – bremst, sondern auch Unternehmensgewinne und damit Aktienkurse. «America First» lässt sich selbst für die riesigen USA nicht im nationalen Alleingang realisieren.

Um die Zuneigung von Wall Street nicht zu gefährden, hat Donald Trump in den vergangenen Monaten den Druck auf Jerome Powell, den Chef der Notenbank Federal Reserve, erhöht, eine Zinswende einzuleiten und die in den letzten Jahren vorgenommene Anhebung der Leitzinsen zu korrigieren, also für sinkende Zinsen, billigeres Kapital, stärkere Expansion und damit steigende Börsenwerte zu sorgen.

Die Wahrscheinlichkeit einer baldigen Zinssenkung des Fed steigt, was im Umkehrschluss für die Europäische Zentralbank und die Schweizerische Nationalbank wohl bedeutet, dass sie noch weit länger als von manchen erwartet und von vielen erhofft an ihrer Null- und Negativzinspolitik werden festhalten müssen, um eine Aufwertung von Euro und Franken gegenüber dem US-Dollar zu verhindern, denn das würde hiesige Exporte verteuern und Importe aus der übrigen Welt verbilligen. Anders ausgedrückt: Eine Normalisierung der Zinslandschaft in Europa und der Schweiz ist auf lange Zeit nicht in Sicht.

Auch amerikanische High-Tech-Firmen sind auf das Ausland angewiesen

Wie sensibel jedoch der vermeintliche Hardliner Donald Trump das Wechselspiel von Interessen der Finanzmärkte und der Wirtschaft insgesamt handhabt, zeigt sich an einer Strategieanpassung in den Handelskonflikten mit China, Mexiko und der EU. Entgegen allen in den vergangenen Wochen erhobenen Drohungen, für chinesische Güter die Strafzölle noch einmal zu erhöhen und Autoimporte aus Mexiko mit Einfuhrzöllen von bis zu 25% zu belegen, sollte Mexiko die illegale (Transit-)Wanderung in die USA nicht unterbinden, ist nichts davon (bis anhin) politisch umgesetzt worden.

Im Gegenteil: Jeweils kurz vor Ablauf der Deadlines kam es zu einer Kehrtwende. Der Präsident verkündete, dass Strafmassnahmen vorerst aufgeschoben, vielleicht sogar ganz fallen gelassen würden oder erst nach weiteren Gesprächen in Kraft träten.

Ganz offensichtlich weiss – oder zumindest ahnt – Trump, dass Protektionismus und Handelskonflikte nicht die zielführenden Instrumente sind, um «Make America great again» Realität werden zu lassen. Auch amerikanische High-Tech-Firmen sind auf Zulieferungen aus dem Ausland angewiesen, von qualitativ hochwertiger Software über spezielle industrielle Hardware bis zu seltenen Erden und billigen Rohstoffen.

Technologieführerschaft in künstlicher Intelligenz und Marktführerschaft in Big Data sind im Zeitalter der digitalisierten Globalisierung weit besser geeignete Strategien, um Amerikas Position in der Welt(wirtschaft) und besonders gegenüber China zu stärken. Dafür jedoch bedarf auch der Trumpismus offener Märkte – zumindest für Daten, Dienstleistungen und Finanztransaktionen.

Konflikte weniger wahrscheinlich

Donald Trump will zwar Wall Street gefallen, doch auch für ihn gilt, dass es letztlich die Main Street sein wird, die ihn (wieder)wählen soll. Deshalb wird er zunächst nicht mit Mexiko einen Konflikt anzetteln, der in besonderem Masse Texas schadet, einem der Bundesstaaten, die für den Wahlausgang 2020 besonders entscheidend sein werden. Genauso wenig wird er die wirtschaftliche Prosperität in denjenigen Südstaaten oder Regionen des Mittleren Westens gefährden, die Massen billiger lateinamerikanischer Arbeitskräfte – darunter viele illegale – (aus)nutzen oder die auf Vorleistungen aus oder Absatzmärkte in China oder Mexiko angewiesen sind.

Für die EU und die Schweiz hat der lange Vorlauf zu den Präsidentschaftswahlen am 3. November 2020 eine gute Nachricht parat. Handelskonflikte sind vorerst weit weniger wahrscheinlich als von vielen befürchtet. Entsprechend geringer sollte die allgemeine Unsicherheit sein, und umso positiver dürfte sich die Konjunktur in diesem und im kommenden Jahr entwickeln. Donald Trump erweist sich als Symbolpolitiker, der zwar twittert und zetert, dann aber doch ganz pragmatisch bei allem Tun und Handeln seine Wiederwahlchancen im Auge hat. Am Ende kommt es eben doch auf die Wirtschaft und nicht auf die Wall Street an.