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Indonesiens unterschätzte Stärken

Südostasien ist Zwischenland – ein weites Feld der Begegnung zwischen dem chinesischen Kosmos und der indischen Welt. Die beiden alten Hochkulturen haben deutliche Spuren hinterlassen. Ab dem 15. Jahrhundert hatten sich auf der Suche nach dem legendären Reichtum der Gewürzinseln Niederländer, Portugiesen, Spanier, Briten und Franzosen nach Südostasien aufgemacht. Aus den europäischen Kolonialbesitzungen resultierte nach der Errichtung der modernen Nationalstaaten in Südostasien ein besonders buntes Gemisch, das von den mehrheitlich katholischen Philippinen über die muslimischen Staaten Indonesien und Malaysia bis zum buddhistischen Thailand reicht.

Es ist diese Vielfalt bzw. war der Kalte Krieg, der in Indochina in einen heissen Krieg ausartete, der  in der Aussenwelt die Wahrnehmung Südostasiens als eines  grossen gemeinsamen Marktes lange Zeit verhinderte. Inzwischen haben geopolitische Veränderungen in der Region sowie das Wachstum der urbanen Mittelschichten das Bewusstsein, dass Südostasien eine chancen- und risikoreiche Schicksalsgemeinschaft ist, gestärkt. Unbestrittene Vormacht in dieser Region ist Indonesien, das 40% der Gesamtbevölkerung von über 625 Mio. stellt und beinahe die Hälfte der Landmasse des südostasiatischen Staatenbunds Asean  umfasst.

Wie es seiner Wirtschaftskraft entspricht, ist Indonesien heute Mitglied der Gruppe der G-20, der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Doch insgesamt beansprucht der riesige Inselstaat auf internationalen Foren noch immer wenig Prominenz. Am markantesten trat Jakarta international unter seinem charismatischen Gründerpräsidenten Sukarno (im Amt 1945 bis 1967) in Erscheinung. Er hatte, zusammen mit dem Inder Nehru und dem Chinesen Chou En Lai, die afroasiatische Bewegung gegründet. Unter Präsident Suharto (1967 bis 1998) schottete sich das Land, das wegen seiner korrupten Familiendiktatur weitherum geächtet wurde, vom Ausland ab.

Schrittweise Stabilisierung

Nach der Jahrtausendwende haben sich die politischen Verhältnisse schrittweise stabilisiert, und im vergangenen Jahr gab es nach freien Wahlen eine geordnete Machtübergabe an der Staats- und Regierungsspitze. Dies ist in einem Land der Dimensionen Indonesiens keine Selbstverständlichkeit. Die politische Stabilität ist auch bemerkenswert, weil Indonesien die weltweit grösste Muslimbevölkerung beherbergt. Nichts liegt näher als die Furcht, dass extreme islamistische Gruppen auch in Indonesien Fuss fassen könnten. Bombenattentate, die jüngst mitten in der Kapitale Jakarta grosse Schäden verursachten, lassen immer wieder Befürchtungen über die Stabilität des Landes hochkommen.

Sachgerechte Risikoanalysen sind bei jedem asiatischem Staat, bei jedem asiatischen Markt ein sehr anforderungsreiches Unterfangen. Allzu rasch sind Analysten mit oberflächlichen und einseitigen Urteilen zur Stelle. Dies gilt besonders für Indonesien, das, von Katastrophenmeldungen abgesehen, einen marginalen Raum in der globalen Presse einnimmt. Während Singapur, Hongkong und Peking Magneten für Auslandkorrespondenten sind, fristet Jakarta zumindest in den westlichen Medien ein Schattendasein.

Wichtige Entwicklungen sind deshalb unter den internationalen «Radar» geraten. Wir denken vor allem an drei Themen: den nationalen Zusammenhalt, die religiöse Frage und den wirtschaftlichen Aufbruch. Als Indonesien in der Spätzeit von Suhartos Herrschaft im Chaos versank und der von der Asienkrise von 1997/98 noch beschleunigte Bankrott mehrerer indonesischer Fluggesellschaften die Luftverbindungen zu vielen entlegenen Inseln zusammenbrechen liess, hielt niemand mehr viel auf den nationalen Zusammenhalt des Landes. Übersehen wurde die traditionell starke Position der Streitkräfte als Garant des nationalstaatlichen Zusammenhalts.

Nicht zuletzt dank einer aufgeklärten Erziehungspolitik, aber auch wegen einer traditionellen verfassungsrechtlichen Verpflichtung auf religiösen Pluralismus hat Indonesien eine moderate Entwicklung des Islams verwirklicht. Zu denken ist in diesem Kontext an die Einbindung der konfessionellen Schulen in zeitgemässe Lehrpläne, die dafür sorgen, dass die Schüler alle für das Leben in einer modernen Gesellschaft nötigen Fertigkeiten und Kenntnisse vermittelt erhalten. Man vergleiche dies mit den Koranschulen in Pakistan, die ausser dem Studium des heiligen Buches den Schülern nichts vermitteln und sie damit zu einem beruflich perspektivlosen Leben verurteilen.

Geopolitik führt dazu, dass sich der Fokus der wirtschaftlichen Entwicklung in Südostasien verstärkt auf Indonesien richtet. Vor allem Japan hat in den vergangenen Jahren die Bedeutung Indonesiens für das Eindämmen des chinesischen Hegemoniestrebens in Asien erkannt. Tokio setzt in seiner Geostrategie aus verfassungsrechtlichen und historischen Gründen nicht auf die militärische Karte, sondern auf Wirtschaftsbeziehungen. Traditionell hat Tokio substanzielle Mittel der Entwicklungshilfe nach Indonesien vergeben. Heute sind es indessen japanische Konzerne, die ihr Engagement in Indonesien ausbauen. Nicht zuletzt spielt dabei auch eine Rolle, dass sie wegen der schrumpfenden Bevölkerung auf dem Heimmarkt immer weniger Wachstumsmöglichkeiten sehen.

In jüngster Zeit haben auch indische Konzerne begonnen, ihre Präsenz in Indonesien zu verstärken. Jakarta hat grosse Vorhaben für den Ausbau der Infrastruktur im Visier. Vor allem geht es auch darum, Standortalternativen zur völlig übervölkerten Hauptinsel Java zu schaffen. Indische Unternehmen wie Tata oder Larsen & Toubro sind willkommene Partner bei diesen Plänen. Sie verfügen auf der einen Seite über die nötige Erfahrung mit Grossprojekten und sind andererseits in der Lage, sehr kostengünstig zu arbeiten.

Grosses Humankapital

Darüber hinaus sind wichtige interne sozioökonomische Fortschritte in Rechnung zu stellen. Ungeachtet der Tatsache, dass es in Indonesien nach wie vor grosse Armut gibt und dass das Land auf dem Arbeitsmarkt mit riesigen Herausforderungen zu kämpfen hat, sind auch hier die urbanen Mittelschichten seit der Jahrtausendwende stark gewachsen. Indonesien hat damit Anteil an einer generellen asiatischen Entwicklung.

Marginalisierung, Abgeschlossenheit und ein nicht zu verkennender Nationalstolz haben Indonesien an den Rand der globalen Aufmerksamkeit gedrängt. Verkannt wurde deshalb das gewaltige Potenzial, das Indonesien nicht nur an Rohstoffen und Energiequellen, sondern auch an Humankapital besitzt. Viel kleinere südostasiatische Volkswirtschaften wie beispielsweise Vietnam sind derweil ins Rampenlicht der globalen Öffentlichkeit getreten. Man denke auch, welch riesiges Aufheben in den vergangenen Jahren um Myanmar gemacht wurde, obschon seine Volkswirtschaft nur einen Bruchteil der indonesischen ausmacht.

Es ist zu erwarten, dass sich an dieser internationalen Wahrnehmung in den kommenden Jahren vieles ändern wird. Indonesien steht bereit, sowohl innerhalb der G-20 als auch in den beiden wichtigen Zonen des Indischen Ozeans und des Südchinesischen Meeres eine wesentlich grössere Rolle wahrzunehmen, als dies bisher der Fall war. Indonesiens Auftritt auf der Weltbühne lässt sich zwar nicht mit dem Aufwachen des schlafenden chinesischen Drachen gleichsetzen, doch für lukrative Überraschungen ist das riesige Inselreich stets gut.

Die Welt sollte sich vielleicht darauf besinnen, dass einst die Gewürzinseln zu den begehrtesten Destinationen des Welthandels gehört hatten und dass um ihretwillen der Seeweg nach Indien und der amerikanische Doppelkontinent entdeckt wurden.