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Heute Schulden – morgen Steuern

David Ricardo gehört neben Adam Smith zu den wichtigsten Vertretern der ökonomischen «Klassik» im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Besonders bedeutend war Ricardos Theorie der komparativen Vorteile, die die Aussenhandelstheorie bis in die Gegenwart entscheidend verändert hat.

Weniger bekannt ist, dass Ricardo mit seiner Theorie zur Ricardianischen Äquivalenz auch die Finanzwissenschaften wesentlich beeinflusst hat: Sein Äquivalenztheorem lässt sich erstmals in seinem Werk «Essay on Funding Systems» (1820) nachweisen. Es beschäftigt sich mit der Reaktion des Sparverhaltens privater Haushalte auf Steuersenkungen oder schuldenfinanzierte Staatsausgabenerhöhungen.

Ricardo argumentiert: Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen. Es mache für Bürger keinen Unterschied, ob die Schulden auf einen Schlag oder über Jahre durch Steuern abbezahlt werden müssten.

Entsprechend laut hallte David Ricardos Stimme 1819 denn auch durch das britische Unterhaus: «Of all the evil, the national debt, and the consequent amount of taxation, was the great cause.» Das Übel der Schulden müsse abgebaut werden, forderte er – und dies auf einen Schlag.

Mithilfe der Besteuerung von Vermögen wollte er die Schulden, die durch die napoleonischen Kriege gestiegen waren, abbauen, denn die Schuldenlast erhöhte die Lebensmittelpreise und belastete die Wirtschaft. Doch die Abgeordneten waren wenig begeistert. Ricardos klare Worte, ebenso wie seine theoretischen Erwägungen, erschienen zu radikal.

Die Ausgabenneigung der Politik

Sind Ricardos Überlegungen veraltet? Keineswegs: Die Staatsverschuldung ist gegenwärtig wieder eine zentrale Herausforderung. In den OECD-Ländern hat sich die öffentliche Bruttoverschuldung seit der grossen Rezession von 2008 markant erhöht. Mit durchschnittlich über 100% des BIP lastet heute ein Schuldenstand auf den öffentlichen Haushalten, wie er in Friedenszeiten noch nicht gesehen wurde.

In der Eurozone liegt der Wert etwas niedriger. Während in Deutschland die Verschuldung gesunken ist und im kommenden Jahr der Schuldenstand das Maastricht-Kriterium von 60% des BIP unterschreiten dürfte, lässt sich bei wichtigen anderen Euroländern allerdings nicht einmal eine Stabilisierung der Schulden beobachten.

Die Phase extrem niedriger Zinsen – die Zeit für den Schuldenabbau – wurde vielerorts nicht genutzt. In Italien etwa ist der Schuldenstand rekordhoch, und es besteht keine Aussicht auf höheres Wachstum. Die Schwellenländer Türkei und Argentinien stecken mit überdurchschnittlich hoher Auslandverschuldung in grossen Finanzierungsschwierigkeiten.

Chinas Schulden konzentrieren sich zwar v. a. auf den Unternehmenssektor, doch angesichts der Überkapazitäten in vielen Sektoren lässt es sich durchaus von einer Schuldenblase sprechen, die in einer staatlich gelenkten Wirtschaft auch für die Staatsfinanzen zum Problem werden kann. In den USA sind die privaten Haushalte zwar deutlich geringer verschuldet als 2008, der öffentliche Sektor hingegen hat eine Schuldenquote von 105% des BIP.

Was bedeutet das alles für die Zukunft? Wenn wir Ricardo ernst nehmen, dann sind nicht die Bruttoschulden der Staaten als solche das Problem, sondern die sich dadurch offenbarende Ausgabenneigung der Politik. Ihr kann man mittelfristig nur mit Ausgabenkürzungen oder mit Steuererhöhungen begegnen, oder mit einer Mischung.

Eine besonders rigide Kürzung von Ausgaben ist unter dem Begriff Austerität bekannt – und weckt Erinnerungen an die Dreissigerjahre. Nach dem Börsencrash 1929 blieb den grossen Industriestaaten im Rahmen des Goldstandards nur der Weg, die öffentlichen Haushalte über drastische Budgetkürzungen zu konsolidieren.

In den USA stutzte Präsident Herbert Hoover die Ausgaben zurück, in Deutschland Reichskanzler Heinrich Brüning, in Frankreich war es die Nationalbank, die der Regierung Sparmassnahmen verordnete. Die Ergebnisse der Einschnitte waren für die Länder bedrückend: Die Arbeitslosenrate schnellte in die Höhe, die Wirtschaft brach ein. Nicht minder drastisch waren die politischen Folgen, etwa Hitlers Machtübernahme.

Dann doch lieber höhere Steuern? Allerdings: Die Steuer- und Abgabenlast ist bspw. in der EU bereits auf über 40% des BIP gewachsen. Auch das sind in Friedenszeiten bemerkenswert hohe Werte. Es fragt sich, wie stark die Steuerschraube noch angezogen werden kann, ohne dass es zu schmerzhaften Ausweichbewegungen in die Schattenwirtschaft und damit zu einer echten Gefahr für Staat und Demokratie kommt. Bleibt also langfristig nur der Ausweg über den erzwungenen Gläubigerverzicht durch staatlichen Zahlungsausfall?

Nein, denn langfristig gibt es Alternativen – im Rahmen der Schuldenprävention. Die Schweiz ist heute im internationalen Vergleich solide finanziert. Das war nicht immer so. Die Rezession der Neunzigerjahre etwa war einschneidend: Bund, Kantonen und Gemeinden brachen die Einnahmen weg, die Ausgabendisziplin war auf einem Tiefststand.

Die Verschuldung schnellte binnen nur eines Jahrzehnts rund 20 Prozentpunkte hoch auf fast 50% des BIP. Dennoch geht es der Schweiz zwei Jahrzehnte später besser als vielen anderen Industrieländern. Die Divergenz ist eindrucksvoll; sie lässt sich an einem Punkt festmachen: dem Jahr 2003. Warum?

Nach einigen temporären Massnahmen zur Schuldenstabilisierung wurde 2003 die sogenannte Schuldenbremse in die Bundesverfassung aufgenommen. Volk und Stände hatten diese wichtigste Fiskalregel zuvor mit  84,7% Ja und klarem Mehr in allen Kantonen angenommen. Die Schuldenbremse soll den Hang der Politik zu mehr Ausgaben durch eine kluge Selbstbindung eindämmen.

Ihr Kernstück ist eine einfache Regel: Über einen Konjunkturzyklus hinweg dürfen die Ausgaben nicht grösser sein als die Einnahmen. Der jährliche Plafond für die Ausgaben wird an die Höhe der Einnahmen gebunden und bedeutet: Überschüsse in guten, Defizite in schlechten Zeiten. Über einen ganzen Konjunkturzyklus hinweg ist die Rechnung ausgeglichen. Die Architektur der Schuldenbremse ist so geeignet, den Fehlanreizen im öffentlichen Haushalt entgegenzuwirken.

Wie Odysseus den Sirenen widerstand

Die Schuldenbremse hat sich bewährt. Die Lage des Bundeshaushalts hat sich seit ihrer Einführung markant verbessert. Die Zahlen sind beeindruckend. Seit 2003 wies die ordentliche Finanzierungsrechnung des Bundes in elf von fünfzehn Jahren einen Überschuss aus. Dies hat zu einem nominalen Abbau der Schulden des Bundes seit 2003 um 28 Mrd. Fr. auf gegenwärtig 93 Mrd. Fr. geführt.

Das geschah nicht zufällig. Eine von mir und Michele Salvi durchgeführte konterfaktische Analyse zeichnet hierzu ein klares Bild: Die Schuldenquote des Bundes wurde von 2003 bis 2010 mithilfe der Schuldenbremse um 17 Prozentpunkte gesenkt. Die empirische Evidenz spricht demnach für eine ursächliche Senkung der Bundesschuldenquote durch die Schuldenbremse – sie ist ein entscheidender Erfolgsfaktor in der Bundesfinanzpolitik. Sie hat im Volk einen guten Ruf und wirkt dadurch stark bindend auf den politischen Prozess.

Der damalige Bundesrat Kaspar Villiger erklärte es im Abstimmungskampf 2001 so: «Die Schuldenbremse macht finanzpolitische Disziplin zur Regel. Wenn sich schon Odysseus an den Mast binden liess, um nicht den Gesängen der Sirenen zu erliegen, so ist es gewiss nicht schlecht, wenn sich auch die Politik gegen Verführungen wappnet.» Der Ruf nach Fiskalregeln ist deshalb keine Mode, sondern eine durch die politökonomische Theorie wie auch die fiskalpolitischen Erfahrungen begründete Notwendigkeit.

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