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Förderer der Entdecker

Mag sein, dass das europäische – oder das europäisch-amerikanische – Zeitalter sich dem Ende neigt. Mag sein, dass sich eine «natürliche» Machtordnung etabliert, mit den Milliardenreichen China und Indien an der Spitze. Mag sein, dass die weltweite Vormacht vergleichsweise kleiner, vielfältiger Völker am zerklüfteten Westende Eurasiens in den kommenden Jahrzehnten als Zwischenspiel in die Geschichte eingehen wird. Doch zumindest als eines, das die Welt unwiderruflich verändert hat.

Portugal etwa, ein kleines, armes Königreich am vergessenen Rande Europas. Aus diesem Ländchen entstand, entgegen jeder Wahrscheinlichkeit, eine gigantische Weltmacht, die erst 1975 endgültig verging; heute ist Portugal eine kleine Republik am bedürftigen Saum der Eurozone.

Es war ein nachgeborener Prinz, der den Europäern den Weg in die weite Welt öffnete: Infante Dom Henrique de Avis, dritter überlebender Sohn des Königs João I., ohne Hoffnung auf die Thronfolge. Die Nachwelt nennt ihn, zu Recht, «o navegador», den Seefahrer, obwohl er an Land blieb. Dem neugeborenen Heinrich soll geweissagt worden sein, er werde aufbrechen «zu grossen und edlen Eroberungen, zur Entdeckung des Unbekannten».

Prinz Heinrich war ein Renaissance-Fürst, neugierig auf Erkenntnis und unbefangen vom alten Irrglauben, die Erde sei eine Scheibe. Sein Rang, seine Ämter und seine bedenkenlose Schuldenmacherei ermöglichten es ihm, Expeditionen zu finanzieren.

Um 1420 stiessen portugiesische Kapitäne westwärts im Atlantik auf Madeira und die Azoren. Danach begann das «Kap-Springen»: Heinrich liess den Seeweg nach Indien suchen (es war den Europäern schliesslich nicht verborgen geblieben, welche Profite die arabischen Zwischenhändler auf Waren aus China und Indien herausschlugen). 1422 gelangten die Portugiesen erstmals über das Cabo Não hinaus (vielsagend das Kap Nein), im Süden des heutigen Marokkos. Weiter die afrikanische Küste hinunter waren Araber und Europäer zuvor nicht gesegelt. «Quem passa o Cabo de Não ou tornero ou não», hatte die Seemannsregel geheissen. Wer das Kap Nein umfährt, kehrt zurück – oder auch nicht.

1434 passierte Kapitän Gil Eanes, auch gechartert von Heinrich, sogar das Kap Bojador, das bis dahin als schlicht unpassierbar gegolten hatte (es liegt etwa in der Mitte der Westsahara, derzeit unter marokkanischer Verwaltung); zuvor war über ein Dutzend Versuche fehlgeschlagen. Zehn Jahre später schafften es Nuno Tristão und Antão Gonçalves zum Cabo Branco, im heutigen Mauretanien. 1444 schliesslich passierte Dinis Dias den westlichsten Punkt des afrikanischen Kontinents, das Cabo Verde, wo heute Dakar liegt, Senegals Hauptstadt.

Bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts segelten die Europäer auf Landsicht, dann kamen Navigationsinstrumente in Gebrauch. Heinrich starb 1460; zu dieser Zeit waren die portugiesischen Seefahrer bis etwa nach dem heutigen Sierra Leone vorgedrungen, von den Azoren aus in die Sargassosee (ungefähr in Richtung Florida) gefahren und heil heimgekehrt. Sie konnten nun den Breitengrad, auf dem sie sich gerade befanden, recht genau bestimmen. Sie hatten gelernt, auf der Rückfahrt von Afrika nach Nordwesten in den Atlantik hinauszusteuern und sich von den Passaten nach Hause treiben zu lassen, statt mühsam entlang der Küste aufzukreuzen.

Der Seeweg nach Indien war noch weit, doch die Richtung stand fest, und das seemännische Handwerk war der Aufgabe nun gewachsen. Genau dafür hatte Prinz Heinrich hartnäckig sein ganzes Erwachsenenleben eingesetzt. Er lebte asketisch, schier mönchisch: «Nie berührte er ein Glas Wein oder einen Weibermund: seine einzige Leidenschaft war die Entschleierung der afrikanischen Küsten», schrieb der treffliche Kulturhistoriker Egon Friedell.

Nach dem Tod des Magnaten, Mentors und Mäzens erlahmte für eine Weile der lusitanische Entdeckerelan. Doch 1488 fuhr Bartolomeu Dias um das Kap der Guten Hoffnung, und 1479 bis 1499 segelte Vasco da Gama um Afrika herum nach Indien und nach Portugal zurück. 1492 schon war Kolumbus, unter spanischer Flagge, in die Karibik gelangt. Dom Henrique war einer, wenn nicht der Pionier der europäischen Übersee-Erkundung – und letztlich der Vorherrschaft Europas maritimer Mächte über die ganze Welt.

Portugal ist wieder klein. Das einstige Reichs-Kronjuwel Brasilien löste sich 1822 von Lissabon. 1975 ermöglichte die Nelkenrevolution die Unabhängigkeit von Angola und Mosambik. Portugal hatte vor sechs Jahrhunderten die Epoche der europäischen Kolonialmächte eingeläutet und beendete sie, vor erst gerade einem halben Menschenleben.