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Grossbritanniens Lektion aus Japan

Es ist kein Zufall, dass der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe, der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk, und der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die prinzipielle Einigung der EU und Japans zu einem Freihandelsabkommen am 6. Juli in Brüssel bekannt gegeben haben

. Am 7./8. Juli fand der G-20 Gipfel in Hamburg statt. Neunzehn Mitglieder des Klubs der zwanzig grössten Wirtschaftsmächte waren frustriert ob der neuen, in sich gekehrten Haltung der USA unter Präsident Donald Trump.

«Make America Great Again» steht für eine zunehmende Isolation der USA, ihre Abkehr vom Freihandel und ihre Zuwendung zum Protektionismus. Die erste Amtshandlung von Präsident Trump war bekanntlich, die TPP (Trans-Pacific Trade Partnership), ein Freihandelsvertrag unter zwölf pazifischen Anrainerstaaten, zu widerrufen. Er will auch Nafta (North American Free Trade Agreement ) neu verhandeln.

Das Abkommen mit der EU, TTIP (Tansatlantic Trade and Investment Partnership), ist so gut wie tot. Die neue amerikanische Regierung rüttelt auch sonst gewaltig am gemeinsamen Wertegut der G-20. So kündigte Trump im Juni an, dass die USA das Pariser Abkommen zum Klimawandel zu verlassen gedenken. In anderen Worten: Die USA scheinen der Wertegemeinschaft der G-20, insbesondere der OECD-Länder, abgeschworen zu haben.

Vakuum ist nicht von Dauer

Die Entfremdung der neuen amerikanischen Regierung von ihren OECD-Kollegen hinterliess ein Vakuum. Im globalen Weltgefüge hält ein solches jedoch nie lange an und wird früher oder später durch andere Akteure gefüllt. Der Kommentar der EU-Handelskommissarin, Cecilia Malmström, dass das Handelsabkommen zwischen der EU und Japan Brücken schlagen und nicht Mauern bauen wolle, ist in diesem Zusammenhang zu verstehen. Es ist eine direkte Anspielung darauf, dass Donald Trump Handelsabkommen streicht und dafür eine Mauer zwischen den USA und Mexiko errichten will.

Nach achtzehn Verhandlungsrunden kamen die EU und Japan zur Einigung in den zentralen Punkten – und das nicht einmal dreieinhalb Jahre nach Verhandlungsbeginn, was einen Rekord darstellt. Zum Vergleich: Das Ceta (Comprehensive Economic and Trade Agreement) mit Kanada brauchte achteinhalb Jahre, bis es vom Europäischen Parlament ratifiziert wurde. Selbst dann gab es Unstimmigkeiten, und der Vertrag muss nun noch den Hürdenlauf durch die Parlamente sämtlicher EU-Mitgliedstaaten überstehen.

Die Bekanntgabe des Vertrags mit Japan muss als ein Zeichen der OECD-Länder an die Adresse der Vereinigten Staaten gesehen werden. Die Grundsatzerklärung der EU und Japans ist stark von gemeinsamen Werten geprägt. Offiziell wird der Vertrag als ein Handelsabkommen für das 21. Jahrhundert bezeichnet. So basiert er nicht allein auf Freihandel, sondern auch auf gemeinsamen Werten bezüglich Klimawandel, Umwelt, persönlichen Datenschutz, Konsumentenschutz, Schutz von Arbeitnehmern, usw.

Diese umfassende Definition, was Handel eigentlich heisst, dürfte auch Wind aus den Segeln einiger Kritiker von Abkommen wie des Ceta nehmen. Der Vertrag Kanadas mit der EU eckte nicht zuletzt deswegen an, weil er Umwelt- und Sozialkomponenten zu wenig berücksichtigte. In Japan wird ein derart weitreichendes Dokument wie der  Vertrag mit der EU innenpolitisch begrüsst, da die Regierung sich erhofft, dass dessen Arbeitsmarktbestimmungen ihre innenpolitisch angestrebten Reformen potenziell unterstützen könnte.

Die EU war zurecht stolz darauf, dass sie ein Zeichen bezüglich Handel, Umwelt- und Sozialwerten setzen konnte. Zur Zeit herrscht in der EU eine gewisse Euphorie. Die Wahlen in Holland und Frankreich haben die populistischen Bewegungen der Freiheitspartei von Geert Wilders und des Front National von Marine LePen einstweilig verstummen lassen. Multilaterale Freihändler wie Mark Rutte und Emmanuel Macron spüren Aufwind. Wie offen Europa letztendlich bleiben wird, hängt jedoch stark vom Ausgang der Wahlen in Deutschland im September und in Italien im nächsten Jahr ab. Populistische Strömungen brodeln unterschwellig weiter – von Portugal bis Polen und von Athen bis Kopenhagen.

Die Dimensionen des geplanten Handelsvertrages EU-Japan sind gigantisch: Der Handelsraum umfasst mehr als 10% der Weltbevölkerung, rund 18% des globalen Bruttoinlandprodukts und fast 40% des gesamten Welthandels. Die EU exportiert für 86 Mrd. € Güter und Dienstleistungen nach Japan. Zölle sollen zunächst um 90%, letztlich bis zu 97% reduziert werden. Die tarifären und nicht-tarifären Begünstigungen könnten europäischen Unternehmen bis eine Milliarde Euro an Zöllen einsparen. Der Zugang zur Auftragsvergabe der öffentlichen Hand in Japan könnte ihnen gemäss optimistischen Schätzungen weitere 20 Mrd. € einbringen.

Die ersten und wichtigsten Schritte sind getan. Das Abkommen ist jedoch bei weitem noch nicht in trockenen Tüchern. Die Details müssen noch ausgehandelt werden. Sehr viel wird davon abhängen, ob das Abkommen am Ende als geschlossen – rein auf dem EU-Kompetenzbereich aufbauend –  oder offen – in die gesetzgeberischen Kompetenzen der Mitgliedstaaten übergehend – klassifiziert wird. Im letzteren Fall müssten nicht nur das Europäische Parlament und die achtundzwanzig EU-Regierungen, sondern auch die Parlamente aller EU-Mitgliedstaaten der Ratifizierung zustimmen.

Europas neues Selbstbewusstsein

Die Frage liegt natürlich nahe, was dies alles für die Brexit-Verhandlungen bedeutet. Grossbritannien muss bis März 2019 einen Vertrag mit der EU ausgehandelt und ratifiziert haben. Der Europäische Chefunterhändler Michel Barnier hat unlängst zurecht darauf hingewiesen, dass Londons Zeitspanne für Verhandlungen nicht zwei Jahre, sondern de facto nur achtzehn Monate betrage (also bis Oktober 2018), da das Schlussdokument noch alle siebenundzwanzig EU-Parlamente bis zur Ratifizierung durchlaufen müsse. Seit April wurden gut drei Monate mit unvorhergesehenen Wahlen verschwendet. Seitdem kann sich die Regierung nicht über die grundlegendsten Parameter der britischen Verhandlungsposition einigen.

Aus dem Handelsvertrag mit Japan können Lehren gezogen werden: London sollte sich zunächst des neuen Selbstbewusstseins Europas bewusst sein. Weiter sollte es seine Positionen klar artikulieren. Selbst wenn sich zwei im Prinzip einig sind – wie es Japan und die EU waren – dauert es immer noch wesentlich länger als fünfzehn Monate, bis eine prinzipielle Übereinstimmung erzielt werden kann. Wie das EU-Japan-Abkommen zeigt, hat die EU eine Marktmacht, die sie für weitreichende Handelsabkommen attraktiv macht. Grossbritannien wird in Zukunft leider nicht mehr von solchen Vereinbarungen profitieren können und abseits stehen.

Die EU zeigte sich im Falle Japans durchaus kompromissfähig. Es mag zwar stimmen, dass Grossbritannien ein Handelsbilanzdefizit von 60 Mrd. £ gegenüber der EU ausweist und europäische Firmen deshalb ein Interesse an einem konzilianten Austrittsvertrag haben. Die Regierung in Westminster sollte sich jedoch auch bewusst sein, dass 44% ihrer Exporte in die EU gehen.

Die Umrisse des Freihandelsabkommens mit Japan beweisen, dass Europa für den Freihandel offen ist. Sie zeigen aber auch, dass klare Verhandlungspositionen, Interessen- und Wertegemeinschaften notwendig  sind, um zum Erfolg zu kommen. Gegenwärtig fühlt sich die EU stark, was durch den Japan-Deal noch unterstrichen wird. Deshalb würde Grossbritannien gut daran tun, von Japan zu lernen, eine einheitliche Verhandlungsposition zu vertreten und weniger zu polemisieren.

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