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Globalisierung ändert ihr Gesicht

Wenn die weltweit grössten Beraterfirmen – McKinsey und die Boston Consulting Group – auf getrennten Wegen zum gleichen Ergebnis kommen, wird es spannend. Basierend auf Analysen der Wertschöpfungsketten ihrer rund um die Erde tätigen Kunden und Partner erkennen beide die Globalisierung in einem tiefgreifenden Wandel: Sichtbare werden durch unsichtbare Transaktionen verdrängt, Daten und Dienstleistungen ergänzen und ersetzen den Güterhandel. Als Folge davon neigt sich die Niedriglohnländerstrategie der Nachkriegszeit ihrem Ende zu. Die Unternehmen nutzen digitale Technologien zur Dezentralisierung und holen die Produktion zurück zum Kunden.

Wie eine Karawane zog die Konsumgüterindustrie in den vergangenen Jahrzehnten von einem Niedriglohnland in Asien zum nächsten. Outsourcing war das Motto. Damit gemeint war, die Wertschöpfungskette in immer kleinere Glieder zu zerlegen und jedes einzelne Glied dort zu produzieren, wo es am billigsten ist.

Die um die Schwellenländer verlängerten industriellen Werkbänke ermöglichten eine immense Spezialisierung, was es erlaubte, von Grössenvorteilen zu profitieren. Fixe Kosten – wie Fabrikgebäude, Produktionsanlagen oder Anlern- und Ausbildungskosten für die Beschäftigten – konnten so auf riesige Stückzahlen umgelegt werden, was die Durchschnittskosten massiv verringerte.

Das Ende der Niedriglohnlandstrategie

Hochwertige Maschinen, Apparate und Fahrzeuge – auch spezielle Halbfabrikate und Vorleistungen – wurden in den Vereinigten Staaten oder in Europa hergestellt. Dann wurden sie in Containern nach Asien verschifft (zunächst Japan und Korea, danach China, Indien, Taiwan, Vietnam, Bangladesch). Dort wurden sie von billigen Arbeitskräften weiterverarbeitet zu Konsumgütern – also Schuhen, Kleidern, Elektroartikeln, Spielzeug, aber auch Smartphones oder Autos –, die dann in Teilen wiederum per Schiff zurück nach Europa und den USA verkauft wurden.

Die Niedriglohnlandstrategie neigt sich ihrem Ende zu. Erstens, weil auch in Asien Lohn-, Umwelt- und Sozialkosten steigen. Zudem müssen die asiatischen Länder – besonders China und Indien – mit Blick auf ihre stark wachsende Bevölkerung immer mehr selbst und für den Eigenbedarf produzieren, um mehr Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen, das sie mit Einkommen aus eigener Arbeit auch selbst finanzieren können. «Zhongguo (Reich der Mitte) 2025» heisst die Doktrin der Regierung in Peking, die China in Kürze vom Ausland weniger abhängig machen will, als es heute noch der Fall ist.

Zweitens haben der in der vergangenen Dekade aufkeimende Nationalismus und der grassierende Protektionismus mit drohenden Handelskonflikten und Strafzöllen tiefe Bremsspuren hinterlassen. Globalisierungsstrategien sind für Unternehmen mit zunehmend mehr Risiken und entsprechend höheren Kosten verbunden. Als «Slowbalisation» bezeichnet die britische Wochenzeitschrift «Economist» das Schneckentempo, in dem sich grenzüberschreitende Aktivitäten multilateraler Unternehmen und ihre Investitionen, Lieferketten und Transaktionen auf internationalen Kapital- und Finanzmärkten derzeit bewegen.

Die Verflechtungen der Weltwirtschaft sind heute weniger eng als vor der Finanzmarktkrise Ende des vergangenen Jahrzehnts. Verglichen mit der Wertschöpfung insgesamt, waren 2017/18 die Handelsströme, die Investitionen im Ausland durch Aufkäufe und Beteiligungen sowie die grenzüberschreitenden Kreditbeziehungen und Kapitaltransfers geringer als im Jahr 2007.

Drittens – und vor allem – torpedieren digitale Technologien die alte Niedriglohnlandstrategie. Sie ermöglichen es, (weite) Teile der Produktion zurück nach Europa zu holen. Wenn ohnehin alles, was sich in der Produktion automatisieren oder standardisieren lässt, durch Roboter billiger als durch Menschen erledigt werden kann – was selbst dann gilt, wenn, wie teilweise in Asien, nur Hungerlöhne bezahlt werden –, dann werden die teuren Roboter dort stehen, wo sie am sichersten sind vor politischen Übergriffen, in der Nähe ihrer Kunden und nahe beim Personal, das sie wartet und mit neuer Software füttert. So sorgen Roboter, Big Data und High Tech dafür, dass «Made in Europe» wieder zu attraktiv geringe(re)n Kosten möglich wird.

Boston Consulting schätzt, dass digitale Technologien dazu führen, dass bei Massenprodukten die Lohnstückkosten, also der Lohnanteil an den gesamten Herstellkosten von Schuhen, Kleidern, Geräten und Maschinen, bis zu 30% geringer werden. Löhne verlieren somit für Standardgüter – nicht jedoch für qualitativ hochwertige (Dienst-)Leistungen – verglichen mit anderen Kosten an Bedeutung. Das bedeutet auch, dass für Massengüter Transportkosten, wozu auch lange Lieferzeiten, Verzugs- und Versicherungskosten gehören, stärker ins Gewicht fallen.

Genau deswegen dürfte lokale Produktion in Kundennähe wichtiger werden. Sportschuhe liefern für diese Entwicklung ein einschlägiges Beispiel. So können Füsse vor Ort vermessen und dann, immer stärker auch unter Zuhilfenahme von 3-D-Druckern gleich passgenau massgeschneidert und nahezu ohne Wartezeit direkt ausgeliefert werden.

Mehr und mehr entstehen hybride Unternehmen, also Betriebe ohne fest abgrenzbare Strukturen betreffend Standort und Personal, die mehr und mehr ihre nationalen Wurzeln verlieren und wirklich zu globalen Unternehmen mutieren, um auf der ganzen Welt dezentral für lokale Kunden Leistungen zu erbringen. Unternehmensangehörige werden noch einmal vermehrt weitherum verstreut sein. Wer in Asien oder in Lateinamerika sitzt, tauscht digital mit dem Hauptquartier in Europa Daten aus, und zwar nicht als lokale Billigarbeiter, sondern auf Augenhöhe mit den Fachkollegen im Norden.

Was mit den Callcentern in Indien begann, wird zu globalen Plattformen für hoch qualifizierte Spezialisten weiterentwickelt, die simultan, aber örtlich voneinander unabhängig aus einer Vielzahl von Standorten komplexe Bausteine zu Forschung und Entwicklung, Finanzierung und Versicherung, Betrieb, Unterhalt und Wartung beisteuern.

Um Qualitätsstandards zu sichern, entsenden westliche Unternehmen für die Endproduktion materieller Güter eigene Fachkräfte, meist temporär und fallweise, in die Absatzländer oder sie heuern gleich, und dann auch längerfristig, gut ausgebildete Spezialisten oder lokale Partnerunternehmen aus den Absatzländern an, die besser als andere wissen, wie die dortigen Kunden ticken.

Weniger Container, mehr Internet

Die Globalisierung ist somit keinesfalls out. Sie ändert nur gerade ihr Gesicht. Geschäftsmodelle und Märkte bleiben global, aber die konkreten Lösungen werden stärker lokal geprägt – sowohl in Design wie in der Produktion. Das bedingt einen Stabwechsel vom globalen Handel mit Gütern zu mehr Handel mit Dienstleistungen und Daten. Auch deshalb zeigt der grenzüberschreitende Dienstleistungshandel keine Anzeichen eines Kriechgangs. Im Gegenteil ist er in der vergangenen Dekade weit schneller gewachsen als der Güterhandel.

Dieser Trend wird sich verstärkt fortsetzen. Weniger Container, dafür mehr Internet, weniger Verlagerung von Arbeit in Niedriglohnländer, um Lohnkosten zu sparen, dafür mehr globaler Austausch von Information, Wissen und Daten und mehr dezentrale Produktion an Ort und Stelle beim Kunden, so arbeiten wirklich globale Unternehmen. So sieht digitale Globalisierung aus.