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Geldpolitik vs. Finanzpolitik

Der schottische Abenteurer und Finanzexperte John Law war einer der ersten Propheten des Papiergeldes, das er als mächtiges und billiges Instrument zur Förderung von Wachstum und Konjunktur betrachtete. Nach dem Tod von Louis XIV im Jahr 1715 wurde er zum Vertrauten des französischen Regenten Philippe d’Orléans und stieg schliesslich zum Finanzminister Frankreichs auf. Er erkannte als einer der Ersten die Bedeutung und das Potenzial eines Papiergeldsystems, hatte aber eine verhängnisvoll falsche Vorstellung davon, wie ein solches kontrolliert werden muss.

Er wurde verantwortlich für ein ökonomisches Grossexperiment, das exemplarisch zeigte, welch verheerende Folgen für Volkswirtschaft und Gesellschaft dies haben kann. Louis XIV hatte einen finanziell bankrotten Staat hinterlassen. Laws Politik schuf eine Papiergeldflut, die zu einer der grössten Finanzblasen und nach deren Platzen zu einer der grössten Krisen und Wirtschaftspleiten der Finanzgeschichte führte, der sogenannten Mississippi-Krise (Laws Aktivitäten waren auch mit riesigen Spekulationen im Süden und im Mittleren Westen Nordamerikas verbunden). Ganz Europa wurde in Mitleidenschaft gezogen.

Law stellte die Geldschaffung hemmungslos in den Dienst der Staatsfinanzen und meinte, die Ausgabe von Papiergeld sei unbedenklich und niemals inflationär, solange Geld nur durch Kauf oder Hinterlegung eines realen Gutes, etwa von Land oder Aktien, in Umlauf gebracht werde. Er übersah, dass das Volumen an Zahlungsmitteln damit nicht an die Menge eines realen und begrenzt verfügbaren Gutes, sondern an seinen nominalen Wert gebunden wurde, der sich grundsätzlich über Bewertungsanpassungen beliebig verändern kann. Geldmenge und Preisniveau waren aus diesem Grund im System von Law nicht limitiert und verankert. Dies kann zu Hyperinflation und einem Zerfall der Währung führen, wie Law mit seinem Grossexperiment unfreiwillig, aber beispielhaft selbst zeigte.

Gedankliche Verirrung findet Anklang

Hier liegt der zentrale Unterschied zu einer Gold- oder Silberwährung, bei der der Geldumlauf durch die verfügbare physische Menge an Gold bzw. Silber (nicht ihren Marktwert) begrenzt ist. Ein Papiergeldsystem ohne solche Bindung hingegen verlangt zwingend eine Zentralbehörde, die das Volumen an Zahlungsmitteln künstlich so beschränkt, dass Preisstabilität gewahrt bleibt. Das Prinzip, Geld nur im Tausch gegen Land, Aktien oder andere Wertgegenstände zu schaffen, genügt nicht.

Heute, 300 Jahre später, wird uns der gleiche grundlegende Gedankenfehler, obwohl von der Finanzgeschichte total diskreditiert, als «neue, moderne» Geldtheorie erneut aufgetischt und als Modern Monetary Theory (MMT) gar in den Rang einer vermeintlich seriösen Theorie erhoben. Ihre Anhänger meinen, dass der Staat alle für die Gesellschaft wünschenswerten Aktivitäten bedenkenlos finanzieren könne, solange er eine eigene Zentralbank besitze, die ja unbegrenzt Geld schaffen und deshalb letztlich alles garantieren könne. Er müsse sich einfach auf «sinnvolle» und «produktive» Aktivitäten beschränken. Sie würden sich im Sozialprodukt niederschlagen und damit sicherstellen, dass keine Inflation eintreten könne. Dem neuen Geld würden dann ja immer reale Güter oder Leistungen gegenüberstehen.

Das ist exakt der gleiche Gedankenfehler, den John Law vor 300 Jahren machte, denn über die Bewertung und die Preise dieser Güter ist damit nichts gesagt. Die realen Ressourcen einer Volkswirtschaft sind nun einmal begrenzt. Daran kann noch so viel von der Zentralbank geschaffenes Geld nichts ändern.

In der US-Linken geniesst diese vermeintlich neue Theorie grosse Popularität, teils fast Kultstatus. Eine Hauptexponentin, Stephanie Kelton, Professorin an der Stony Brook University, war ökonomische Beraterin von Bernie Sanders in der Präsidentschaftswahl 2016 und wird von der «progressiven» Szene gefeiert. Das könnte man mit einem Achselzucken abtun, wird sich diese Tendenz in der US-Politik doch kaum durchsetzen können. Schlimmer und bedenklich ist es aber, dass auch renommierte Banken und Finanzanalysten gegen diese gedankliche Verirrung nicht immun sind und teilweise Zustimmung markieren.

So schreibt etwa Jan Hatzius, Chefökonom von Goldman Sachs und Wallstreet-Guru, MMT enthalte auch richtige Elemente. Besonders sei die Einsicht wichtig, dass ein Staat mit eigener Zentralbank nicht pleitegehen könne, weil er ja immer sein eigenes Geld drucken könne. Daraus folge, dass Staatsdefizite und -verschuldung eigentlich nicht problematisch seien, im Gegensatz zu Defiziten und Verschuldung im Privatsektor, wo Haushalte und Unternehmen im Unterschied zum Staat keine Zentralbank hätten, die sie für ihre Finanzbedürfnisse einspannen könnten. Dazu kann man nur sagen: Gott sei Dank ist das so.

Kann ein Staat mit eigener Zentralbank wirklich nicht insolvent werden? Technisch gesehen trifft das zu. Wenn der Staat die Zentralbank seinen Fiskalbedürfnissen unterwirft, kann er jede Ausgabe und Verpflichtung mit von ihm selbst geschaffenem Geld decken. Doch wer sich mit dieser Feststellung zufriedengibt, denkt sehr oberflächlich. Eine Zentralbank kann zwar immer Geldscheine drucken, doch die Menschen müssen auch bereit sein, diese Geldscheine zu akzeptieren und zu halten.

Die Weimarer Republik hatte sehr wohl ihre Zentralbank, aber die von der Reichsbank ausgegebene Mark war 1923 real fast nichts mehr wert. Die Reichsbank hatte zuvor begonnen, die Staatsausgaben durch die Übernahme von Schuldtiteln des Staates zu finanzieren, also Staatsschulden zu monetisieren. Auf den Währungszerfall und die Inflation, die darauf folgten, reagierte sie, indem sie immer schneller immer mehr Papiergeld schuf. Im Höhepunkt der Hyperinflation musste man für 1 $ mehr als 4 Bio. Mark hergeben.

Nominal von real unterscheiden

Wir müssen unterscheiden zwischen dem realen und dem nominalen Wert des Geldes und der Werte, die in diesem festgelegt sind. Zwar kann die Zentralbank ihr eigenes Zentralbankgeld im Prinzip beliebig selbst produzieren, doch das gilt nur nominal, real hingegen nicht. Bringt sie zu viel ihres Geldes in Umlauf, verwässert sie seinen realen Wert über eine Steigerung der nominalen Güterpreise. Von einem bestimmten Punkt an wird deshalb die Ausgabe zusätzlichen Geldes einnahmenmässig für die Zentralbank kontraproduktiv. Die Zentralbank ist dann nicht mehr in der Lage, den realen Geldumlauf, und damit ihre realen Einnahmen, zu vergrössern. Der Staat ist deshalb auch mit der Zentralbank als Rückversicherung nicht in der Lage, seine realen Ausgaben und seine Realverschuldung unbegrenzt auszuweiten.

Nimmt die Zentralbank ihre Verpflichtung ernst, für Preisstabilität zu sorgen, ist sie bezüglich der Schaffung von Zentralbankgeld ohnehin nicht frei. Im Rahmen dieser Verpflichtung kann sie Zentralbankgeld nur in genau dem Mass in Umlauf bringen, das mit diesem Auftrag vereinbar ist. Weicht sie von diesem Mass ab, nimmt sie eine Verletzung ihres Mandats in Kauf und verschlechtert die Qualität ihres Geldes als Tauschmedium, Recheneinheit und Wertaufbewahrungsmittel.

Eine saubere Trennung der Verantwortung für die Geldpolitik und für die staatliche Finanzpolitik ist die wichtigste Voraussetzung sowohl für ein stabiles Geld wie für ein vertrauenswürdiges System staatlicher Finanzen.  Was die Zentralbank als Notenbankgewinn an den Staat  überweisen kann, muss sich als Residuum aus ihren geldpolitischen Entscheiden ergeben und darf nie selbst Motivation dieser Entscheide sein. Die Gefahr, dass die Geldpolitik ins Schlepptau der Finanzpolitik gerät und fiskalischen Motiven untergeordnet wird, stellt historisch die grösste Gefährdung für die Gewährleistung stabiler monetärer und finanzwirtschaftlicher Verhältnisse dar.