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Gefährlicher Optimismus

Über Wallstreet ziehen dunkle Wolken auf: Hohe Bewertungen lasten auf dem Kurspotenzial.

Vor kurzem hat der globale Bullenmarkt sein neunjähriges Jubiläum gefeiert. Kein Grund, die Champagnerkorken knallen zu lassen. Denn immer stärker zeichnen sich Ermüdungserscheinungen ab. Nicht nur wird das Kurspotenzial durch das hohe Bewertungsniveau tangiert, auch die Gewinnerwartungen, die diesen Bewertungen zugrunde liegen, wirken viel zu optimistisch.

Dass die laufende Hausse gegenüber früheren Bullenmärkten korrekturanfälliger erscheint, deutet eine Grafik von Société Générale an: Zwischen 2004 und 2008 stiegen an Wallstreet die Konzerngewinne deutlich stärker als der Umsatz und die Kurse, das Bewertungsniveau sank.

Ganz anders im aktuellen Aufwärtstrend: Während die Gewinne seit 2011 nur knapp um die Hälfte expandierten, haben sich zur selben Zeit die Kurse mehr als verdoppelt.

Trügerische Entspannung

Zumindest vordergründig scheint sich die Situation in den letzten Wochen leicht entspannt zu haben. Noch im November notierte das vorwärtsgerichtete Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) im US-Leitindex S&P 500 – basierend auf dem erwarteten Überschuss der kommenden zwölf Monate – bei 18,5. Inzwischen hat es sich auf 16 verringert.

Dazu trug einerseits bei, dass die Aktienkurse seither leicht an Terrain eingebüsst haben, andererseits konnten die Gewinnerwartungen wegen der Steuerreform von US-Präsident Trump nach oben revidiert werden. Im europäischen Aktienmarkt ist – gemessen am Stoxx 600 – derweil bereits seit September ein Aufwärtstrend in den Prognosen zu sehen.

Die zentrale Frage bleibt dabei jedoch unbeantwortet: Wie berechtigt sind die Gewinnerwartungen, auf denen die stattlichen Bewertungen basieren? Einen ersten kritischen Anhaltspunkt liefert eine Studie von Société Générale, die das tatsächlich realisierte Gewinnwachstum der letzten drei Jahre dem durch die Analystengilde prognostizierten Wachstum der nächsten drei Jahre gegenüberstellt. Mit Ausnahme von Italien und Deutschland notieren die Erwartungen in allen Märkten massiv höher.

Ein ähnliches Bild gibt eine Analyse von BCA Research ab. Demnach gehen die Investoren aktuell davon aus, dass die S&P-500-Gesellschaften den Gewinn pro Aktie über 15% jährlich steigern können – und das über die kommenden fünf Jahre. Letztes Mal so hoch waren die Erwartungen an das Profitwachstum 1998, als sich die Dotcom-Blase aufzublähen begann.

Diese Zuversicht stimmt skeptisch. Denn die Rahmenbedingungen sehen kaum so vorteilhaft aus, dass die Profite tatsächlich in dieser Grössenordnung zulegen könnten. Zwar gibt es Sonderfaktoren – so etwa im Falle der Schweiz die Aufhebung der Frankenuntergrenze –, die in der Periode 2015 und 2017 die Gewinne temporär belasteten. Die deutliche Diskrepanz rechtfertigen sie aber nicht.

Geldpolitik verliert an Schub

Allen voran nimmt die positive Wirkung der monetären Lockerung und der ultraniedrigen Zinsen über die kommenden Quartale ab. Kletternde Zinsen werden sich verstärkt auf der Kostenseite niederschlagen – haben doch viele Unternehmen das Umfeld genutzt, ihre Bilanzen mit billigem Fremdkapital aufzupumpen.

Gleichzeitig warnen die Analysten von BCA Research, sich weiterhin auf den «Fed Put» zu verlassen. Angesichts steigender Inflation könne nicht mehr darauf gebaut werden, dass die US-Notenbank beim ersten Anzeichen einer Konjunkturverlangsamung oder schwächelnder Märkte die Zinsschraube wieder lockert.

Die Margen sind ebenfalls ein Risikoherd: Gemäss Lori Calvasina, Aktienstrategin bei RBC Capital Markets, haben sich in den jüngsten US-Quartalsberichten Indizien gehäuft, wonach steigende Löhne und höhere Rohstoffnotierungen die Profitabilität unter Druck bringen dürften.

Divergierende Signale kommen letztlich auch aus der Weltwirtschaft. Zwar wird der Konjunktur weiterhin ein Aufschwung zugetraut – etwa wenn man die Einkaufsmanagerindizes (PMI) konsultiert. Die geopolitischen Risiken, die unter anderem dem Handelskonflikt zwischen den USA und China entspringen, haben sich jedoch in der Zwischenzeit verschärft.

Angesichts dieser Fülle an Störfaktoren gehen die Analysten von Bank of America Merrill Lynch davon aus, dass sich das globale Gewinnwachstum über die nächsten Quartale von 20 auf 6% jährlich reduziert. Gestützt wird diese Prognose vom schwächelnden südkoreanischen Exportvolumen, das in der Vergangenheit – angesichts der zentralen Rolle Südkoreas in der globalen Produktionskette – jeweils gut als Frühindikator der weltweiten Gewinnentwicklung funktioniert hat.

Hohes Korrekturpotenzial

Doch mit welchen Folgen ist zu rechnen, sollten die optimistischen Erwartungen tatsächlich verfehlt werden? Die Analysten von Société Générale haben zwei Möglichkeiten durchgespielt: Im ersten Szenario wird angenommen, dass das Gewinnwachstum ab 2020 stagniert. Im zweiten Szenario setzt der Stillstand bereits 2019 ein. Andere Parameter wie die Aktienrisikoprämie – also die von Investoren geforderte Überrendite zu risikolosen Anlagen – bleiben dabei unverändert.

Das Resultat: Bei den Industrieländern sind laut Société Générale die USA und Kanada mit einem Minus von über 17% am verwundbarsten. Auf der anderen Seite des Spektrums bewegt sich Japan, während die Schweiz und Deutschland im Mittelfeld figurieren. Bei den Schwellenländern sehen Indien und China besonders anfällig aus, während Südkorea relativ solide erscheint.

Dass die besten Zeiten vorbei sein könnten, legen auch die Analysten von Morgan Stanley nahe, die basierend auf einem quantitativen Modell aus den Gewinnerwartungen eine Renditeschätzung herleiten. Aktuell bewegt sich die prognostizierte Rendite des S&P 500 über die nächsten zwölf Monate bei 10,4%. Das mag auf den ersten Blick durchaus attraktiv wirken – doch handelt es sich um den niedrigsten Wert der letzten elf Jahre. Wer nun in Aktien investiert und auf hohe Renditen hofft, muss folglich damit rechnen, herb enttäuscht zu werden.