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Ein Verlustszenario für die SNB

Die Warnung ist kurz gefasst und gut versteckt. Norwegens Zentralbank schreibt im Report «Return and Risk» von Anfang März auf Seite 50 den Satz: «Falls sich der historische Zusammenhang zwischen der norwegischen Krone und den Preisen von Anleihen und Aktien in Zukunft ändert, könnte dies im Staatsfonds zu einem Wertverlust von mehr als 40% in einem einzigen Jahr führen.» Mehr will Norges Bank zum Verlustszenario nicht sagen.

Ob man die potenzielle Einbusse überhaupt publik machen solle, sei heftig diskutiert worden, sagte der Chef des Staatsfonds, Yngve Slyngstad, gegenüber der Presse. Dabei müsse man auch auf eine längere Durststrecke gefasst sein – anders als 2008 und 2009, als auf das schlechteste Jahr des Fonds das beste folgte.

Sein Vermögen beträgt 1 Bio. Fr. und ist etwas grösser als die Währungsreserven der Schweizerischen Nationalbank von 810 Mrd. Fr. Mit einem Verlust von 40% müsste Norwegen ausgerechnet in einer Krise um einen gewichtigen Zuschuss des Fonds in die Staatskasse ringen. Die SNB verlöre ihr Eigenkapital, notfalls müssten Bund und Kantone Geld einzahlen.

Ölfonds und Schöpfungsfonds

Der norwegische «Statens Pensjonsfond Utland» investiert im Ausland und heisst daheim «Oljefondet», er speist sich aus dem Ölverkauf. Verwaltet wird er vom Investment Management der Norges Bank. Sein Hauptauftrag heisst sparen für künftige Generationen.

Steht solch ein Sparschwein bereit, ist es schwierig, den Gürtel enger zu schnallen. Deshalb soll der Fonds auch die Konjunktur stabilisieren. 2016 entnahm die Regierung erstmals Geld, die gesetzliche Limite ist jährlich 3% des Fondsvermögens. Letztes Jahr machte der Zuschuss fast ein Fünftel der Staatsausgaben aus. Derweil wächst die Wirtschaft ordentlich und die Arbeitslosenquote ist moderat – schlechte Zeiten sehen anders aus.

Nun diskutiert Norwegen, ob die Regierung auch in einem Verlustszenario Geld aus dem Staatsfonds nehmen kann. Politiker befürchten, in einer Rezession mit schwindenden Steuereinnahmen komme schnell einmal die Forderung, statt 3 doch lieber 10% auszuzahlen.

Die SNB kauft ebenfalls ausländische Anleihen und Aktien. Ihr Portefeuille müsste «Schöpfungsfonds» heissen, denn sie speist es aus der Geldschöpfung, indem sie Franken erschafft. Noch vor dem jüngsten Tag wird sie die Franken vernichten und dazu die Wertschriften verkaufen, um die Geldmenge zu verkleinern. Ihr Auftrag besteht schliesslich darin, die Inflation zu zügeln.

Ein Verkauf der Devisenanlagen ist aber nicht in Sicht. Der Bestand in der SNB-Bilanz ist seit der Aufgabe des Mindestkurses Anfang 2015 um die Hälfte gewachsen – und seit vor der Finanzkrise um den Faktor 15.

«Wann stoppt die SNB?», fragte US-Wirtschaftsautor John Mauldin im November im FuW-Interview lakonisch. Norwegens Staatsfonds sei durch Öleinnahmen finanziert. Die SNB aber drucke Geld und sei der grösste Hedge Fund der Welt – ausser dass sie ihre Anlagen nicht verkaufen könne, weil dann die Märkte ins Taumeln gerieten. Mauldin sagt allerdings auch, er verstehe, weshalb die SNB den Franken schwäche, und er wisse nicht, was sie sonst tun sollte.

Verständnis hat auch der Notenbankkritiker James Grant, Herausgeber des «Grant’s Interest Rate Observer». Er stellte im Dezember in der FuW fest, die Nationalbank müsse mit dem Regime der EZB leben, die eine Aufwertung des Euros verhindere. Sein Fazit lautet: Die Schweiz versuche, Druck von aussen mit extremen Massnahmen zu neutralisieren. Damit manövriere sie sich mitten in den Wahnsinn der Finanzmärkte.

Die Warnungen muten an wie aus einer anderen Zeit. Die SNB  findet sich fast schon in der besten aller Welten wieder. Der Wechselkurs ist beim früheren Mindestkurs von 1.20 Fr./€ angekommen. Der Konjunkturaufschwung ist breit abgestützt. Die Inflationsrate von 0,8% liegt im Zielbereich von 0 bis 2% – Auftrag erfüllt.

Kritik in der besten aller Welten

Der Blick voraus ist also ungetrübt. Doch wer den Kopf in den Nacken legt, sieht das Damoklesschwert der Devisenanlagen, die grösser sind als das Schweizer BIP. Wann könnte es fallen? SNB-Präsident Thomas Jordan mahnte vergangene Woche, die Lage bleibe «fragil».

Am bedrohlichsten wirkt der globale Schuldenberg. Er sei mehr als doppelt so gross wie das Weltsozialprodukt und übertreffe das bisherige Höchst von 2009, warnte der Internationale Währungsfonds letzthin.

Weshalb das riskant ist, erklärte Finanzprofessor Edward Altman vor einer Woche in der FuW: Alles hänge von den Wachstumsraten ab – beim BIP und bei den Unternehmen von Umsatz, Gewinn und Cashflow. Gefährlich werde es, wenn die Zinsen steigen und das Wachstum langsamer werde oder gar stoppe. Wegen der deutlich höheren Verschuldung fiele der Abschwung an den Kreditmärkten wohl schärfer aus als 2007.

Einen Schuss vor den Bug bekam Norwegen in der Finanzkrise 2008: Der Wert der Aktien und Anleihen im Fonds brach 23% ein. Der wuchs trotzdem, dank der Öleinnahmen und einer Schwäche der Krone, womit sich die Fremdwährungsanlagen aufwerteten.

Im Verlustszenario befürchtet Norges Bank wohl, dass die Krone zum sicheren Hafen wird. Sie erstarkte in der Eurokrise 2010 bis 2012 zum Euro immerhin 11%. Dieser ist nicht krisenfest, solange Institutionen wie die Bankenunion oder ein Währungsfonds nicht stehen.

Im Staatsfonds wurde zudem der Anteil der Aktien von 50 auf 67% erhöht, das grössere Risiko soll eine höhere langfristige Rendite bringen. Dies verschärft aber im Verlustszenario den Zielkonflikt: Konjunkturhilfe oder Austerität, um zu sparen für die Zukunft ohne Öl?

Die SNB hält nur 20% Aktien, dazu 5% Gold und 75% Anleihen. Sie muss abwägen zwischen Eigenkapital schützen und Werthaltigkeit sichern. Diese ist gefährdet, weil der Franken aufwertet, seit der Wechselkursfreigabe 1973 im Schnitt 3% pro Jahr. Für genügend inflationsbereinigte Rendite seien viel mehr Realwerte wie Aktien und Gold nötig, erklärt der Basler Professor Peter Bernholz, und empfiehlt einen Anteil von 80%.

Die Kosten der SNB-Intervention

Das Eigenkapital der SNB schrumpfte nach dem Frankenschock auf 6% der Bilanzsumme – vor der Finanzkrise waren es 50%. Eine kleine Änderung der Wechselkurse könne zu negativem Eigenkapital führen, erklärte Wirtschaftsprofessor Barry Eichengreen 2016. Auch dann könne die SNB eine Zeit lang agieren – Zentralbanken in Chile, Israel und Tschechien hätten das getan. Für die Glaubwürdigkeit sei aber wieder positives Eigenkapital nötig. Jordan sagte 2011 in einer Grundsatzrede, ein langer Zustand mit negativem Eigenkapital gefährde Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit der SNB.

Austerität wie in Norwegen ist jedoch nicht zu befürchten. Der SNB-Gewinn 2017 von 54 Mrd. Fr. liefert die maximal erlaubte Ausschüttung von 2 Mrd. Fr. Sie macht für die Kantone zwischen 0,7% (Basel Stadt) und 2,3% (Luzern) der gesamten Einnahmen aus.

Damit Bund und Kantone künftig kein Eigenkapital einzahlen müssen, braucht es langfristig genug Ertrag. Er ist nicht zu erreichen ohne das Risiko negativen Eigenkapitals. Für diesen Fall braucht die SNB Rückhalt, und ob sie den hat, muss die Politik jetzt debattieren. Ein starkes Zeichen wäre, den gesamten Ertrag dem Eigenkapital zuzuweisen – und dazu die Vereinbarung zur Gewinnausschüttung zwischen Bund und SNB nach ihrem Ablauf 2020 zu sistieren, statt wie gewohnt zu erneuern.

Norwegen spart für Generationen, gibt aber Geld aus und riskiert 40% Verlust. Schon das ist die Quadratur des Kreises. Die SNB will keinen zu starken Franken und genug Rendite, aber nicht zu viel Risiko und erst noch Gewinne ausschütten. Es war immer klar: Den Franken zu schwächen um den Werkplatz zu stärken ist nicht gratis. Der Preis dafür liegt im Dilemma der SNB.