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Ein unbeliebter Putin ist gefährlich

Im März wurde der russische Präsident Wladimir Putin mit 77% der Stimmen im Amt bestätigt. Es ist seine vierte Amtszeit. Doch gemäss einer vom russischen Meinungsforschungszentrum durchgeführten Umfrage würde Putin, wenn die Präsidentschaftswahl heute stattfände, vermutlich bloss 47% der Stimmen erhalten, was ihn in eine Stichwahl zwingen würde. Dies ist ein gefährlicher Zustand für Russland und die Welt.

Natürlich spiegeln die Umfragedaten in Russland nicht unbedingt das reale Gleichgewicht der Kräfte. Doch ein derart steiler Absturz in der Wählergunst ist eine bemerkenswerte Entwicklung, nicht zuletzt weil die Russen, die sich noch gut an die harten Strafen erinnern, die Dissidenten in Sowjetzeiten drohten, es häufig vorziehen, sich, wenn man sie fragt, positiv über ihre Führung zu äussern.

Putin erlangte die Präsidentschaft erstmals 2000, mit dem Versprechen, den Lebensstandard zu steigern und Russlands Status als eine führende Weltmacht wiederherzustellen. Er hatte dann das Glück, dass der Ölpreis steil stieg. In der Zwischenzeit machte er sich daran, die Sowjetunion wiederzubeleben – zwar unter anderem Namen, aber in ähnlicher Weise auf Grundlage des Widerstands gegen die globale Führung der USA und eine Demokratisierung westlichen Stils.

Das Narrativ von der «belagerten Festung»

Putin nutzte von Anfang an die Zensur der Medien, um seine Autorität abzusichern, wobei er dafür sorgte, dass jeder Erfolg – einschliesslich des steigenden Ölpreises – als seine persönliche Leistung gepriesen wurde. Der Sprecher der russischen Duma (des Parlaments), Wjatscheslaw Wolodin, hat es 2014 so formuliert: «Mit Putin gibt es Russland, ohne Putin gibt es kein Russland.»

Fehlschläge waren natürlich nie Putins Schuld. So hielt Putin etwa 2007, als sich das Wirtschaftswachstum verlangsamte und die soziale Ungleichheit zunahm, eine Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz, in der er die USA wegen ihrer Dominanz über das Weltgeschehen verurteilte und nahelegte, dass die Ausweitung der Nato in die baltischen Staaten gegen Russland gerichtet sei.

Plötzlich liessen sich alle Probleme Russlands auf einen neuen Kalten Krieg zurückführen, den der Westen angeblich erklärt hatte. 2008 verstärkten die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo und Russlands Krieg mit Georgien Putins Narrativ einer «belagerten Festung» zusätzlich.

Erfolgreicher Krimkrieg

Trotzdem fielen Putins Beliebtheitsraten 2013 auf einen Rekordtiefststand – sogar noch niedriger als heute. Also holte Putin die «dicke Berta» hervor, zunächst metaphorisch und dann im wahrsten Wortsinn. 2014, nachdem die russischen Athleten (mithilfe des staatlich gesponserten Dopingsystems) an den Olympischen Winterspielen in Sotschi so bemerkenswert abgeschnitten hatten, marschierte Russland in der Ukraine ein und annektierte die Krim. Putin, so verkündeten die staatlichen Medien, erfülle sein Versprechen, Russland zu alter Grösse zurückzuführen.

Putins Zustimmungsraten stiegen steil auf 85%. Die russischen Läden waren gefüllt mit T-Shirts, auf denen sein Gesicht prangte – zusammen mit Slogans wie «Danke für die Krim» und «Der höflichste aller Menschen». Für die überwältigende Mehrheit der Russen stand Putins Autorität ausser Frage. Wenn ihr Präsident eine Politik oder eine Entscheidung unterstützte, akzeptierten die Russen sie willig, egal, wie unpopulär sie anfangs gewesen war.

Putin befolgte dabei einen Ratschlag, der Wjatscheslaw Konstantinowitsch von Plehwe zugeschrieben wird, der zunächst Polizeidirektor und später Innenminister unter Zar Nikolaus II. war: «Um eine Revolution zu verhindern, brauchen wir einen kleinen, siegreichen Krieg.» Doch während Putins kleiner, siegreicher Krieg sein Ansehen stärkte und seine Kritiker zum Schweigen brachte, waren die langfristigen Folgen aufgrund der strikten westlichen Sanktionen, die in Reaktion auf die Annexion der Krim verhängt wurden, schwerwiegend.

Wahlniederlagen in der Provinz

Infolge dieser Sanktionen ist der Wert des Rubels gegenüber dem Dollar um die Hälfte gefallen; die Inflation ist gestiegen, Kaufkraft und Lebensstandard der russischen Haushalte sind gesunken. Ende letzten Sommers war die klamme russische Regierung gezwungen, das Rentenalter anzuheben – ein Schritt, den 90% der Bevölkerung ablehnten. Nicht einmal ein Notappell durch Putin selbst im Fernsehen konnte eine breitere öffentliche Unterstützung sicherstellen.

Zudem hat die herrschende Partei Einiges Russland, trotz Putins Unterstützung, im Fernen Osten Russlands sonst seltene Wahlschlappen hinnehmen müssen. Die Vertreter der nationalistischen, antiwestlichen Liberaldemokratischen Partei schlugen die Kandidaten von Einiges Russland in den Stichwahlen der Gouverneurswahlen in den Regionen Chabarowsk und Wladimir vernichtend.

In der Gouverneurswahl in Primorje schien – u. a. dank einer Protestwahl gegen Einiges Russland – ein Kandidat der Kommunistischen Partei gewonnen zu haben, bevor die Wahl für ungültig erklärt und der Kandidat von Einiges Russland aks Gewinner verkündet wurde. Der hierauf folgende Aufruhr war so lautstark, dass die Wahlergebnisse erstmals in der postsowjetischen Geschichte Russlands annulliert wurden.

Syrienintervention begeistert nicht

Einige Experten behaupten, dass die Wahlniederlagen von Einiges Russland eine Art «Machtmüdigkeit» spiegeln. Doch die Tatsache bleibt, dass mit abnehmendem Wohlstand der Durchschnittsrussen – und weiter steigendem Reichtum von Putins Klüngel – die Proklamationen über Russlands Grösse allmählich hohl klingen.

Die Bürger fragen sich inzwischen, wie stark Russlands Stellung tatsächlich ist. Unter dem Druck der Sanktionen und durch den Westen isoliert, sieht Russland langsam weniger wie eine Grossmacht aus als wie ein geopolitisch abgehalftertes Land. Die offizielle Propaganda gibt noch immer dem Westen die Schuld für das Leid des Landes, aber die Russen sind davon nicht überzeugt. Und sie sind nicht annähernd so beeindruckt von Russlands Engagement im fernen Syrien – ganz gleich, welchen Auftrieb es der Rolle Russlands in internationalen Fragen verschaffen mag –, wie sie es von der Annexion der benachbarten Krim waren.

Doch wenn Putins achtzehn Jahre an der Macht uns irgendetwas gelehrt haben, dann das, dass seine rückläufigen Zustimmungsraten für keinen eine gute Nachricht sind. Die Russen mögen genug haben, aber Putin nicht, und wenn er das Gefühl hat, dass seine Autorität schwindet, könnte er in Kürze entscheiden, dass es Zeit ist für einen weiteren Sieg auf Kosten anderer.

Copyright: Project Syndicate.