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Ein fauler Kompromiss

Die Europäische Union hat auf ihrem Sondergipfel zum Thema Brexit so entschieden, wie sie es in Krisensituationen oft zu tun pflegt: Sie schiebt das Problem auf, um erst mal Zeit zu gewinnen. Dies passiert derzeit auch mit dem Vereinigten Königreich bzw. dessen Projekt, die EU dereinst zu verlassen. Um sich nicht mit den Folgen eines chaotischen Brexit befassen zu müssen, haben die 27 Staats- und Regierungschefs die Deadline für das Vereinigte Königreich zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit verschoben – vom 12. April auf den 31. Oktober.

Aus Sicht der EU hat dieses Datum eine Logik. Es ist der Tag, an dem ihr derzeitiger Kommissionspräsident zurücktritt. Gleichzeitig ist es ein Kompromiss unter den Mitgliedstaaten. Während einige Länder lieber einen deutlich längeren Aufschub gewährt hätten, wollte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron diesen so kurz wie möglich halten.

Doch was nun? Statt mehr Klarheit in den verzwickten Austrittsprozess des Vereinigten Königreichs zu bringen, bewirken beide Parteien mit dem Ergebnis des Gipfels das Gegenteil. Heute ist offener denn je, wann der Brexit nun tatsächlich stattfinden sollte – falls denn überhaupt jemals. Es kann bereits im Mai so weit sein, oder aber erst in einem halben Jahr. Die Prozedur lässt sich fast nach Belieben drehen und wenden, die Planungsunsicherheiten für Unternehmen bleiben beidseits des Ärmelkanals hoch.

Ein weiteres Kuriosum ist, dass das Land kaum darum herumkommen wird, nun doch an den Ende Mai stattfindenden Wahlen zum Europäischen Parlament teilzunehmen. Es ist denkbar, dass die gewählten britischen Abgeordneten nur zur ersten Sitzung des EP im Juli erscheinen, um danach ihre Plätze gleich zu räumen. Immerhin gäben solche Wahlen einen ersten Einblick, wie viel Terrain die Konservativen wie auch Labour mit ihrem Brexit-Schlingerkurs bei ihrer Anhängerschaft eingebüsst haben.

Deutlich schwerwiegender ist ein anderes Signal, das vom halbjährigen Brexit-Aufschub ausgeht. Es verringert den Druck auf das britische Unterhaus, sich nun doch zu einer Lösung durchzuringen. Bislang hatten es sich die Parlamentarier damit bequem gemacht, ausschliesslich kundzutun, dass sie weder den Deal von Premierministerin Theresa May noch andere Brexit-Varianten wünschen. Ein engerer Zeitrahmen hätte die Dringlichkeit aufrechterhalten, sich bald für eine Lösung zu entschliessen. Es ist deshalb anzunehmen, dass in den kommenden Wochen im Vereinigten Königreich wieder Parteipolitik über den Interessen des Landes stehen wird.

Allenfalls wird erneut über ein zweites Referendum debattiert werden. Womöglich bringt Oppositionsführer Jeremy Corbyn wieder das Thema Neuwahlen auf den Tisch. Mit dem gut sechsmonatigen Aufschub sind beide Optionen möglich. Es würde auch kaum jemanden überraschen, falls am 31. Oktober das Vereinigte Königreich mit Blick auf den Brexit keine weiteren Fortschritte erreicht hätte – oder May an der Spitze der Regierung abgelöst worden wäre.