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Digitale Nomaden

Julien Tornare: «Heute endet die Arbeit nicht mehr an der Bürotür. Wenn man auf Distanz arbeitet, geht es vor allem darum, eine gute Work Life Balance zu haben.»

Sie heissen Janine Keller, Xenia Schwander und Sarah Zendrini und teilen ihr Nomadenleben über Internet oder über Blogs, als Freelancer oder «Slashers» (Leute, die mehrere Jobs oder Mandate ausführen) in Brasilien, Indonesien oder Spanien. Sie arbeiten und entdecken gleichzeitig die Welt, wollen Job und Freiheit.

Die Genferin Xenia Schwander, 40, ist für die Sommersaison von den Kanarischen Inseln zurückgekehrt, wo sie seit vier Jahren jeweils die Nebensaison verbringt. Ausserdem hat sie zwei Monate auf den Kykladen gelebt.

Neues Nomadentum dank digitaler Welt

Xenia arbeitet als freie Übersetzerin. 2014 gab sie ihren Job in einer Bank auf und begann zwischen Las Palmas und Genf zu pendeln. Nach einer Testzeit hat sie ihren Arbeitsplatz im Co-Working Space «The Hub» in Las Palmas eingerichtet, wo auch Co-Living, d.h. Zugang zu Wohnungen, geboten wird.

«Zu Beginn versuchte ich, im Hotel zu arbeiten. Aber Schreibtisch und gute Internetverbindung waren nicht immer garantiert.» Sie hat sich jetzt an dieses Leben gewöhnt und geniesst «interessante Begegnungen, vor allem innerhalb der Gemeinde der Digitalnomaden, die sich zu strukturieren beginnt». Auf der Website nomadlist.com kann man anhand persönlicher Kriterien (Monatseinkommen, Meeresnähe, Klima) unter von der Suchmaschine vorgeschlagenen Orten wählen.

Einmal dort, hat man Zugang zu andern Digitalnomaden, auf der Site sind heute über 50‘000 angemeldet. Es sind nicht nur die Freiberufler, die sich für diese Arbeitsform interessieren. Auch Jungunternehmer sind auf der Suche nach neuen Impulsen und Kontakten. Der Start-up-Accelerator MassChallenge Switzerland in Renens beherbergte 2017 das amerikanische Unternehmen Tacit Motion, das vor Ort eine strategische Partnerschaft mit der jungen Schweizer Firma Alogo einging und dann wieder in die USA zog, wo es nun in den Büros von MassChallenge Boston ansässig ist.

Edouard Treccani, operationeller Verantwortlicher der Schweizer Niederlassung, beschreibt die unerwartete Wendung. «Unsere Programme sind eindeutig international orientiert, aber wir stellen mit Erstaunen fest, wie sich mit Blick auf eine fruchtbare Zusammenarbeit auch eine Mobilität zwischen einzelnen Programmen abzeichnet.»

Co-Working-Räume: eine globale Reorganisation

Nach vier aufeinanderfolgen Arbeitsorten (darunter ein ungeheizter Hangar in der Industriezone Bussigny) hat die Firma Monito, die Preisvergleiche über Geldtransfers auf internationaler Ebene anstellt, Lokale in den Co-Working Spaces Gotham in Lausanne bezogen.

Für Gründer François Briod, 28, ist die Flexibilität des Arbeitsorts eine Selbstverständlichkeit, vorausgesetzt, die Aktivitäten des Unternehmens erlauben dies. «Natürlich kann eine Krankenschwester nicht auf Distanz arbeiten. Aber für die digitalen Büroberufe sind lange Ordnerreihen Vergangenheit. Wir haben Mitarbeitende, die in ihrem Bereich viel besser sind als wir. Es ist also eine Illusion, sie überwachen zu wollen. Wer Angestellte an einen festen Arbeitsplatz zwingt, öffnet dem Absentismus, d.h. der Ineffizienz, den Weg.»

Tatsächlich arbeiten immer mehr Menschen von ihrem Unternehmen entfernt in einem Co-WorkingRaum, so die Analyse von Stéphane Journot, Betriebsleiter von Gotham: «Im Genferseeraum verliert man häufig 60 bis 90 Minuten in öffentlichen Transportmitteln. Deshalb entwickeln wir ein Angebot von Nomadenbüros in der Nähe von Bahnhöfen.» Schreibtische, Anschlüsse, Inseln – Gotham bietet ein massgeschneidertes Programm an.

Zum Beispiel kann man einen Raum für monatlich zehn Tage mieten. Geplant sind auch mehrere Gotham-Räume in verschiedenen Städten, um sich so den Bedürfnissen der Unternehmen anzupassen. Neben individuellen Arbeitsplätzen reserviert eine immer grössere Zahl von Unternehmen Co-Working-Räume für ganze Teams, um dadurch ihre Flexibilität zu behalten. Gotham beherbergte beispielsweise während vier Monaten ein vierköpfiges Team der Innovationsabteilung eines mittelgrossen Unternehmens.

«In unseren neuen Lokalitäten im Lausanner Flon-Quartier sind vier Unternehmen mit über hundert Mitarbeitenden untergebracht, wobei eines an SIX, das andere am Nasdaq kotiert ist. Diesen Trend hat man schon in London, Paris und Berlin festgestellt. Zwischen Mutterschaftsurlaub, Ferien und Krankheit bleiben 30% der Arbeitsplätze unbesetzt. Es bietet sich also an, statt vier nur drei Stockwerke zu mieten und einen Teil der Aktivitäten zu dezentralisieren.»

Frei gewähltes oder diktiertes Nomadentum

Die Absicht, Arbeitsräume zu optimieren, zieht andere Formen des Nomadentums nach sich, die nicht von allen Mitarbeitern geschätzt werden, das Desksharing. Es geht nicht um die Attraktivität einer exotischen Destination, sondern schlicht um die Aufhebung des persönlichen Arbeitsplatzes innerhalb der Firma – er wird jeden Morgen frisch zugeteilt.

Eine 2017 in Neuseeland durchgeführte Untersuchung bei tausend Angestellten hat ergeben, dass sich wegen des immer häufigeren Desksharing Klagen und Spannungen erhöhen, sich das Personal von den Vorgesetzten weniger unterstützt fühlt und der Druck bei der Arbeit zunimmt. Controller und Unternehmenschefs, die ständig unterwegs sind, erwähnen auch die Schwierigkeit, Privat- und Berufsleben zusammenzubringen.

Julien Tornare, CEO der Uhrenmarke Zenith, der 50% seiner Arbeitszeit auf Reisen verbringt, betrachtet seine Lebensform insgesamt positiv, auch wenn sie ihm «gewisse Opfer auf persönlicher und familiärer Ebene abverlangt». Für seine Mitarbeitenden sieht er eine gewisse Mobilität auch als Vorteil, quasi als Gegenleistung zu der vom Unternehmen geforderten Flexibilität.

«Wir erwarten von unseren Leuten, dass sie eine Mail auch mal während der Ferien beantworten. Möchten sie einen Tag ausserhalb des Büros arbeiten, habe ich keinen prinzipiellen Grund, diesen Wunsch abzuschlagen. Heute endet die Arbeit nicht mehr an der Bürotür. Wenn man auf Distanz arbeitet, geht es vor allem darum, eine gute Work Life Balance zu haben.»