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Die zweite europäische Renaissance

Die Weltwirtschaft steht am Abgrund eines Handelskriegs. Provoziert der US-Präsident mit einer «America First»-Politik, greift die Regierung in Peking ohne Scheu vor den Folgen den amerikanischen Fehdehandschuh auf. Sie reagiert auf US-Drohungen unerschrocken mit einer «Made in China 2025»-Strategie und strebt nach einer Vormachtstellung in der Weltwirtschaft, die China über Jahrhunderte innehatte und nun wiedererlangen will.

«Tit for tat» ist das Leitmotto der chinesischen Doktrin. Kündigen die USA Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte aus Südostasien an, antwortet Peking postwendend mit spiegelbildlichen Gegenmassnahmen. Taktisch klug gewählt, zielen die chinesischen Strafzölle auf US-Güter, die aus den Stammlanden der Anhänger von Donald Trump stammen, wie Soja, Whiskey, Autos oder Zigaretten aus den ländlichen Regionen des Mittleren Westens. So erhofft man sich in Peking mit Blick auf die Midterm-Kongresswahlen Anfang November den stärksten Wirkungstreffer.

Gerät Europa in diesem Machtkampf der Giganten zwischen die Fronten? Kurzfristig ja, weil ein Handelskrieg allen und damit auch unbeteiligten Dritten schadet, und zwar kleinen mehr als grossen Volkswirtschaften. Der amerikanisch-chinesische Handelskonflikt ist nämlich weit mehr als eine bilaterale Angelegenheit. Er ist für das Zeitalter der Globalisierung ein «Game Changer», weil er bisher gültige Spielregeln der Welthandelsordnung ausser Kraft setzt. Er bedeutet das Ende einer Nachkriegsordnung mit dem Multilateralismus als Kernprinzip. Stattdessen gilt nun wieder der Nationalismus als leitendes Konzept internationaler Beziehungen. Das ist vor allem für die kleineren Länder und ganz besonders für Europa und damit auch für die Schweiz eine bedrohliche und schlechte Entwicklung.

Keine Chance gegen die grossen zwei

Die riesigen Volkswirtschaften China (mit 1,4 Mrd. Menschen) oder USA (327 Mio.) erreichen auch innerhalb ihrer Staatsgrenzen genügend inländische Kunden, um von den Grössenvorteilen der Massenproduktion zwar nicht maximal, aber doch wenigstens einigermassen profitieren zu können. Europa mit seinem gerade wieder in nationale Teile zerfallenden Binnenmarkt hingegen kann Grössenvorteile nur teilweise nutzen, was einen kostspieligen Wettbewerbsnachteil zur Folge hat.

Kennzeichen des Multilateralismus war die Zusammenarbeit der Volkswirtschaften auf Augenhöhe, also unabhängig von Grösse und Leistungsfähigkeit der einzelnen Staaten. Wie im Ständerat jeder Kanton – ob gross oder klein – die gleiche Anzahl Stimmen hat, haben die USA und China in den multilateralen Organisationen jeweils nur eine Stimme, wie jedes einzelne Land Europas.

Ein Ende des Multilateralismus heisst nichts anderes, als dass nun wieder das Diktat von Macht und Grösse die Weltwirtschafts(un)ordnung bestimmen wird. Europäische Interessen werden dabei zu beliebig manipulierbaren Spielbällen der «Big Two», der beiden grossen Weltmächte, degradiert. Im bilateralen Konfliktfall werden gegenüber den USA oder China alle anderen Länder klein, schwach und damit erpressbar. Keine rosigen Aussichten für Europa, wenn es um (Doppel-)Steuerabkommen, gegenseitigen Informationsaustausch, grenzüberschreitende Datensicherheit oder ganz konkret um eine Besteuerung der grossen amerikanischen Datenfirmen (also beispielsweise Amazon oder Google) oder um den Schutz privater Daten (beispielsweise gegenüber sozialen Netzwerken wie Facebook) geht.

In der längeren Frist jedoch bietet das Ende des Multilateralismus für Europa eine historische Chance, sich zusammenzuraufen und selbst durch eine funktionierende europäische Wirtschaftsunion an Grösse, Macht und Bedeutung zuzulegen. Oft schon war Druck von aussen ein Motor, um im Innern Veränderungen anzuschieben. «In einem Moment, in dem der Multilateralismus auf der ganzen Welt in Frage gestellt wird, kann Europa zum Vorbild und Beleg dafür werden, dass Kooperation zu wirtschaftlicher Stabilität und Prosperität führen kann», sagte Christine Lagarde, die geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF), in einem Vortrag in Berlin kurz vor Ostern.

Zu einer Renaissance Europas als ernstzunehmender Mitspieler auf Augenhöhe mit den USA und China gehört jedoch zuallererst die Einsicht, dass für Europa Kleinstaaterei das Gegenteil einer Erfolgsstrategie ist. Keines der europäischen Länder hat in einer Welt der Machtdominanz der grossen zwei allein auch nur annähernd etwas zu sagen, auch nicht Deutschland oder Frankreich. Das ist das Neue und Andere im post-multilateralen Zeitalter. Nur gemeinsam hat Europa eine Chance, seine Interessen gegenüber einer «America First»-Strategie und einem sowohl wirtschaftlich wie militärisch bestens gerüsteten Reich der Mitte zur Geltung zu bringen.

Zweitens gilt es, endlich, den Geburtsfehler des Euros zu korrigieren und die Währungsunion um eine Fiskalunion zu einer wahrhaften Wirtschaftsunion zu ergänzen. Ideen dazu gibt es genug und ebenso viele wissenschaftlich gut unterlegte Analysen, die deren Effektivität belegen. Vielleicht hilft es dabei, daran zu erinnern, was Jean Monnet einst zu Willy Brandt sagte: «Es ist keine Sache der Emotionalität, die Menschen dazu bringt, dem Weg der europäischen Integration zu folgen. Es ist die Notwendigkeit, die sie antreibt.» Die Integration der Europäischen Union teilt nämlich das Schicksal des Steuersystems: Man muss sie nicht lieben, kommt aber ohne sie nicht aus. Man muss Europa nicht mögen, aber das ändert nichts an der Einsicht, dass eine Währungsunion ohne Fiskalunion genauso wenig wie ein Staat ohne Steuern überleben kann.

In den wirtschaftlich stärkeren Volkswirtschaften Nordeuropas, besonders in Deutschland, schreckt die Politik vor einer Vorwärtsstrategie zurück. Warum? Es ist gelinde ausgedrückt bemerkenswert, wie verbohrt gerade auch kluge Ökonomen in Deutschland den Euro schlechtreden und ebenso seine gesellschaftliche Akzeptanz negieren. Aktuelle Umfrageergebnisse des Eurobarometer liefern mehr als genügend Belege dafür, dass der Euro in der Bevölkerung weit mehr Vertrauen geniesst, als viele gemeinhin denken, die den lauten Protest aufgeheizter Kritiker in Ohren haben.

Gerade die aktuelle Wechselkursentwicklung bestätigt mehr als alles andere, wie sehr auch die Wirtschaft in einer Zeit drohender Handelskonflikte zwischen den «Big Two» und einer dadurch verursachten allgemeinen Unsicherheit von einer Renaissance Europas überzeugt ist. Denn obwohl Erwartungen an die kurzfristige Entwicklung von Wachstum und Zinsen eher für als gegen den Dollar sprechen, ist der Euro in den vergangenen Monaten nicht schwächer, sondern stärker geworden.

Das Vertrauen in die EZB ist zurück

Anfang April kostet der Euro 1.23 $ und damit zwar nur 2% mehr als am ersten Handelstag 2018, aber ein Sechstel mehr als Anfang 2017. Dafür, dass nicht der Dollar schwach, sondern der Euro stärker geworden ist, spricht, dass sich der Euro eben auch gegenüber dem Franken enorm aufgewertet hat. So kostet der Euro momentan 1.18 Fr. und damit nahezu 10% mehr als Anfang April 2017. Augenscheinlich sinkt für viele sicherheitsorientierte Anleger die Notwendigkeit, ihre Vermögen aus dem scheinbar gefährdeten Euroraum in den sicheren Alpenhafen zu transferieren.

Offenbar ist bei den Investoren und der Wirtschaft das Vertrauen zurück, dass der Europäischen Zentralbank die Rückkehr zur Normalität gelingen wird. Das Ende der Nachkriegsordnung könnte (sollte?) also eine zweite Renaissance Europas initiieren und damit zum Anfang einer Regionalisierung werden mit USA, China und Europa als gleichwertigen Wettbewerbern auf Augenhöhe.