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Die Welt nach dem Brexit

Die Mehrheit der Briten hat für den Austritt aus der EU gestimmt. Die abschätzigen Erklärungen von schockierten Mitgliedern des Establishments über das Warum dieses Resultats sind mehrheitlich verfehlt. Was die Briten umgetrieben hat, ist die seit einigen Jahren massive Zuwanderung, die im Land für Spannungen und Probleme sorgt, vergleichbar mit der Schweiz. Cameron wollte von der EU und von Merkel unter anderem diesbezügliche Zugeständnisse, die ihm beide verweigert haben.

Das politische Establishment und seine Medien in nah und fern waren über dieses Abstimmungsresultat schockiert. Wie es scheint, waren weder die Befürworter in Grossbritannien noch die Regierungen im übrigen Europa, inklusive der Schweiz, darauf vorbereitet.

Der Schock auf beiden Seiten des Kanals könnte heilsam, aber auch verheerend wirken, je nachdem, was die Politik nun aus dieser Situation macht. Grossbritannien wird mit einem Austritt seine volle Souveränität und Handlungsfreiheit wiedererlangen und selbst entscheiden können, was gut ist für die Nation. Die EU kann Hand bieten zu einer guten Lösung des Zusammenlebens, oder sie kann eine bestrafende Haltung einnehmen.

Letzteres, besonders von Frankreich gefordert, wäre dumm, denn das Vereinigte Königreich ist nicht nur die fünftgrösste Volkswirtschaft der Welt und einer der grössten Handelspartner und Kunden der EU, sondern auch die grösste Militärmacht Europas. Das Interesse der USA an Europa hat deutlich nachgelassen, und da die Briten den USA von allen Nato-Staaten am nächsten stehen, würde eine gestörte Beziehung der EU mit den Briten wohl eine weitere militärische und geopolitische Schwächung des alten Kontinents bedeuten.

Wurstelei am wahrscheinlichsten

Die EU muss sich hinterfragen, um ihre Fehlentwicklungen zu korrigieren, die in so manchen Nationen den Druck auf das Establishment fördern. Dabei genügt es nicht, die Bürokratie etwas zurückzufahren und die Beweglichkeit etwas zu erhöhen, sondern sie muss die institutionelle Architektur überarbeiten und auf eine tragfähige Basis stellen, die den wirtschaftlich, politisch und kulturell unterschiedlichen Mitgliedstaaten gerecht wird. Das ist einfacher gesagt als getan, denn besonders über die vergangenen zwanzig Jahre wurde die EU zur Fehlkonstruktion umgebaut, mit dem Ziel eines zentralisierten Superstaats Europa.

Die EU könnte nun weiterhin die volle Integration mit dem Ziel Superstaat Europa anstreben. Die Nationalstaaten würden dann ihre Souveränität verlieren. Dies will vor allem Brüssel, und das entspricht dem ursprünglichen Ziel des Euro-Vaters Helmut Kohl. Sollte dies weiterhin versucht werden, dann wird die EU grandios scheitern, denn die Mehrheit der Regierungen und Menschen in der EU will dies nicht.

Das andere Extrem wäre die Rückbildung zur Situation von vor Maastricht, also ohne Währungsunion, organisiert mit Subsidiarität als oberstes Prinzip in einem Bund souveräner Nationalstaaten. Diese Variante wäre langfristig am tragfähigsten. Daraus könnte wieder eine Freihandelszone mit Kooperation werden, und in einzelnen Fragen mit Bündelung der Kräfte gegen aussen. Dieser Idee steht jedoch die Ideologie der EU-Eliten diametral entgegen.

Die politische Auseinandersetzung dürfte sich deshalb im Spannungsfeld dieser beiden Extreme bewegen und wohl Jahre dauern, bis es zu einem klaren Entscheid kommt. Vermutlich wird die EU in gewissen Fragen nun beweglicher, doch sie wird an der Währungsunion festhalten. Die Demokratiedefizite werden bleiben, denn anders als gegen die Demokratie kann die EU-Elite ihr Ziel eines voll integrierten Europas gar nicht erreichen. Und mit einer Währungsunion, welche die Zentralisierung zwangsläufig vorantreibt, da Volkswirtschaften mit völlig unterschiedlicher Struktur und Wettbewerbsfähigkeit in diesen Verbund gezwängt werden, kann diese Zentralisierung gar nicht aufgegeben werden.

Deshalb kann die EU die Korrekturen, die ihr die Anti-Establishment-Kräfte aufzwingen wollen, gar nicht vornehmen. Folglich wird es wohl zu einer grossen politischen Wurstelei kommen, die viel Energie verschleisst, ohne brauchbare Resultate zu zeitigen. Daraus können politische Verhärtungen und vor allem eine zunehmende Unsicherheit über den zukünftigen politischen und institutionellen Rahmen Europas folgen, denn weitere Referenden und Vertragsbrüche sind programmiert.

Diese wahrscheinlichste Variante vorausgesetzt, wird Europa im globalen Vergleich wirtschaftlich deutlich Boden verlieren. Investitionen und Beschäftigung werden abnehmen, ebenso die Rentabilität der Unternehmen. Kapital wird von Europa in andere Regionen abfliessen und den Euro schwächen, nicht zuletzt wenn die Europäische Zentralbank ihre völlig verfehlte Geldpolitik angesichts zunehmender wirtschaftlicher Probleme fortsetzt oder sogar noch verstärkt.

Weil die Volkswirtschaften schwächer werden und die wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen zunehmen, dürfte die aktuelle Politikergeneration bald durch eine neue Garde ersetzt werden, die schliesslich pragmatische Lösungen suchen wird. Vermutlich dürfte die Währungsunion in der heutigen Form in weniger als einem Jahrzehnt als Opfer zentrifugaler Kräfte beendet sein und als grosse politische Verirrung in die Geschichtsbücher eingehen.

Kapitalanlagen in Europa dürften in dieser Zeit kaum die Rendite abwerfen, die viele Investoren brauchen, um ihre Verbindlichkeiten zu befriedigen. Eine weitere Erosion des Lebensstandards für die grosse Masse wird unvermeidlich werden. Bis diese längerfristigen Entwicklungen aber deutlicher zutage treten, werden sich die Märkte kurzfristig orientieren. Das britische Pfund wird wohl noch einige Monate weiter fallen, nicht nur wegen des grossen Leistungsbilanzdefizits, sondern weil Notenbankchef Carney der gleichen Denkschule wie Yellen und Draghi angehört und die Geldschleusen auf Vorrat öffnet. Der englische Aktienindex FTSE 100, dessen Ertrag zu 70% aus Übersee stammt, wird von der Abwertung des Pfunds deutlich profitieren und in den kommenden Monaten mit einer starken Performance alle überraschen – in Lokalwährung gemessen.

Triebkraft für die US-Märkte

Für die EU-Wertpapiermärkte dürften die Risiken, besonders längerfristig, sehr viel höher sein als für Grossbritannien, weil die Unsicherheit deutlicher zunehmen wird. Erhöhte Liquiditätshilfen der EZB und anderer Notenbanken können jedoch auch jene Aktienindizes für einige Monate beflügeln, nachdem der Pessimismus in den vergangenen Monaten zu gross geworden war. Im Gegensatz zum FTSE werden die übrigen Aktienmärkte Europas jedoch schlechter abschneiden, namentlich die «Peripherie» wird weiter hinterher hinken.

Während die Geldmarktzinsen überall niedrig bleiben, oder gerade im Vereinigten Königreich noch weiter sinken, sind Zinserhöhungen in den USA nun wohl für längere Zeit vom Tisch. Entsprechend wird die amerikanische Börse daraus nochmals neue Kraft schöpfen und in diesem schon sehr alten Bullenmarkt in den kommenden Monaten nochmals neue Höchstkurse erklimmen. Mit Ausnahme Grossbritanniens dürften für die meisten europäischen Märkte die Höchstkurse vom Frühjahr 2015 jedoch ausser Reichweite liegen.

Für die Schweiz wird die Ausgangslage mit dem Austritt der zweitgrössten Volkswirtschaft Europas und mit den für beide ähnlichen, von der EU nicht akzeptierten Anliegen tendenziell besser, und nicht schlechter, wie das Establishment fälschlicherweise meint. Der Bundesrat muss schleunigst Kontakt mit den Engländern, mit denen wir viele Gemeinsamkeiten haben, aufnehmen. Für die Schweizerische Nationalbank wird es noch einige Jahre ungemütlich bleiben, weil der Euro bis zu seiner Auflösung tendenziell unter Druck bleiben wird.

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