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Die US-Immobilienblase von 1837

1825 eröffnet, erschliesst der Eriekanal den Mittleren Westen und beflügelt die Fantasie der Landspekulanten.

Das Unglück fegt an einem bitterkalten Tag im Dezember 1835 über New York. In einem fünfstöckigen Warenhaus an der 25 Merchant Street, der heutigen Beaver Street in Manhattan, bricht das Feuer aus. Die Feuerwehr kämpft gegen garstige Winde und frostige Temperaturen, die East und Hudson River mit Eis überziehen.

Die Feuersbrunst sieht man bis ins 150 Kilometer entfernte Philadelphia. Dem Inferno fallen 648 Gebäude zum Opfer, eine Fläche von 28 Fussballfeldern wird dem Erdboden gleichgemacht. Doch nicht einmal diese Katastrophe vermag das Spekulationsfieber in der Stadt zu lindern – die verbrannten Parzellen wechseln die Besitzer zu höheren Preisen als vor dem Brand, als noch Gebäude darauf standen. So gewaltig ist die Immobilienblase, welche die junge Nation in Bann hält.

1. Zielscheibe Zentralbank

Die Geschichte beginnt 1817 mit einem Spatenstich. Kurz nach Ende des Zweiten Unabhängigkeitskriegs gegen Grossbritannien startet der Bau des Eriekanals, der den Hudson River mit den Grossen Seen verbinden soll. Am 26. Oktober 1825 wird der Kanal eröffnet, wodurch die dünn besiedelten Gebiete von Ohio, Indiana und Illinois Anschluss an New York erhalten.

Für die Landwirtschaft des Mittleren Westens öffnet sich das Tor zu den Absatzmärkten am Atlantik und in Europa. New York entwickelt sich zum wichtigsten Hafen der Ostküste, Chicago blüht dank der neuen Wasserverbindung auf. Die Landpreise entlang der Verkehrswege beginnen stetig zu steigen. Inspiriert vom Erfolg des Kanals werden im ganzen Land neue Wasserwege geplant. Der Warenhandel nimmt zu, die Wirtschaft floriert. Die noch junge Nation entwächst finanziell der Pubertät, die US-Notenbank, die Second Bank of the United States (BUS), wacht über das Finanzsystem.

1829 wird Andrew Jackson zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt. Er hält nichts von Papiergeld und sieht es als seine Pflicht, die BUS zu zerschlagen, da er sie als Gefahr für Bevölkerung und Wirtschaft erachtet. In seinen Augen schränkt die Notenbank die Kreditvergabe zu stark ein, was das Wachstum hemme. Nicholas Biddle, Präsident der BUS, versucht seine Bank zu retten und beantragt 1932 eine Verlängerung ihrer Lizenz. Sein Vorhaben scheitert jedoch am Veto des Präsidenten. Im Jahr darauf wird Jackson im Amt bestätigt. Sogleich weist er seinen Finanzminister an, die Goldreserven der Notenbank bis zum 1. Oktober 1833 auf «sorgfältig ausgewählte» Banken der Einzelstaaten zu ­verteilen. Die BUS ist faktisch am Ende.

2. Land und Liquidität

Damit sind den regionalen Finanzinstituten kaum mehr Schranken gesetzt. In der Folge werden allein von 1834 bis 1837 beinahe 300 neue Banken – darunter nicht wenige dubiose, schlecht kapitalisierte ­Institute – gegründet. Eine massive Geld- und Kreditausweitung beginnt. Die entfesselten Banken nähren die markant anziehende Nachfrage nach Land.

Der Staat verdient an den Landverkäufen kräftig mit (vgl. Bild oben). Dank der sprudelnden Einnahmen investieren die Staaten munter in Infrastrukturprogramme wie Kanäle und Eisenbahnen, was die Wirtschaft beflügelt und die Fantasie der Bevölkerung weiter anheizt. Die Landpreise steigen unvermindert weiter. Angesteckt von diesen Entwicklungen setzt ein Boom an Städtegründungen ein. Historiker schätzen, dass allein in den Jahren 1835–1837 ein Drittel aller Städte in Zentral-Illinois gegründet wurde – darunter Aurora, Clinton, Elgin und Newton.

3. Kaufen, um zu verkaufen

Die Aussicht, von der Aufwertung durch Infrastrukturprojekte profitieren zu können, zieht zunehmend Spekulanten an. Käufe auf Kredit nehmen zu. Land wird nur gekauft, um es teurer weiterverkaufen zu können. Ein typisches Beispiel ist American Land Company: Sie kauft in Toledo in Ohio Land zu einem Preis von 50 000 $, zahlbar in einem Jahr. Noch vor Ablauf der Frist  verkauft das Unternehmen die Parzelle bereits für 80 000 $ weiter – zahlbar in zehn Jahresraten, zu einem Zins von 7%.

In Michigan grassiert das sogenannte Michigan-Fieber, in Maine ist Waldland begehrt: Um die grosse Nachfrage zu bedienen, wird ein Kurierdienst zwischen Boston und Bangor eingerichtet, damit die Kauf- und Verkaufsaufträge speditiv abgewickelt werden können. Besonders intensiv ist das Spekulationsfieber in Chicago. 1830 kostet eine Hektare Land noch rund 320 $ (in heutigen Dollars), im Jahr 1836 werden für dieselbe Fläche 131 000 $ bezahlt. Ausländische Investoren – allen voran Briten – wollen am Aufschwung teilhaben und kaufen ebenfalls kräftig.

Wie immer, wenn das schnelle Geld lockt, werden Betrüger auf den Plan gerufen. Um die grosse Nachfrage zu befriedigen, werden Landkarten gefälscht und Parzellen in inexistenten Städten verkauft. Um höhere Preise zu erzielen, werden Grundstücke mit fiktiven Bächen aufgewertet, aus Steppenland wird plötzlich eine Parzelle mitten in der Metropole.

4. Das «Specie Circular»

Präsident Jackson ist die Landspekulation ein Dorn im Auge. Um die Exzesse zu beenden, verabschiedet er am 11. Juli 1836 das «Specie Circular» (Währungsrundschreiben). Dieses legt fest, dass ab dem 15. August 1836 alle Landverkäufe des Staates mittels «Specie» – also Gold und Silber – zu geschehen haben. Da Papiergeld für die Landkäufe im Westen nicht mehr akzeptiert wird, beginnt «Specie» von den Finanzzentren wie New York oder Philadelphia in den Westen zu fliessen. Dieser Gold- und Silberabfluss führt im Spätsommer zu einem drastischen Rückgang der Liquidität im Osten des Landes. Im fragmentierten Bankensystem rächt sich nun die Absenz einer Notenbank, die ausgleichend eingreifen könnte.

Gleichzeitig ziehen vom Atlantik Wolken auf: Am 21. Juli 1836 erhöht die Bank of England (BoE) die Zinsen erst auf 4,5 und kurz darauf auf 5%. Angesichts der nun attraktiveren Renditen in Grossbritannien fliesst Liquidität von den USA zurück nach Grossbritannien.

Beide Massnahmen, das Währungsrundschreiben und die Zinserhöhungen der Bank of England, haben verheerende Folgen. 1837 erreicht der Reserveabfluss die kritische Masse. Die Bevölkerung verliert das Vertrauen in die Währung, ein Bank Run wird Realität.

5. Geldnot und Geisterstädte

Am 10. Mai 1837 wird der Druck zu gross: Die Banken heben die Konvertibilität von Papiergeld in Gold und Silber auf. Verzweifelt versuchen die Geldhäuser, ihre Bilanzen zu sanieren, und schränken die Kreditvergabe massiv ein. Gleichzeitig verlangen sie die Rückzahlungen ausstehender Darlehen. Die Zinsen für kurzfristiges Kapital schnellen von 12% im Juni auf 24% im September. Die Kreditklemme setzt ein. Ausgehend von New York und New Orleans breitet sich die Panik im ganzen Land aus, die Blase platzt.

Im Chicago Land Office brechen die Landverkäufe 1837 im Vergleich zum Vorjahr um 96% ein. Vorerst kommen die Preise nicht ins Rutschen, doch spätestens 1839 ist das Ausmass der Katastrophe ersichtlich. Die Regierung ist in Geldnot und sieht sich gezwungen, eine Parzelle in ­Chicago zu veräussern. Gerade einmal 100 000 $ erhält sie für das Land, das noch 1836 für 900 000 $ gehandelt wurde. In Buffalo, New York, brechen die Preise um 80 bis 90% ein. Noch dreissig Jahre später (1863) liegen die Preise 50% unter den in der Manie erzielten Höchstwerten.

Die Vereinigten Staaten stürzen in eine mehr als fünf Jahre dauernde Depression.  Dutzende von Banken kollabieren: Von den 729 im Jahr 1837 existierenden Banken im Land müssen 194 ihre Pforten schliessen. Als Folge des massiven Einbruchs des Grundsteueraufkommens steigen die Schulden einzelner Staaten massiv. Zehn Staaten können ihre Schulden nicht mehr bedienen und setzen ihre Zinszahlungen für Jahre aus. Mississippi und Florida verweigern den Schuldendienst gänzlich. Die Geldnot der Staaten stoppt viele Kanalprojekte, was die Landpreise weiter fallen lässt. Zwei Drittel aller während des Booms in Illinois gegründeten Städte werden verlassen oder gar nie bewohnt. Gebiete, die prosperierende Metropole hätten werden sollen, ver­kommen zu Geisterstädten.