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Die SNB dürfte den Schock abfedern

Nach der Aufhebung der Eurountergrenze hat sich die politische Diskussion in der Schweiz schlagartig verändert. Wie wird sich der Wechselkurs entwickeln? Wird es eine Rezession geben? Wie sollen sich die Unternehmen an die neue Situation anpassen? Was kann die Politik tun?

Die Schweiz hat mehrmals einschlägige Erfahrungen mit Aufwertungsschüben gemacht. In den letzten hundert Jahren hat sich der Franken nicht weniger als fünf Mal schnell und stark aufgewertet: nach dem Ersten Weltkrieg, in der ersten Hälfte der Dreissigerjahre, in den Siebzigerjahren, in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre und während der ersten Phase der Eurokrise (2010/11).

Aus diesen Erfahrungen lassen sich allerlei Schlüsse ziehen. Die Geschichte ist alles andere als eine exakte Wissenschaft. Der historische Rückblick legt aber die Vermutung nahe, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) alles unternehmen wird, um den Aufwertungsschock abzufedern. Der Frankenkurs dürfte deshalb kaum über längere Zeit auf der Parität zum Euro verharren.

Es sind drei langfristige Trends, die eine solche Vermutung rechtfertigen. Erstens hat das Ausmass der Aufwertungsschocks über die letzten hundert Jahre stark abgenommen. Was sich etwa nach dem Ersten Weltkrieg abspielte, ist heute nicht mehr vorstellbar. Während die Schweiz und andere neutrale Länder den Staatshaushalt in Ordnung brachten und ihre Währung zur alten Goldparität zurückführten, gerieten einige europäische Länder, allen voran Deutschland, in ein monetäres Chaos, was zum Zerfall ihrer Währungen führte. Hohe Volumen an Fluchtkapital flossen in die neutralen Länder, was ihre Währungen binnen weniger Monate bis zu 50% aufwerten liess.

Goldstandard, Bretton Woods, EWS

Auch zu Beginn der Dreissigerjahre war der Währungsschock ausserordentlich gross, wenn auch nicht so kurzfristig wie nach dem Ersten Weltkrieg. 1931 wertete sich das britische Pfund von einem Tag auf den anderen 30% ab, gefolgt von den Währungen des Empire, des Commonwealth und Nordeuropas. Eineinhalb Jahre später wertete sich der Dollar 40% ab. Die Schweiz hielt bis 1936 an der Überbewertung fest, warf aber das Handtuch, als Frankreich und die Niederlande den Goldstandard aufgaben.

Der Zerfall des Bretton-Woods-Systems zu Beginn der Siebzigerjahre liess den Franken erneut stark steigen. Zum Dollar avancierte er innerhalb des ersten Semesters 1973 ein Viertel, gegenüber dem französischen Franc und der italienischen Lira zwischen 10 und 20%. 1975 und 1978 folgten weitere Aufwertungsschübe in ähnlichem Ausmass, auch gegenüber der D-Mark. Es waren Verwerfungen, die an die Zwischenkriegszeit erinnerten.

Seither sind die Aufwertungsschocks moderater geworden. In den Neunzigerjahren war die Schweiz von der Krise des Europäischen Währungssystems betroffen. Das britische Pfund und die südeuropäischen Währungen werteten sich bis zu 30% ab, doch dank der Stabilität der D-Mark und des Dollars liess sich die Aufwertung gut verdauen. 2010 und 2011 wertete sich der Franken gegenüber dem Euro rund 25% auf, aber der Franken war vor diesem Aufwertungsschock stark unterbewertet, sodass diese Phase nicht mit der Zwischenkriegszeit oder den Siebzigerjahren vergleichbar ist.

Der zweite Trend, der sich feststellen lässt, hängt mit dem ersten direkt zusammen. Über die letzten hundert Jahre beobachten wir einen Rückgang des volkswirtschaftlichen Schadens, der durch die Aufwertung entstanden ist. 1921 schrumpfte das reale Bruttoinlandprodukt 20%, von 1930 bis 1935 um 10% und 1975 um 7,5%. In der Zwischenkriegszeit war die Krise zudem von einer starken Deflation begleitet. Von 1920 bis 1922 gingen die Konsumentenpreise ein Viertel zurück, von 1929 bis 1935 ein Fünftel. Das machte es für die Unternehmen äusserst schwierig, die Kosten in nützlicher Frist an die neuen Verhältnisse anzupassen. Auch die Schuldner kamen in grössere Bedrängnis, was wiederum dem Bankensystem stark zusetzte.

Der volkswirtschaftliche Schaden, der aus den Aufwertungen in den frühen Neunzigerjahren und der ersten Phase der Eurokrise resultierte, war dagegen bedeutend kleiner, wenn auch immer noch stark spürbar. 2011 brachte nur das dritte Quartal negative Wachstumsraten. Die meisten Firmen waren in der Lage, mit kostensenkenden Massnahmen ihre Existenz zu sichern. In den Siebzigerjahren war die Situation ungleich dramatischer. Es verschwanden damals 250 000 Arbeitsplätze im industriell-gewerblichen Sektor. Vor allem die Textil-, die Bekleidungs- und die Uhrenindustrie brachen förmlich ein.

Für die Abnahme des Aufwertungsschocks und des volkswirtschaftlichen Schadens gibt es viele Gründe. Einer ist die Veränderung der geldpolitischen Konzeptionen. In der Zwischenkriegszeit waren die Regeln starr auf die Erhaltung der Goldparität ausgerichtet. Da nach 1918 die wirtschaftlichen Verwerfungen gross waren, verursachte die Priorität der Währungsstabilität über die Konjunkturpolitik besonders hohe Kosten. Der tiefe Einbruch von 1975 lässt sich zu einem grossen Teil auf die fehlende Erfahrung mit flexiblen Wechselkursen zurückführen. Erst von da an verstand es die SNB, wie man die Geldpolitik unter flexiblen Wechselkursen berechenbar gestalten konnte. Sowohl in den Neunzigerjahren wie 2010/2011 drehte die SNB das Steuer herum, als sie sah, dass der bisherige Kurs zu hohe Kosten verursachte.

Ein anderer Grund ist die veränderte Einstellung gegenüber Wirtschaftskrisen. In der Zwischenkriegszeit wurden Einbrüche eher als normale Begleitumstände angesehen als heute. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs werden Wirtschaftskrisen vielmehr als Folge einer verfehlten Wirtschaftspolitik interpretiert. Die Zentralbanken geraten dadurch schneller ins Visier der Politik. Sie sind keine neutralen Institutionen mehr und müssen vermehrt auf die politische Stimmung reagieren.

Politischem Aktivismus vorbeugen

Es kommt noch eine dritte historische Tatsache hinzu, die vermuten lässt, dass die SNB eine allzu starke Aufwertung nicht zulassen wird. In der Vergangenheit konnte man nämlich immer wieder beobachten, dass die Bundespolitik in eine aktivistische Hektik verfiel, wenn es darum ging, die negativen Folgen der Aufwertung zu lindern. Das gilt selbst für die Krise zu Beginn der Zwanzigerjahre, als der Bund noch ganz der liberalen Doktrin verpflichtet war. Er griff der Exportindustrie unter die Arme, indem er etwa die 48-Stunden-Woche aufhob. Die Stickerei- und die Uhrenindustrie wurden mit Darlehen und Subventionen unterstützt.

In der langen Krise der Dreissigerjahre artete die Unterstützung geradezu aus. Vor allem die Hotellerie erhielt eine umfassende Unterstützung. Der Bund half mit Darlehen, Zuschüssen an die Werbung im Ausland, der Subventionierung der Fahrpreise für Ausländer und einem Hotelbauverbot, um die Zahl der leeren Betten möglichst klein zu halten. Es waren lauter Massnahmen, die kaum Linderung brachten, sondern lediglich kartellistische Strukturen befestigten. 2011 konnte man eine ähnliche Nervosität in Bern beobachten. Der Bund sah sich gezwungen, ein Milliardenpaket zu schnüren, um die Exportindustrie und den Tourismus zu stützen. Hätte sich der Franken nicht rechtzeitig stabilisiert, wäre der finanzpolitische Flurschaden beträchtlich gewesen, ohne dass die Exportsektoren viel davon gehabt hätten. Es kann nicht im Interesse der SNB liegen, im laufenden Jahr eine ähnliche Dynamik in Bern auszulösen.

Zusammengefasst bedeutet dies: Würde die SNB in den kommenden Monaten eine starke Aufwertung und grösseren volkswirtschaftlichen Schaden in Kauf nehmen, würde sie gegen den historischen Trend schwimmen. Diese Feststellung ist zwar keine ausreichende Basis für eine sichere Prognose. Doch wie heisst es: Wer die Vergangenheit ignoriert, gefährdet die Zukunft.