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Die Random-Walk-Hypothese

Im Jahr 1900 beschäftigte sich die Börse in New York nicht mit der Mathematik des Random Walk, sondern mit der Hausse.

Gibt es wirklich keine guten Prognosen für Aktienkurse? Die Random-Walk-Hypothese besagt: Der Kursverlauf unterliegt dem Zufall.

Demnach lässt sich nicht vorhersagen, ob Aktien in nächster Zeit steigen, fallen oder stagnieren.  Investoren nützt es nichts, wenn sie Berichte durchforsten, Unternehmensgewinne prophezeien, Zahlenreihen auswringen oder mit Momentum und Trends manövrieren.

Die logische Folgerung aus dem Random Walk – übersetzt als Zufallsbewegung oder gar als Irrfahrt – ist letztlich, dass ein blinder Affe, der Pfeile auf eine Liste von Aktien wirft, ein ebenso erfolgreiches Portefeuille auswählt wie ein Experte anhand einer eingehenden Analyse. Kein Wunder ist diese Hypothese umstritten.

Zufall heisst nicht Irrfahrt

Der Disput dreht sich darum, ob Märkte effizient sind und somit die Aktienkurse stets sämtliche verfügbare Information erfassen oder ob die Börse zu Übertreibungen neigt, sich manchmal irrational verhält und Aktien falsch bewertet. Nicht einmal die Jury für die Verleihung des Wirtschaftsnobelpreises wollte sich auf eine Seite schlagen. Sie verlieh die Auszeichnung im Herbst 2013 an die zwei Opponenten Eugene Fama und Robert Shiller.

Professor Eugene Fama von der Universität Chicago ist der Vater der Hypothese der effizienten Märkte und hat sie empirisch bestätigt.

Somit bewegen sich Aktien zufällig, denn jeder erwartete Trend und jede absehbare Information hat sich in den Kursen bereits niedergeschlagen.

Die Hypothese besagt also nicht, dass sich Aktien in einer Irrfahrt richtungslos und erratisch bewegen, ohne auf neue Informationen zu reagieren. Das Gegenteil ist der Fall: Neuigkeiten tauchen unvorhergesehen und zufällig auf. Die Börse ist so effizient respektive die Kurse passen sich so schnell an, dass niemand den Markt schlagen kann.

Fama verknüpfte die Markteffizienz und den Random Walk in seiner Dissertation, die 1965 unter dem Titel «Random Walks in Stock Market Prices» in einer Fachzeitschrift erschien. Wegbereiter war der französische Ökonom Louis Bachelier im Jahr 1900. Seine Arbeit blieb zunächst unbeachtet und zirkulierte erst in den Fünfzigerjahren unter Ökonomen. Davor wurde der Aktienmarkt von Wissenschaftlern kaum untersucht.

Zu frisch war die Erinnerung an den Crash 1929 und die Grosse Depression. Die Börse galt als Spielwiese für Spekulanten.

Der zweite Nobelpreisträger, Robert Shiller, ist Professor an der Yale-Universität und hat Famas These 1981 widerlegt. Ausgangspunkt ist, dass Aktienkurse theoretisch die künftigen Unternehmensgewinne respektive Dividenden spiegeln. In einem effizienten Markt sollten die Kurse daher nur so stark schwanken, wie sich die Erwartung zur Gewinnausschüttung oder aber zum Zins ändert – für die Abdiskontierung der künftigen Dividenden.

Shillers Ergebnis: Aktien schwanken viel zu stark, die Kursausschläge lassen sich nicht nur durch die Anpassung der Erwartungen erklären. In seinem Bestseller «Irrational Exuberance» (irrationaler Überschwang) warnte er im März 2000, die Börse befinde sich in einer Blase, und bekam kurz darauf mit dem Absturz der Internetaktien recht – allerdings hatte er schon seit 1996 gemahnt, der Aktienmarkt sei gefährlich überteuert. Shiller folgert, zur Erklärung der Preisbildung müssten Verhaltenswissenschaft und Massenpsychologie herangezogen werden. Die Hypothese der effizienten Märkte sei «der bemerkenswerteste Fehler in der Geschichte der Ökonomie».

Rationale Börsenblasen

In der Tat wurde die Effizienzmarkthypothese nach der Internet- sowie der Immobilienblase 2008 von vielen Marktbeobachtern verworfen. Nichtsdestotrotz sieht Fama weiterhin keinen Beweis, dass die Märkte nicht effizient sind.

Beiden Nobelpreisträgern ein bisschen recht – das erinnert an das unentschlossene Nobelpreiskomitee – gibt Burton Malkiel, Professor an der Princeton-Universität. Er ist Autor des Buchs «A Random Walk Down Wall Street» aus dem Jahr 1973, das 2012 in der elften überarbeiteten Auflage erschienen ist. Einerseits pflichtet er Famas Hypothese bei und ist überzeugt, kein Investor könne den Markt schlagen. «Ich habe aber zu Bob Shiller keine negative Haltung, im Gegenteil – als Dekan in Yale hatte ich ihn angeheuert.» Er stimme mit Shiller überein, dass verhaltenswissenschaftliche Aspekte wichtig sind und dass die Märkte manchmal verrücktspielen. «Es gibt Blasen. Da bin ich anderer Meinung als Gene Fama, der dieses Wort nicht verwendet.»

Wie aber passen Blasen und Markteffizienz zusammen? Eine Erklärung liefert Nobelpreisträger Vernon Smith: «Investoren entscheiden im Ungewissen.» Sie wägten ab, welche Produkte und Technologien künftig erfolgreich sind. «Das ist eine ganz andere Art von Unsicherheit als beim Glücksspiel in Las Vegas», und es lasse sich mit den üblichen Wahrscheinlichkeitsrechnungen kaum beschreiben, auch wenn das immer wieder versucht werde. «Was ist in dieser ungewissen Lage rational? Ich weiss es nicht.» Er habe im Internetboom Old-Economy-Aktien gehalten und keine Titel von Amazon gekauft, aus Angst vor einem plötzlichen Kurszerfall. «Habe ich rational gehandelt? Nein, denn mit Amazon hätte ich viel Geld verdient.»

Effizient danebenzielen

Smith ist Pionier für ökonomische Laborexperimente zu Börsenblasen. Er folgert: «Aus einer Übertreibung kommen Gewinner, und die sind vielleicht besser als die traditionellen Unternehmen.»

Der Markt ist also ein effizientes Entdeckungsverfahren, liegt aber nicht immer richtig. Malkiel: «Die Hypothese der effizienten Märkte bedeutet nicht, dass die Märkte immer recht haben, sondern dass sie immer falschliegen. Nur weiss niemand genau, ob die Preise zu hoch oder zu tief sind.» Deshalb sei es Investoren nicht möglich, einen überdurchschnittlichen Gewinn zu erzielen, ohne ein überdurchschnittliches Risiko einzugehen.

Das Schöne daran: Analysen und Prognosen haben gleichwohl ihre Berechtigung. Fama sagt zwar nach wie vor, risikoadjustiert sei kein Investor langfristig besser als ein zufällig ausgewähltes Portefeuille. Doch er konstatiert, dass sich die Börse anders verhalten würde ohne Aktienanalyse, und er sieht davon ab, diese als Zeitverschwendung zu taxieren.

Je mehr Investoren langfristig und passiv ein diversifiziertes Portefeuille halten und sich somit die Suche nach den besten Aktien sparen, desto eher gelingt es aktiven Anlegern, den Markt zu schlagen. Ihr Erfolg zieht weitere an, womit ihr Vorteil schmilzt – und sich passives Anlegen lohnt. Der Kreis schliesst sich, und der Random Walk läuft weiter.