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Die Prospekttheorie

In Leonardo da Vincis Zeichnung erscheint der Mensch perfekt. Beim Anlegen ist er weniger vollkommen.

Der Mensch strebt nach Perfektion. Allein, erreichen wird er sie nicht. Warum also nicht die Unvollkommenheit des Individuums und in der Summe des Marktes akzeptieren, daraus lernen und darauf aufbauen?

Statt dem rationalen Vorgehen Tausender Analysten und Computermodellen zu folgen, einen Ansatz wählen, der irrationales Verhalten erforscht und einbezieht? Genau das macht die Behavioural Finance, die Verhaltensökonomie. Die Prospekttheorie liefert dafür eine wichtige Grundlage.

Daniel Kahneman und Amos Tversky sind die Begründer der Prospekttheorie. Die beiden Psychologen wollten in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts wissen, wie stark (Finanz-)Entscheide von welchen Erwartungen und Verhaltensmustern der Akteure abhängig sind.

Studienobjekt Lotto

Für ihre Forschung hefteten sie sich einer Vielzahl von Lottospielerinnen und -spielern an die Fersen. Lotto schien ihnen das ergiebigste Feld zu sein, um zu untersuchen, wie Menschen reagieren, wenn Gewinnchancen locken, und welche Risiken sie dazu einzugehen bereit sind. Im Jahr 1979 veröffentlichten sie dann ihr theoretisches Modell, das heute Standard unter den Entscheidungstheorien ist. «Es ist in der Lage, eine Vielzahl von beobachteten Anomalien für Lotterien mit monetären Auszahlungen und gegebenen Auszahlungen zu erklären», würdigt eine frühere Dissertation über die Verhaltensökonomie die Verdienste von Kahneman und Tversky (Matthias Unser: «Behavioral Finance am Aktienmarkt. Empirische Analysen zum Risikoverhalten individueller Anleger», 1999).

Das Duo schloss die bis dahin geltende rationale Entscheidungsfindung, die sogenannte Risikonutzentheorie, nicht aus. Die Forscher schwächten sie aber aufgrund ihrer Beobachtungen ab, indem sie darlegten, wie selbst der Kopf und erst recht der Bauch sich täuschen können. Rationale Entscheide sind oft nur vermeintlich rational. Behavioural Biases, also Psychofallen, oder in der Fachsprache kognitive Verzerrungen, stehen ihnen im Weg. Die Erkenntnis, wie Menschen künftige Gewinne und Verluste bewerten, trug Kahneman und Tversky den Spott mancher Ökonomen ein. Volkswirtschaftlern ist das Konzept des Homo oeconomicus teils heute noch heilig.

Welche Bedeutung die Prospekttheorie in der Praxis hat und in welche Fallen wir bei der Entscheidungsfindung immer wieder tappen, schildert Professor Thorsten Hens von der Uni Zürich. Er ist Experte und Forscher in Behavioural Finance. «Die Pros­pekttheorie stellt erstens dar, dass die Angst der Anleger vor Verlusten grösser ist als die Freude über Gewinne, und zweitens, dass Anleger unwahrscheinlichen Ereignissen zu viel Gewicht einräumen», hält er gegenüber der FuW fest.

Die Verlustaversion hat einen biologischen Ursprung. In Urzeiten hatten Menschen nur überlebt, wenn sie vor ihren Feinden fliehen und sich vor den unzähligen Gefahren schützen konnten. Dieser Reflex hat sich in unserem Hirn so stark eingeprägt, dass er – in vielem zum Glück, etwa im Strassenverkehr – noch präsent ist.

Weshalb die Verlustaversion?

Das bedeutet in der Kapitalanlage: Viele Anleger scheuen Verluste und kaufen erst, wenn der Aufwärtstrend offenkundig ist (Buy High). Zum Verkauf schreiten sie nicht, wenn die Kurse hoch sind, sondern wenn der Abschwung bereits im Gang, sprich die Gefahr akut ist. Sie warten zu lange zu und hoffen, die Anlage könnte sich erholen, bevor der Mut sie dann doch verlässt und sie im Tief verkaufen ( Sell Low ).

Dass Menschen Verluste mehr fürchten, als sie Gewinne begrüssen, führt so weit, dass sie Vorteile nicht wahrnehmen, nur um das Risiko, am Ende als Versager dazustehen, zu vermeiden. Privatanleger reagieren im Urteil von Thorsten Hens mehr als doppelt so stark auf Verluste wie auf Gewinne. Ins gleiche Kapitel fällt das Herdenverhalten. Auch das hat biologische Gründe.

In der Herde fühlen sich viele Wesen wohl, auch wir Menschen. Zum Einzelgänger oder zum Leader sind die wenigsten geschaffen. Wer mit der Herde rennt, sieht nur den Hintern der anderen, sagt ein träfer Spruch. Obschon sie wissen, dass die grossen Vermögen mit antizyklischem Handeln geschaffen worden sind, scheuen sich die meisten Anleger, gegen den Strom zu schwimmen.

Neben der Verlustaversion ist das Überbewerten von wenig wahrscheinlichen Ereignissen die zweite zentrale Erkenntnis der Prospekttheorie und eine nicht minder grosse Psychofalle. Bei der Lotterie zeigt sie sich am deutlichsten: Je höher der Hauptgewinn ist, umso mehr Leute machen beim Lotto mit. Dabei wird mit wachsender Teilnehmerzahl die Gewinnchance immer kleiner. Das Gleiche zeigt ein Beispiel aus der Physik, das Prof. Hens in einem Video zur Prospekttheorie im Internet anführt: Obwohl die Kernkraft günstiger und unter dem CO2-Aspekt sauberen Strom produziert, stösst sie vielerorts auf Abneigung. Warum? Weil das (geringe) Risiko eines Unfalls desaströse Folgen haben kann. Das ist nicht wegzudiskutieren, doch gerade bei diesem Beispiel spielt auch eine starke Emotionalität mit.

Von der Not zur Tugend

Behavioural Finance Solutions (BhfS), ein Spin-off-Unternehmen der Universität Zürich, betreibt Forschung, bietet Information und verkauft Banken Dienstleistungen, die gezielt auf Psychofallen eingehen. Auf der Website ist auch das Video von Thorsten Hens zu sehen. Anhand von Laborversuchen mit effektiven und potenziellen Anlegern wurde ein Fragebogen (Riskprofiler) entwickelt, der hilft, mit ­Behavioural Biases klarzukommen. Es ist der Grundstein für ein Depot, das Renditeziel und Verlusttoleranz in Einklang bringt ( vgl. Textbox unten ).

Aus der Psychofalle Wahrscheinlichkeitsverzerrung ziehen quantitative Strategien Nutzen. Der Bias, dass geringe Eintretenswahrscheinlichkeiten gegenüber moderaten übergewichtet werden, führt in der Tendenz dazu, dass Out-of-the-Money-Optionen zu teuer und In-the-Money-Optionen zu günstig sind. Investoren greifen bei Out- oder Aus-dem-Geld-Call-Optionen zu (der Marktpreis des Basiswerts ist kleiner als der Ausübungspreis), weil sie auf einen hohen Gewinn hoffen, wenn die Titel in the money (Marktpreis des Basiswerts ist grösser als der Ausübungspreis) kommen. Einer, der diese Arbitrage für institutionelle Investoren mit Erfolg umsetzt, ist Finanzprofessor und Autor William T. Ziemba von der University of British Columbia in Van­couver. Des einen Schwäche ist eben des anderen Freud.