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Die letzte Hürde auf dem Weg zur Erholung der Ukraine

In Kiew, der Hauptstadt der Ukraine, wimmelt es von Zeichen der Hoffnung und der Anarchie. Das Land hat eine beeindruckende wirtschaftliche Trendwende vorzuweisen, aber die Korruption ist nach wie vor weit verbreitet. Die Regierung unter Präsident Petro Poroschenko stabilisierte zwar die öffentlichen Finanzen, aber es gelang ihr nicht, den Klientelismus einzudämmen.

Die Frage lautet nun, ob die von Poroschenko in Angriff genommenen Reformen in den Bereichen Justiz und Recht die für ein starkes und nachhaltiges Wirtschaftswachstum erforderlichen Bedingungen schaffen können. Seit dem Abschluss eines Kreditvertrags mit der ukrainischen Regierung im März 2015 hat der Internationale Währungsfonds die Mittel in vier umfangreichen Tranchen ausbezahlt. Doch anlässlich seines jüngsten Besuchs in der Ukraine warnte der erste stellvertretende geschäftsführende Direktor des IWF, David Lipton, dass die Ukraine Gefahr laufe, sich «nach rückwärts» zu entwickeln.

Die Probleme der Ukraine sind nicht makroökonomischer Natur. Der derzeitige Finanzminister Oleksandr Danyliuk ist ein erklärter Anhänger des freien Markts und verfügt ebenso wie seine Vorgängerin Natalija Jaresko über reichlich Erfahrung im Wirtschaftsmanagement.

Makroökonomische Fortschritte

Den Daten des IWF zufolge lagen die gesamten Staatsausgaben der Ukraine 2014 bei 53% des BIP, sanken aber 2016 auf 40% des BIP. Nur in einem Jahr, von 2014 bis 2015, gelang es der Ukraine, das Haushaltsdefizit von 10% Prozent des BIP auf lediglich 2% zu senken. Das Land ist nun auf Kurs, in den kommenden Jahren ein Defizit von etwa 3% zu halten.

Ausserdem stiegen die Staatseinnahmen aufgrund von Verbesserungen des Steuersystems in der ersten Hälfte dieses Jahres im Jahresvergleich 30% und übertrafen damit das Ausgabenwachstum. Infolgedessen konnte die Regierung im Zeitraum von Januar bis Juni mit einem ausgeglichenen Haushalt aufwarten.

Im April prognostizierte der IWF, die Staatsschulden der Ukraine würden am Ende des Jahres 2017 auf einem Wert von 91% des BIP liegen; doch die Regierung hat diese Relation bereits auf 81% gesenkt. Dieser Fortschritt wird sich wohl fortsetzen, wenn das Wirtschaftswachstum anzieht und die ukrainische Währung Hrywnja aufwertet.

Ent-Dollarisierung läuft

Die Ukraine verdankt einen grossen Teil ihrer wirtschaftlichen Stärke von heute Walerija Hontarewa, der ehemaligen Präsidentin der Zentralbank, die in den vergangenen drei Jahren auf dem Bankensektor aufräumte. Unter Hontarewa schloss die Nationalbank der Ukraine (NBU) die Hälfte der 180 Banken des Landes, von denen es sich bei den meisten um korrupte – wenn nicht gar vollkommen kriminelle – Betriebe handelte. Nun, da die Restrukturierung beinahe abgeschlossen ist, nimmt auch das Kreditgeschäft an Fahrt auf.

Wenn ein Land seine nationalen Finanzen in den Griff bekommt, verbessern sich typischerweise auch seine externen Finanzen. Seit 2014 boten die ukrainischen Devisenreserven reichlich Anlass zur Sorge; doch heute weisen sie einen beruhigenden Wert von 18 Mrd. $ auf – das entspricht etwa dem Wert aktueller Importe in 3,5 Monaten.

Noch besser: Die Hrywnja hat in diesem Jahr gegenüber dem Dollar 6% gewonnen. Dadurch erhöhte sich das BIP, und die vorwiegend in internationalen Währungen denominierten Staatsschulden sanken. Gleichzeitig findet in der Ukraine eine relativ rasche «Ent-Dollarisierung» statt, so dass Spareinlagen in Hrywnja mittlerweile stärker wachsen als diejenigen in ausländischen Währungen.

In Konkurrenz mit Oligarchen

Die Ukraine weist die drei wesentlichen Zutaten für starkes und gesundes Wachstum auf. Im ersten Halbjahr 2017 trat das vertiefte und umfassende Freihandelsabkommen zwischen der Ukraine und der Europäischen Union in Kraft und die ukrainischen Exporte stiegen 25%, wodurch das Importwachstum bei weitem übertroffen wurde. Überdies weist die Ukraine ein starkes Investitions- und Konsumwachstum auf. In der ersten Hälfte dieses Jahres stiegen die Investitionen im Bauwesen 24% und die Einzelhandelsumsätze 8%.

Doch während der IWF für 2017 ein BIP-Wachstum von 2,9% und für 2020 ein jährliches Wachstum von 4% prognostizierte, lag das annualisierte Wachstum in der ersten Hälfte dieses Jahres auf lediglich 2,5%. Es gibt einige Gründe, warum die neue Finanzstabilität der Ukraine nicht zu einem stärkeren Wachstumsschub führte.

Zunächst haben die Kämpfe in der Ostukraine den landwirtschaftlichen Sektor zum Erliegen gebracht, der im vergangenen Jahrzehnt eine zentrale Wachstumsquelle darstellte. Noch bedeutender ist allerdings, dass in der Ukraine möglicherweise die «Animal Spirits» unterdrückt sind, weil Unternehmer wenig Sinn darin erkennen, mit Oligarchen in Wettbewerb zu treten, die nach wie vor in der Lage sind, die Wirtschaft zu ihren Gunsten zu beeinflussen.

Verdächtige Behörden

In den vergangenen drei Jahren begann die Regierung (angestossen durch den IWF), die Korruption systematisch zu bekämpfen, indem sie etwa die Energiepreise vereinheitlichte und für die meisten öffentlichen Einkäufe ein transparentes elektronisches Beschaffungssystem einführte. Bislang haben über 100’000 Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes ihre Einkommen und Vermögen in transparenter Weise offengelegt, wie man dies aus skandinavischen Ländern kennt.

Doch das Versagen der Regierung, die Rechtsstaatlichkeit zu wahren, bleibt weiterhin ein gravierendes Problem. Früher sorgten sich einheimische Betriebe und Investoren aus dem Ausland, dass die Steuerbehörden ihre Macht missbrauchen könnten. Im März allerdings verhaftete das ukrainische Antikorruptionsbüro den Chef der Steuerbehörde des Landes, Roman Nasirow. Nun gelten die grössten Bedenken dem Büro des Generalstaatsanwalts und den Sicherheitsdiensten. Beide stehen unter der Kontrolle des Präsidenten und beide werden weithin als räuberische staatliche Behörden betrachtet.

Man hofft, dass mit den Reformen, die derzeit ausgearbeitet werden, die Exekutive stärker kontrolliert und die Eigentumsrechte gesichert werden. Dadurch soll auch das Wachstum angeregt werden. Aber es ist auch klar, dass noch mehr getan werden muss.

Die Affäre Saakaschwili

Im Juli entzog Poroschenko Michail Saakaschwili, dem ehemaligen Präsidenten von Georgien, die Staatsbürgerschaft. Poroschenko hatte ihn in die Ukraine eingeladen und 2015 zum Gouverneur von Odessa ernannt. Poroschenkos Entscheidung, die er per Dekret und ohne ordentliches Verfahren durchsetzte, ist rechtlich fragwürdig. Saakaschwili fügte sich seinem Schicksal aber nicht, sondern nutzte seine Ausbürgerung, um die Zivilgesellschaft der Ukraine aufzurütteln. In diesem Monat reisten er und die ukrainische Oppositionsführerin Julia Timoschenko ohne Passkontrolle von Polen in die Ukraine ein. Indem er ein Verfahren provozierte, verfügt Saakaschwili nun über eine Plattform, von der aus er das ukrainische Justizsystem und Poroschenkos Missachtung des Rechtsstaats kritisieren kann.

Die Forderung des IWF an die ukrainische Regierung, einen unabhängigen Korruptionsgerichtshof zu installieren, um gegen unredliche Beamte zu ermitteln, sie zu verfolgen und zu bestrafen, bleibt unerfüllt. Aber wenn die Ukraine ihren Weg in Richtung Erholung fortsetzen soll, muss sie beweisen, dass niemand – auch nicht der Präsident – über dem Gesetz steht.

Copyright: Project Syndicate.