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Die Kraft des Rohen

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Monument Ilinden, Macedonien. 1974, Jordan und Iskra Grabuloski
Geisel Library, University of California, San Diego. 1970, William Pereira
Monument Ilinden, Macedonien. 1974, Jordan und Iskra Grabuloski

Wie gigantische Skulpturen stehen sie in den Städten oder in brachialer Landschaft. Sie kaschieren weder ihre Struktur noch ihre Konstruktion und schon gar nicht ihre Materialien, allen voran den rohen Beton. Der «béton brut», wie der französische Ausdruck lautet, der von Le Corbusier lanciert wurde und zum Begriff Brutalismus führte.

Schon 1947 schuf der Schweizer Architekt mit den Wohnmaschinen Unités d’habitation ein Statement des rohen Stils. Zuerst die Cité radieuse in Marseille, später auch in anderen französischen Städten und in Berlin. 1956 baute er mit dem Kloster Sainte-Marie de La Tourette bei Lyon ein weiteres Objekt, das Geschichte des Brutalismus geschrieben hat.

«Die Banalität eines Gebäudes wird zu seiner Ausdruckskraft», bringt es der französische Architekt und Corbusier-Spezialist Jacques Sbriglio auf den Punkt. Banalität meint hier die direkte, ehrliche Grundaussage der Architektur, formale Lesbarkeit des Grundrisses, klare Zurschaustellung der Konstruktion, Wertschätzung der Materialien, wobei dazu nicht nur Beton, sondern auch rohes Holz, Glas, Metall und Ziegel gezählt wurden.

Diese Ehrlichkeit und Gradlinigkeit wurde oft kompromisslos und radikal verstanden, was im wahrsten Sinn des Wortes auch «brutal» wirken konnte. Wie monströse Panzer oder Festungen wirken die Gebäude, verkörpern Selbstbewusstsein und abweisende Macht, erinnern beinahe an den gebauten Gigantismus der Diktaturen Mussolinis, Hitlers oder Francos.

Bei anderen Bauten wurde das Rohe durchaus auch kombiniert mit hoher formaler Kreativität. Zahlreiche Bauten nach dem Prinzip der neuen Architekturbewegung entstanden, in den Sechzigerjahren erlebte der Brutalismus einen Höhepunkt, der sich bis in die Achtzigerjahre hielt. Der Stil wurde weltumspannend, es gibt Beispiele in Japan und Kalifornien ebenso wie in Mexiko, Brasilien, Nordeuropa und Südafrika.

Dann geriet der Stil der Brutalisten vermehrt in Verruf. Die Architektur wandte sich einer neuen Leichtigkeit und Transparenz zu, aber auch einer gewissen Gleichförmigkeit im Vergleich mit der starken Extravertiertheit des Brutalismus. Als Anfang des 21. Jahrhunderts manche der inzwischen zu Landmarks gewordenen Bauten des Brutalismus abgerissen werden sollten, wurden sich Historiker und Architekten der kulturellen Kraft jener Phase bewusst.

Man begann, sie unter Denkmalschutz zu stellen und als Ausdruck eines eigenen Stils zu bewahren. Inzwischen hat man sich von den ästhetischen Niedlichkeiten verabschiedet, und der radikale Expressionismus feiert ein Comeback. Nicht nur in der Architektur.

Auch in der Sprache der Filme (zum Beispiel in der TV-Fiktion «Trepalium» des belgischen Regisseurs Vincent Lannoo, die grösstenteils in existierenden Gebäuden des Brutalismus gedreht wurde, darunter im von Oscar Niemeyer gebauten einstigen Quartier der Kommunistischen Partei in Paris), oder in der Mode, wo sich wieder Strenge und harte Linien treffen (etwa in der neusten Kollektion des Designers Rick Owens). Futuristische Visionen auf der Basis des Brutalismus, der vor 60 Jahren von Avantgardisten kreiert wurde.