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Die gute Formel

Alejandro Agag: «Als ich noch bei der Formel 1 war, spürte ich, dass dieser Meisterschaft eine Dimension fehlte, die zum unumgänglichen Thema werden wird: die Klimafrage.»

Alejandro Agag hält seinen Rekord. Und das Medienecho beweist, dass seine vor vier Jahren gegründete Formel-E-Meisterschaft weiterhin auf Kurs ist. Rund 40 000 Personen hatten sich ein Ticket für die Zuschauertribünen des Rom-E-Prix-Autorennens durch die Strassen der italienischen Kapitale beschafft.

Und am Tag danach schalteten 1,2 Millionen den Fernseher ein, um den leisen Boliden zuzuschauen. Das Rennen vom 14. April stand Fahrzeugen mit einer Maximalleistung von 180 kW sowie einer temporären Leistungssteigerung (100 kJ Energie) für die Sieger der FanBoost-Abstimmung (die drei von den Internauten bevorzugten Piloten vor dem Rom E-Prix) offen.

Es dauerte ungefähr 50 Minuten. Dieses Jahr (Saison 4) fuhren noch die Autos der ersten Generation, deren Batteriereichweite nicht genügt, um die ganze Strecke zu bewältigen. Deshalb standen jedem Rennstall zwei Fahrzeuge zur Verfügung, sodass der Fahrer nach der ersten Hälfte der Runde von einem Cockpit ins andere wechselte.

Von der nächsten Saison an wird dies jedoch nicht mehr nötig sein. Der neue Einplätzer Gen2 wird eine genügende Reichweite für das ganze Rennen haben. Das zeugt von den aussergewöhnlichen Fortschritten, die in jeder Saison verzeichnet werden.

Ob Hongkong, Mexico City, Rom, Paris, New York oder Zürich: Die für das Rennen der Formel E ausgewählten Städte sind für die grossen Konstrukteure der ganzen Welt eine erstklassige Plattform, um Technologien zu testen und zu entwickeln, die später für den Strassenverkehr eingesetzt werden können.

Herr Agag, Sie sind Gründer und Leiter der Formel-EMeisterschaft. Wie ist sie entstanden? - Alejandro Agag: Als ich noch in der Formel 1 involviert war, spürte ich, dass dieser Meisterschaft eine Dimension fehlte, die zum unumgänglichen Phänomen wird: die Klimafrage. So richtig bewusst wurde mir diese Problematik vor zehn Jahren, als ein Sponsor aus diesen Gründen seine Anwesenheit bei der Formel 1 verweigerte. Persönlich war ich für diese Frage seit Beginn meines politischen Engagements vor fünfzehn Jahren sensibilisiert, und deshalb wollte ich mich dafür einsetzen. Allerdings ohne richtig zu wissen, wie das genau geschehen sollte. Und dann, vor sieben Jahren, 2011, bei einem Essen in Paris mit dem Präsidenten der FIA (Fédération Internationale de l’Automobile), Jean Todt, und Antonio Tajani, damals EU-Kommissar für Verkehr und heute Präsident des Europäischen Parlaments, wurde die Idee geboren, eine Meisterschaft der Elektrorennwagen zu gründen.

Die Formel 1 gehört ja heute der amerikanischen Mediengruppe Liberty Media des Milliardärs John Malone und er soll dafür 4,4 Milliarden Dollar bezahlt haben. Wer besitzt die Formel-E? - Das Modell ist nicht weit von der Formel 1 entfernt, da zwei Konzerne beteiligt sind, Liberty Media und Liberty Global. Liberty Global – ein «Cousin» von Liberty Media, ist einer unserer Aktionäre, besitzt jedoch nicht die Mehrheit. Die hat übrigens niemand. Die anderen sind Discovery, ich selbst und Chinesen. Das sind die vier grössten Aktionäre.

Welchen Anteil halten Sie? - Unter 10 und über 5%.

Was für Ziele und welche Regeln haben Sie sich gesetzt? - Die Verwirklichung ist einfach: Eines Tages werden alle Autos elektrisch sein, das ist das grosse Ziel. Dafür muss die Leistung verbessert werden, und es ist die Rolle der Formel-E, die Wahrnehmung des Elektroautos zu verändern. Wir haben soeben den Grand Prix von Rom beendet (AdR: das Interview fand im April statt), und der Publikumserfolg war immens. Wir verzeichneten 40 000 Besucher und 1,2 Millionen Fernsehzuschauer. Dieses Rennen ist eindeutig der grösste Erfolg dieses Jahres, die Italiener lieben Autos.

Obwohl Ferrari nicht dabei war? Haben Sie Kontakt zu dieser Marke? - Nein, wir führen keine direkten Gespräche. Sie veröffentlichen manchmal irgendwelche Erklärungen, aber nichts Konkretes.

Welche Betriebskriterien der F1 wollten Sie bei der Formel E vermeiden? - Das grosse Problem bleiben die Kosten der Rennställe, die bei der F1 viel zu hoch sind. 400 bis 500 Millionen Euro pro Jahr für die Konstruktion eines Rennwagens auszugeben, macht keinen Sinn mehr. In der Formel E sind die Kriterien der Kostenkontrolle so vorgegeben, dass der Aufwand in einem vernünftigen Rahmen bleibt. Selbstverständlich wünschen wir uns Leistungssteigerungen bei den Fahrzeugen, aber mit Mass.

Und was ist mit den Übertragungsrechten? - Unsere Visibilität nimmt enorm zu. Bei den Jungen zwischen 13 und 17 Jahren verzeichnen wir eine Steigerung von 347%. Natürlich will ich durch Übertragungsrechte Einkünfte generieren, momentan steht jedoch die maximale Verbreitung im Vordergrund. Die Zugänglichkeit ist für uns Kapital. Im digitalen Bereich gab es unglaubliche Entwicklungen. Die Rekordzahl von 1,2 Millionen Zuschauern in den Medien beim Rom E-Prix übertrifft sogar den Beachtungsgrad der F1.

Die auf 350 000 Euro beschränkten Kosten mögen ja ein Vorteil sein, um möglichst viele Hersteller anzulocken. Ist es für die Rennställe jedoch nicht schwierig, diese Limite einzuhalten? - Für ein Auto, das noch diese Saison fährt, ist der Betrag tatsächlich auf 350 000 Euro fixiert, doch ab der nächsten Saison werden die Kosten für den neuen Rennwagen der Generation 2 (kurz Gen 2 genannt) auf ein Maximum von 800 000 € erhöht. In der aktuellen Saison hat man wie im Vorjahr zwei Wagen, um die Strecke zurückzulegen, da die Autonomie ungenügend ist, also 700 000 Euro für jeden Rennstall. Ab 2019 wird ein einziges Auto reichen, da es uns gelungen ist, die Laufzeit der Batterien zu verdoppeln.

Ganz einfach wird es dennoch nicht sein… - (Zögert)… Ja, für die grossen Rennställe ist es tatsächlich ziemlich schwierig. Sie wollen mehr ausgeben, um zu gewinnen, doch solange die vorgeschriebenen Konstruktionskriterien und Bauteile für alle Wagen gleich sind, wird es möglich sein, die Kosten zu limitieren.

Nach vier Jahren wird bei der Ende 2018 beginnenden fünften Saison die zweite Generation Elektroautos zum Einsatz kommen. Spark Racing Technologies erhielt den Zuschlag für den Bau des Chassis. Was waren Ihre Basisanforderungen? - Die FIA hat sich direkt in die Konstruktion des Autos eingeschaltet. Ausschlaggebend war die Erfahrung von Spark bei der Produktion der sehr zuverlässigen ersten Generation. Das hat die Entscheidung deutlich beeinflusst, erneut diesen Hersteller zu wählen.

Was für Innovationen gab es beim Chassis? - Die wichtigste Innovation betrifft die Batterie, technisch wurde am Chassis wenig geändert, abgesehen von einigen ästhetischen Anpassungen mit dem Ziel, ihm einen futuristischeren Aspekt zu verleihen, für uns ein wichtiger Punkt.

Nico Rosberg, 2016 Weltmeister der F1, hat beschlossen, sich aktiv an der Meisterschaft der Formel E zu beteiligen. Aus welchem Grund? - Richtig. Er wird in Berlin für eine Präsentation am Steuer eines Gen 2 sitzen. Da er als Profi-Rennfahrer aufgehört hat, betätigt er sich nun als Investor und hat sich unter anderem für die Formel E entschieden.

Wird er dem Auto Fortschritte bringen? - Ja, und zwar nicht nur dem Auto, sondern auch allgemein der Zukunft des Rennsports, seiner Positionierung und seinem Marketing. Er hat eine sehr futuristische Vision der Technologie, das ist ein Gebiet, das ihn fasziniert.

Was für Interventionen und Innovationen können die Rennställe beitragen? - Vor allem in Bezug auf den Motor und den Bereich beim Anschluss an die Batterie. Jeder Konstrukteur kann seinen eigenen Beitrag leisten.

Für die E-Rennen, die ausschliesslich in urbaner Umgebung stattfinden, wurden zehn Städte ausgewählt. New York, Rom und Zürich sind dieses Jahr erstmals dabei. Bernie Ecclestone, der ehemalige Besitzer der Formel 1, gratulierte Ihnen, weil es Ihnen gelang, New York zur Teilnahme zu bewegen, sein grosser Traum. In der Schweiz sind Rundstreckenrennen seit dem Unfall in Le Mans 1955 grundsätzlich verboten. Nun ist dieses Rennen in Zürich akzeptiert worden. Wie haben Sie das fertiggebracht? - Das klappte, weil das Rennen elektrisch ist. Und mit New York diskutiere ich bereits seit fünf Jahren. Im Prinzip gab es keine Probleme, da die Stadt von der Idee dieser Meisterschaft immer begeistert war. Die Schwierigkeit lag darin, den geeigneten Platz dafür zu finden. Schliesslich haben wir uns für Brooklyn entschieden, an einem herrlichen Ort, wo der Verkehr nicht behindert wird. Wir hatten auch ein wenig Glück, weil die stellvertretende Bürgermeisterin von New York am Tag des Grand Prix von Paris zufällig mit ihrer Tochter ferienhalber in der Seinestadt weilte und das Rennen mitten in der City verfolgen konnte. Es gefiel ihr sehr gut, weshalb sie nach der Rückkehr ihrem Team riet, den Vertrag für die Formel-E-Meisterschaft zu unterzeichnen.

Die Formel-EMeisterschaft  findet in zehn Städten statt, wie hier diesen Frühling in Rom und am 10. Juni in Zürich. So messen sich sich die Wagen auf Rundstrecken in den urbanen Zentren.

Wie haben Sie Zürich überzeugt? - Die Vereinbarung mit der Schweiz gelang dank Jean-Claude Biver, dem Präsidenten des Uhrengeschäfts von LVMH. Er stellte uns Mitgliedern des Schweizer Parlaments vor und wir haben ihnen unser Anliegen unterbreitet. In der Folge wurden uns mehrere Optionen vorgeschlagen: Wir dachten zuerst an Lugano, doch die Strassen waren ein wenig eng. Dann wünschte sich die Bank Julius Baer, der Hauptsponsor des Rennens in der Schweiz, die Präsenz in Zürich, und wir waren schliesslich damit einverstanden.

Die Uhrenmarke TAG Heuer ist ebenfalls Partner. War das nicht eine logische Konsequenz? - TAG Heuer unterstützt uns schon lange und begleitet uns seit dem Beginn des Abenteuers. Jean-Claude Biver hat das Potenzial und den Pioniergeist eines Elektroauto-Rennens sofort erkannt. Die Marke hat uns in der Schweiz sehr geholfen. Sie ist unsere offizielle Zeitnehmerin, weshalb TAG Heuer bei sämtlichen Rennen in allen Ländern präsent ist.

Der Beitritt von Porsche und Mercedes 2019 für die Saison 6 ist eine gute Nachricht. Welche Konsequenzen wird das auf die Veranstaltung haben, und welche Voraussetzungen müssen die beiden grossen Konstrukteure erfüllen, um beim Rennen mitzumachen? - Das wird fantastische Konsequenzen haben, denn die Tatsache, Porsche, Mercedes, Audi, BMW, Jaguar, Nissan und andere Hersteller an Bord zu haben, die die Technologie entwickeln und umsetzen, kann die Formel E nur stärken. Aber wie ich bereits sagte, bei den Kosten muss man vorsichtig bleiben. Selbstverständlich wünschen sie sich eine Meisterschaft auf hohem Niveau und möchten in den grossen Märkten präsent sein sowie von einer guten Logistik profitieren. Wir arbeiten daran. Die Sichtbarkeit ist zweifellos wichtig. Was jedoch für diese Konstrukteure in erster Linie zählt, ist die gedankliche Verbindung zum Elektro-Konzept und ein starker Platz, um die Technologie zu entwickeln.

Da Concept Cars stets drei, vier Jahre vorher entwickelt werden, stelle ich mir vor, dass Sie bereits über die dritte Generation Elektroautos nachdenken? - Ja, ich komme soeben von einer Sitzung über die dritte Generation. Selbstverständlich sind wir erst am Anfang, wir diskutieren über die Möglichkeiten von Zwei- oder Vierradantrieb, denken über den Einsatz von zwei Motoren nach. Man muss eine ganz neue Architektur definieren, das ist ziemlich aufregend. In einem Jahr müssen wir uns bereits über alle diese Definitionen einig sein, um das Projekt zu starten.

Wird die Reichweite der Batterie nochmals verdoppelt? - Wir benötigen die Verdoppelung der Reichweite nicht unbedingt, jetzt muss zunächst die Leistung erhöht werden.

Werden die Rundstrecken ebenso kurz bleiben? - Das ist in der Tat eines unserer künftigen Probleme: Da die Steigerung der Schnelligkeit so unglaublich zunimmt, werden die Strecken irgendwann zu kurz sein. Die Meisterschaft zieht ein junges Publikum an, insbesondere über die sozialen Netzwerke, eine Zielgruppe ersten Ranges für die Automobilindustrie.

Welche Strategien haben Sie bereitgestellt, um sie zu ködern? Und welche Wünsche und Bedürfnisse haben die Jungen? - Kinder und Jugendliche befassen sich bereits auf natürliche Weise mit Umweltschutz und Technik. Sie können sich deshalb mühelos mit der Meisterschaft identifizieren. Aus diesem Grund konzentrieren wir uns mit sehr kurzen, spektakulären Videos aufs Internet. Sie werden durch zahlreiche, auf dieses Publikum abgestimmte Informationen ergänzt. Sie schauen nicht mehr unbedingt anderthalb Stunden Rennen am Fernsehen vom Anfang bis zum Ende, sondern vielleicht 80 Sekunden Video auf dem Handy. Dass man ausserdem interaktiv mit der Website und dem Rennen für den Piloten seiner Wahl stimmen kann (der Sieger dieser Abstimmung bekommt während des Rennens zusätzliche Energie), macht ihnen auch Spass.

Halten Sie es angesichts des zunehmenden Interesses der jungen Generation und der spektakulären Innovationen für den Elektroantrieb für möglich, dass die Formel E die F1 verdrängen wird? - Ich denke nicht, und das ist auch nicht das Ziel. Wir sind eine Ergänzung. Im Wettstreit sind wir eher mit anderen Sportarten wie Tennis, Fussball usw. Die Konkurrenz zwischen den Autorennen hängt eindeutig von der technischen Entwicklung ab. Vielleicht fusionieren wir sogar unsere Rennen eines Tages, wer weiss.

Sehen Sie bei den Elektroautos für den Alltagseinsatz interessante Entwicklungen? - Die heutigen Konstrukteure – wie Jaguar, Porsche, Mercedes, Range Rover oder BMW, um nur einige zu nennen – sind dabei, die Ästhetik der Elektroautos mit cooleren Konzepten zu verändern. Da der Motor klein ist und die Batterie darunter platziert werden kann, schafft das Raum für völlig andere Bauweisen der Autos.

Der Gen2-Einplätzer, mit dem die Meisterschaft ab 2019 ausgetragen wird: 300 km/h Höchstgeschwindigkeit, 250 kW Maximale Leistung, 2,8 Sekunden Beschleunigung von 0 auf 100 km/h, 56 kWh Kapazität des Batterie-Packs.