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EZB sollte ihre expansive Politik zurückfahren

Die Konjunktur hat sich im Euroraum spürbar gefestigt und steht auf breiter Basis. Die EU-Kommission erwartet für 2017 ein Wachstum des realen Bruttoinlandprodukts von 2,2%. Für 2018 geht man in Brüssel von einem Anstieg von gut 2% aus, 2019 sollen 1,9% folgen. Zeit also für die Europäische Zentralbank, ihre expansive Geldpolitik vorsichtig zurückzufahren – am Donnerstag trifft sie einen Zinsentscheid. Die EZB hat, mit Blick auf die Konjunktur, ihre Schuldigkeit getan.

Doch anders als die US-Notenbank Fed und die Bank of England hat sich die EZB nur zu einem halbherzigem Einstieg in den Ausstieg aus der ultraexpansiven Geldpolitik entschlossen. Seit Anfang Jahr wurden die Anleihenkäufe (Quantitative Easing, QE) auf 30 Mrd. € halbiert. Sie sollen mindestens bis September dieses Jahres weitergeführt werden. Eine Fortführung darüber hinaus bleibt offen.

Deutliche Straffung gefordert

Gemäss Jens Weidmann, Bundesbankpräsident und Mitglied im EZB-Rat, wäre «auch ein klares Ende der Anleihenkäufe mit einem festen Enddatum vertretbar» gewesen. Zinserhöhungen  wird die EZB erst nach dem Ende der Anleihenkäufe vornehmen. Hart geht der deutsche Sachverständigenrat  mit der EZB  ins Gericht:  «Die jüngste Verlängerung des Anleihenkaufprogramms lässt den Expansionsgrad noch weiter zunehmen, obwohl die makroökonomische Entwicklung eine deutliche geldpolitische Straffung erfordert.»

Um ihre vorsichtige Entscheidung  zu erklären, verweisen EZB-Präsident Mario Draghi und der grösste Teil seiner Mitstreiter im EZB-Rat auf das Inflationsziel. Das hat die Notenbank auf «nahe, aber unter 2%» festgesetzt. Laut Eurostat lag die Inflationsrate im November 2017 auf 1,5%. Gemäss Benoît Coeuré, Direktoriumsmitglied der EZB, ist die Inflation  immer noch schwach: «Wir haben Anzeichen, dass sie anzieht, doch die Preisentwicklung braucht nach wie vor die Unterstützung der Geldpolitik.» Es gebe eine «sehr breite Übereinstimmung im Rat, dass die Geldpolitik weiterhin unterstützend bleiben muss, bis die Inflation nachhaltig das gewünschte Niveau erreicht hat», so Coeuré.

Die Inflationsrate nähert sich in der Tat nur allmählich dem Zielwert. Dennoch ist die Sorge der Notenbanker schwer zu verstehen. Schliesslich ist die Deflationsgefahr selbst nach den Worten Mario Draghis  längst gebannt. Die Inflationsrate hat sich seit dem Tief von –0,6% Anfang 2015 auf nun 1,4% beachtlich erhöht, wenngleich zögerlicher als in früheren Aufschwungphasen. Wie die Prognosen verheissen, ist in der Eurozone zudem mit länger anhaltendem Wachstum zu rechnen. Auch dürfte die Zeit sinkender Rohstoffpreise, die die Inflation in der Vergangenheit massgeblich gedrückt haben, zunächst vorbei sein. Vor allem der Ölpreis zieht seit Monaten kräftig an.

Kapazitäten sind ausgelastet

Steigende Kosten ergeben sich aber auch angesichts zunehmend ausgelasteter Kapazitäten der Unternehmen. Das lässt sich im Bereich der Löhne bereits in Deutschland an den jüngsten Forderungen der Gewerkschaften ablesen. Diese und andere Faktoren deuten eher darauf hin, dass die EZB ihr Inflationsziel schon bald erreichen dürfte. Nicht auszuschliessen ist sogar die Gefahr, dass die Inflation, wenn sie einmal Fahrt aufnehmen sollte, eine überraschend hohe  Dynamik entwickeln könnte. Die EZB wäre dann gezwungen, umso heftiger gegenzusteuern und  eine rasche Kurskorrektur zu vollziehen.

Dies wiederum könnte vor allem die boomenden Aktien- und Immobilienmärkte, die mit längerfristig niedrigen Zinsen rechnen, zeitlich überraschen. Dann würde es offensichtlich, dass die EZB ihre Chance verpasst hat, rechtzeitig  zu reagieren und die Preisbildung für das Geld schrittweise wieder dem Markt zu überlassen. Dennoch, nach den Prognosen der Ökonomen der EZB und der nationalen Zentralbanken dürfte die Inflation auch 2020 noch mit einer Rate von 1,7% unter dem EZB-Zielwert bleiben. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet, dass die Inflation in der Eurozone 2% nicht vor 2021 erreichen wird.

Zwar erfreut die ungewöhnlich lang andauernde Niedrigzinsphase die Börsianer und die Kreditnehmer, doch sie birgt auch Gefahren, nämlich vor allem die, dass Investitionen vorgenommen werden, die bei normalen Zinsverhältnissen nicht zustande gekommen wären.

Die Sparer hingegen leiden schwer in der Ära niedriger Zinsen, es sei denn, sie denken um und sind bereit, neues Anlageterrain zu betreten und höhere Risiken einzugehen. Versicherungen werden mit ihrem bisherigen Geschäftsmodell den Versprechungen gegenüber ihren Kunden in der ausgedehnten zinsarmen Zeit nicht mehr gerecht. Auch Kreditinstitute müssen sich neu aufstellen, um rentabel zu arbeiten.

Das einzig Positive, was die expansive Geldpolitik der EZB heute noch bewirkt, ist, dass sie den verschuldeten Eurostaaten – besonders den Megaschuldnern unter ihnen – Erleichterung verschafft. Namentlich sind das erträglichere Zinslasten – ohne dass dies von der Notenbank ausdrücklich gewollt sein muss. Denn die Notenbanker weisen jeden Verdacht entschieden von sich, mit dem Ankauf von Staatsanleihen eine Finanzierung der verschuldeten Euromitgliedstaaten zu betreiben. Dafür hat die EZB kein Mandat. Interessant ist in diesem Zusammenhang: Die Vertreter der hoch verschuldeten Euroländer dominieren den EZB-Rat, der letztlich die Geldpolitik absegnet.

Zinserhöhung erst Ende Jahr

Das neue Jahr hat international mit hektischen Diskussionen um einen Rückzug der grossen Zentralbanken aus der expansiven Geldpolitik begonnen: Die Renditen zehnjähriger amerikanischer Staatsanleihen sind sprunghaft auf 2,6% gestiegen und ihrem 2017 erreichten Mehrjahreshoch nahe gekommen. Die japanische Notenbank hat zu Jahresbeginn den Ankauf von Anleihen reduziert. Sie folgt damit dem Fed, der Bank of England und der besonders vorsichtig agierenden EZB. Die global überbordende Liquiditätszufuhr könnte also ein schnelleres Ende finden als bislang vermutet.

Aussagen aus dem EZB-Rat – die Forward Guidance – stellen eine Erhöhung der Leitzinsen erst deutlich nach dem Ende der Anleihenkäufe in Aussicht. An den Märkten wird derzeit mit der ersten Euro-Zinserhöhung frühestens Ende 2018 gerechnet. Das würde auch heissen, dass der vorsichtige Mario Draghi, der im Herbst 2019 das EZB-Zepter aus der Hand geben wird, zum Ende seiner Amtszeit noch den Beginn einer  neuen  Ära mit vielen Unbekannten bewältigen müsste. Die nächste Zeit wird spannend.