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Die amerikanische Subprime-Blase

Der Glaube an stetig steigende Immobilienpreise führt die Weltwirtschaft an den Abgrund.

«Eine Blase? Nein. Ich sehe höchstens da und dort etwas Schaum.» So beschreibt Alan Greenspan am 8. Juni 2005 die Lage am amerikanischen Häusermarkt vor dem Kongress. Eine Preisblase hält der Präsident der US-Notenbank (Fed) für unmöglich. Die Effizienz der Märkte würde das gar nicht zulassen.

Doch die Ruhe trügt. Amerikas Finanzsystem ist längst ein Pulverfass. Unter der Oberfläche, unbemerkt von der Masse, hat sich eine der grössten Spekulationsblasen in der Geschichte der USA aufgebaut. Ihr Kollaps wird die Finanzwelt erschüttern und eine Schockwelle rund um den Globus senden.

1. Die unsichtbare Hand

Die Geschichte beginnt mit einer Rezession. Das Platzen der Technologieblase und die Terroranschläge vom 11. September 2001 bringen die Konjunktur ins Stottern. Das Fed eilt zur Hilfe: Von 2001 bis 2003 senkt Greenspan die Leitzinsen von 6,5 auf ein Rekordtief von 1%.

Der Glaube an die Effizienz der Finanzmärkte dominiert den Zeitgeist. Greenspan zählt zu seinen prominentesten Verfechtern. In den zwei Dekaden an der Spitze der US-Notenbank nutzt er seinen Einfluss, um das Finanz- und Bankensystem zu deregulieren. Diese beiden Faktoren, die ultraniedrigen Zinsen und das deregulierte Bankensystem, bilden den Nährboden für den Immobilienboom.

2. Ein Akt der Magie

Dank der niedrigen Finanzierungskosten rückt der Traum vom eigenen Haus für die Amerikaner in greifbare Nähe. Die Regierung unterstützt sie. Im Juni 2002 verabschiedet Präsident Bush den «Blueprint for the American Dream»: Besonders Minderheiten sollen in ihrem Bestreben nach den eigenen vier Wänden gefördert werden. Die Immobilienpreise beginnen zu steigen. Die Konjunktur erholt sich derweil von der Delle der Jahrtausendwende; die Arbeitslosigkeit sinkt. Das komfortable Marktumfeld lässt die Banken in ihrer Kreditvergabe freigiebiger werden.

Das Potenzial des Hypothekargeschäfts bleibt nicht lange unerkannt: Wallstreet wittert Profit. Die Zeit ist reif für Kreditverbriefungen – ein Markt, der bislang ein Nischendasein gefristet hat. Neu ist das Finanzkonstrukt zwar nicht: Bereits 1977 lancierte Bank of America ein hypothekarbesichertes Wertpapier (Mortgage Backed Security, MBS). Aber erst mit dem steigenden Hypothekarvolumen kommt die Verbriefungsmaschine ins Rollen – und stösst in neue Dimensionen vor.

Eine Handvoll Rechenkünstler im Sold der Wallstreet-Banken entdeckt, wie riskante Kreditpapiere in Anlagen höchster Bonität verwandelt werden können. Dazu werden MBS aus dem ganzen Land und jeglicher Risikoklasse gebündelt, neu verpackt und tranchiert: Die Collateralized Debt Obligation (CDO) ist geboren. Ein einzelnes Wertpapier enthält nun die unterschiedlichsten Kreditrisiken und gilt damit als breit diversifiziert. Die Ratingagenturen versehen die Anleihen mit dem höchsten Qualitätssiegel AAA – ein Zahlungsausfall ist so gut wie ausgeschlossen.

3. Kredit per Mausklick

Die Wertpapiere sind im Tiefstzinsumfeld ein Verkaufsschlager. Von 2000 bis 2003 vervierfacht sich das jährliche Emissionsvolumen von MBS auf 2400 Mrd. $. Im selben Zeitraum steigen die Häuserpreise 50%. Jetzt beginnt die Geldmaschine zu laufen. Doch das Fatale ist: Sie braucht Treibstoff. Unmengen davon.

Auf der fieberhaften Suche nach neuen Kunden geraten Schuldner mit geringer Bonität ins Visier der Banken. Die Vergabe von sogenannten Subprime-Darlehen schiesst nach oben. Ein Problem ist das nicht, denn eine Überzeugung ist in den Köpfen fest verankert: Die Immobilienpreise können gar nicht fallen, denn seit den Dreissigerjahren sind sie nur gestiegen. Sollte ein Schuldner seinen Verpflichtungen also nicht nachkommen, besitzt die Bank ein wertvolles Pfand. Die Finanzinstitute verkaufen die Kreditrisiken zudem sofort an die Verbriefungsmaschine der grossen Wallstreet-Banken weiter. Wieso sollten sie sich also um die Bonität der Schuldner kümmern?

Die Banken werfen jegliche Vorsicht über Bord. Wer kein Einkommen, keine Arbeit und kein Vermögen hat, erhält ein Ninja-Darlehen («no income, no job, no assets»). Der Wettbewerb unter den Hypothekenanbietern ist hart. First Franklin oder Countrywide Financial, beide stark im Geschäft mit Subprime-Krediten engagiert, automatisieren den Vergabeprozess. Innerhalb von Sekunden können Hauskäufer eine Hypothek per Mausklick abschliessen. Auch bei der Ausgestaltung der Kredite sind die Banken innovativ: Sie geben Lockvogelhypotheken aus, deren Zinsen erst nach zwei Jahren auf ein marktübliches Niveau steigen.

Die Kreditmaschine läuft inzwischen auf Hochtouren. Mit Optionen auf CDO wird das Anlageuniversum aufgebläht. Auf diese Optionen gibt es: weitere Optionen (CDO Squared). Ein Grossteil ist mit dem AAA-Plazet versehen. Ausländische Banken, darunter die UBS, steigen gross in das Geschäft ein. Spekulanten drängen in den Markt und erwerben Immobilien, nur um sie umgehend weiterzuverkaufen.

Es gibt sie, die kritischen Stimmen. So warnt IWF-Chefökonom Raghuram Rajan 2005 am Notenbanktreffen in Jackson Hole vor einem drohenden Desaster – und wird ausgebuht. Belächelt werden auch die wenigen, die auf einen Crash am Immobilienmarkt setzen. Michael Burry etwa, Manager des Hedge Fund Scion Capital, wettet 2005 darauf, dass es zwei Jahre später zum Kollaps kommen wird. Er wird recht behalten.

4. Dancing Queen

Das Desaster beginnt still. Im April 2006 erreichen die Häuserpreise ihren Höhepunkt. Innerhalb von sechs Jahren haben sie sich mehr als verdoppelt. Dass der Wind gedreht hat, merkt zunächst niemand. Dann zeigen sich erste feine Risse. Im Februar 2007 meldet HSBC einen Milliardenverlust im Zusammenhang mit Subprime-Krediten. Im Mai beschwichtigt Fed-Chef Ben Bernanke die Märkte. «Die Folgen der Subprime-Krise sind beschränkt. Sie wird kaum Auswirkungen auf die Wirtschaft haben», erklärt der Nachfolger von Greenspan. Wallstreet ist noch in Partystimmung. Im Juli 2007 sagt Charles Prince, CEO von Citigroup: «Solange die Musik spielt, muss man aufstehen und tanzen. Wir tanzen noch.»

Viele Hausbesitzer sind hingegen bereits hart auf dem Boden der Realität aufgeschlagen. Seit dem Frühling fallen die Immobilienpreise ins Bodenlose – plötzlich ist das Haus weniger wert als die Hypothek, die es noch zu bezahlen gilt. Die Zwangsversteigerungen schiessen in die Höhe. Damit sind die Ratingagenturen zum Handeln gezwungen: Im Juli 2007 stufen sie die Kreditwürdigkeit von Hunderten MBS und CDO zurück. Gleichzeitig meldet die Investmentbank Bear Stearns die Pleite zweier Fonds, die in Subprime investiert haben. Wenige Tage später friert der Interbankenmarkt abrupt ein – ein Ausdruck für das enorme Misstrauen zwischen den Banken. Das Fed pumpt Liquidität in das Finanzsystem. Doch der Crash ist nicht mehr aufzuhalten.

5. Die Welt am Abgrund

Verzweifelte Rettungsversuche prägen das Jahr 2008. Am 22. März übernimmt J. P. Morgan in einer Notaktion Bear Stearns, am 7. September rettet die Regierung die halbstaatlichen Hypothekenfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac. Eine Woche später ringt die Investmentbank Lehman Brothers um ihr Überleben. Dann der Schock: Fed und Schatzamt weigern sich, Finanzhilfe zur Verfügung zu stellen. Am 15. September erklärt Lehman Insolvenz.

Das Finanzsystem kollabiert. Und mit ihm die Weltwirtschaft. Rund um den Globus sind die Bankbilanzen voll mit wertlosen Hypothekenpapieren. Reihenweise müssen Staaten ihre Institute vor dem Kollaps bewahren. Am 16. Oktober 2008 retten Bund und Nationalbank die UBS.

Das Platzen der Subprime-Blase löst die grösste globale Wirtschaftskrise seit der Grossen Depression aus. Die Rettung kommt in Gestalt der Notenbanker. Mit einer beispiellos lockeren Geldpolitik versuchen sie, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Es ist der Beginn einer neuen Ära. Sie dauert bis heute an.