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Die AHV darf nicht ausbluten

Wer es wissen will, weiss es: Die schweizerische Altersvorsorge ist ein Sanierungsfall – und zwar ein akuter. Wenige Hinweise belegen das: Das Umlageergebnis (unter Ausschluss der Anlageerträge) der AHV glitt schon 2014 in die roten Zahlen (–320 Mio. Fr.), 2015 erhöhte sich der Fehlbetrag auf 579 Mio. Fr. Das Betriebsergebnis, inklusive des Anlageergebnisses, stürzte von einem Plus von 1,7 Mrd. Fr. 2014 auf ein Minus von 559 Mio. Fr. 2015 ab.

Der Trend bleibt in den kommenden Jahren negativ, die Fehlbeträge werden stetig wachsen. Nur nebenbei sei noch erwähnt, dass die AHV ohne die Zuwanderung von jungen, gut ausgebildeten Arbeitskräften aus dem Ausland schon lange tiefrote Zahlen schreiben würde.

In der beruflichen Vorsorge tritt der Sanierungsbedarf weniger sichtbar zutage, was nicht heisst, dass er geringer ist. Wegen des überhöhten Umwandlungssatzes, mit dem das angesparte Kapital auf die Jahresrente umgerechnet wird, werden heute in grossem Stil Renten ausbezahlt, die nicht finanziert sind. In der Not greifen die Pensionskassen auf von der jüngeren Generation angesparte Gelder zurück – die dieser später fehlen werden. Diese Subventionen der Rentner durch die Jungen betragen jährlich mehrere hundert Millionen Franken – das ist der wahre Rentenklau in der zweiten Säule.

Trotz dieser lamentablen Situation will der Schweizerische Gewerkschaftsbund – unterstützt von weiteren Personalorganisationen sowie linken Parteien – die AHV ausbauen. Vehikel dazu ist die Volksinitiative «AHVplus», über die das Schweizer Volk am 25. September zu befinden hat. Sie will die AHV-Renten pauschal 10% aufstocken. Das sei nötig, da die Renten seit Jahren nicht mehr erhöht worden seien. Bundesrat und Parlament lehnen die Initiative ab.

Alterung und Finanzmarkt

Der vereinigten Linken geht es auch darum (was sie allerdings nicht direkt ausspricht), die geliebte erste Säule der Altersvorsorge gegen die verhasste zweite Säule – die privat organisiert ist – auszuspielen. Dahinter steht das alte linke Anliegen einer «Volkspension». Damit würde das Drei-Säulen-Prinzip der Altersvorsorge, um das die Schweiz so viele Länder beneiden, beerdigt.

Die Altersvorsorge ist im Wesentlichen aus zwei Gründen zum Sanierungsfall geworden. Die Bevölkerung wird immer älter, die Zahl der Rentner steigt in Relation zu derjenigen der Erwerbstätigen. Ein Ende dieses Prozesses ist nicht absehbar. Während im Gründungsjahr der AHV, 1948, noch 6,5 Erwerbstätige für einen Rentner aufzukommen hatten, sind es heute 3,4 und in rund 20 Jahren werden es noch deren zwei sein.

Die Lebenserwartung bei Eintritt ins Pensionsalter ist seit 1948 rund 50% gestiegen. Da braucht es keine höheren mathematischen Kenntnisse um einzusehen, dass das Umlageverfahren der AHV, in dem Prämienzahlungen direkt als Renten ausbezahlt werden, an Grenzen stösst. Es versteht sich von selbst, dass auch die zweite Säule von der steigenden Lebenserwartung betroffen ist.

Das gilt auch für die Erosion der Zinsen an den Finanzmärkten – die zweite Ursache. Der viel gerühmte «dritte Beitragszahler» im Vorsorgesystem fällt faktisch aus. Der AHV-Fonds erwirtschaftete 2015 ein negatives Anlageergebnis. Und die durchschnittliche Kapitalrendite liegt seit 2000 unter jenen 5%, die nötig wären, damit der geltende Umwandlungssatz von 6,8% in der zweiten Säule finanziert werden kann. Beide Ursachen sind durch politische Massnahmen nicht beeinflussbar. Die Initianten nehmen diese Entwicklungen nicht zur Kenntnis – eine seltsame Realitätsverweigerung.

Die Initiative würde mit ihrer Inkraftsetzung die Ausgaben der AHV auf einen Schlag gut 4 Mrd. Fr. pro Jahr erhöhen. Das ist allerdings eine statische Betrachtungsweise. Die Kosten werden wegen der steigenden Rentnerzahl permanent wachsen. Bis 2030 erwartet das Bundesamt für Sozialversicherungen Zusatzkosten von 5,5 Mrd. Fr. Die AHV würde zu einem Fass ohne Boden. Der Initiativtext sagt nichts aus zur Finanzierung dieser Kosten.

Nur die halbe Wahrheit

Der ursprüngliche Plan sah vor, einen Teil über eine neu einzuführende Erbschaftssteuer zu finanzieren. Nur ist dieses Vorhaben kläglich gescheitert: Das Volk verweigerte der Erbschaftssteuerinitiative im Juni 2015 mit 71% Nein-Stimmen die Gefolgschaft klar.

Der Not gehorchend schwenkten die Initianten in der Zwischenzeit auf die Finanzierung über Lohnprozente um. Es seien lediglich gut 0,4 zusätzliche Lohnprozente notwendig. Auch das ist aber nur die halbe Wahrheit. Es sind genau 0,43 Lohnprozente – und zwar je für Arbeitnehmer und Arbeitgeber, insgesamt also knapp 0,9%. Die Lohnkosten für die Arbeitgeber erhöhten sich also um fast ein Prozent, denn der Arbeitnehmerbeitrag ist ökonomisch betrachtet ein Lohnbestandteil und fällt beim Arbeitgeber als Lohnkosten an.

Eine staatlich verordnete Erhöhung der Arbeitskosten ist in Zeiten schwacher Konjunktur und wegen des starken Frankens unter Druck geratener Margen wohl die dümmste aller Finanzierungsvarianten. Zudem darf nicht vergessen werden, dass die steigenden Ausgaben auch den Bundesbeitrag von knapp einem Fünftel der Gesamtausgaben der AHV in die Höhe treiben. Der Bund wäre zu Sparmassnahmen oder Steuererhöhungen gezwungen. Die Initiative ist in Zeiten knapper Mittel nicht ohne grosse Kollateralschäden zu finanzieren.

Zu zwei weiteren Aspekten ziehen es die Initianten vor, zu schweigen. Zunächst profitieren ausgerechnet diejenigen kaum, die es am nötigsten hätten. Gemeint sind die Bezüger von Ergänzungsleistungen (EL) – immerhin gut 200 000 an der Zahl. Für rund zwei Drittel von ihnen wäre das Ganze ein Nullsummenspiel: Wegen der steigenden AHV-Renten würden die EL sinken. Rund 7% hätten gar weniger Mittel zur Verfügung als ohne die Initiative. Nur ein Viertel käme besser weg.

Absurde Giesskanne

Besser weg kämen dafür alle vermögenden Rentner: Die Initiative schüttet die Rentenerhöhungen mit der Giesskanne aus, auch die reichsten Rentner kämen in den Genuss höherer Renten – im Gegensatz zu vielen wenig begüterten. Der Gewerkschaftsbund hat sich zu diesem Thema nie erklärt. Es bleibt sein Geheimnis, wie er auf eine derart absurde Lösung kommt, für die es keine auch nur halbwegs vernünftige Erklärung gibt.

Die Initiative läuft nicht nur dem gesunden Menschenverstand zuwider, sondern auch dem Sanierungspaket «Altersvorsorge 2020» von Innenminister Alain Berset – als SP-Mann den Initianten nahestehend. Er spricht sich gegen die Initiative aus. Berset hat jedoch den Sanierungsbedarf erkannt und legt ein Paket vor, das beide Säulen der Altersvorsorge erfasst.

Allerdings beruht es in erster Linie auf Mehreinnahmen. Es würde die Finanzierung der Altersvorsorge nur für rund zehn Jahre sichern, also lediglich Zeit erkaufen. Unmittelbar nach Inkrafttreten des Sanierungspakets müsste die nächste Reform in Angriff genommen werden.

Deutlich längeres Leben

Die Altersvorsorge kann nicht dauerhaft gesichert werden, indem einfach mehr Geld in das System gepumpt wird. Symptomtherapie hilft nicht; es gilt, an den Ursachen anzusetzen. Das ist im Finanzmarkt direkt nicht möglich. Immerhin besteht da die Hoffnung, dass sich die Zinsen früher oder – wohl eher – später wieder normalisieren werden. Der Alterung der Bevölkerung hingegen kann Rechnung getragen werden.

Die Menschen leben heute, meist bei guter Gesundheit, deutlich länger. Es wird kein Weg daran vorbeiführen, das Rentenalter nach oben anzupassen. Dadurch würde das System gleich doppelt entlastet: Es würden mehr Beiträge fällig und gleichzeitig weniger Renten.

Im Gegensatz zu etlichen anderen Ländern, die diesen Schritt gemacht haben, will in der Schweizer Politik niemand diese heisse Kartoffel anfassen. So ist eine vorausschauende, verantwortungsvolle Politik nicht möglich. Wer verhindern will, dass die AHV finanziell ausblutet, setzt sich für eine Anpassung des Rentenalters nach oben ein – und lehnt die Initiative «AHVplus» ab.

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