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Der Weg in die Isolation

«Wer gegen die Selbstbestimmungsinitiative ist, ist gegen die direkte Demokratie», sagte Albert Rösti, Nationalrat und Präsident der SVP, am 2. Oktober vor der Bundeshauspresse. Anlass war die Medienkonferenz zum Start des Abstimmungskampfs des Initiativkomitees der Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)». Die Aussage macht zunächst sprachlos. Das heisst im Umkehrschluss nichts anderes, als dass in der Schweiz derzeit keine direkte Demokratie herrscht – eine offensichtlich unsinnige Behauptung.

Dahinter steht die Anmassung, das einzig richtige Demokratieverständnis zu haben. In dieselbe Richtung gingen zuvor in der nationalrätlichen Debatte Aussagen, die der direkten Demokratie und damit der Schweiz im Falle eines Nein zur SBI gleich den Untergang prophezeiten. Das Schema von Schwarz und Weiss, von Gut und Böse dominiert – Fakten spielen keine Rolle.

Die Grundmaxime der Initiative, wonach die Verfassung die oberste Rechtsquelle darstellt, hinter der das Völkerrecht zurückzustehen hat, steht für eine Verabsolutierung der Demokratie. Auch Demokratie braucht jedoch Grenzen. Friedrich August von Hayek, einer der grossen liberalen Köpfe des 20. Jahrhunderts, warnte vor einer unbeschränkten Herrschaft der Mehrheit: «Das Ideal der Demokratie, die ursprünglich alle willkürliche Gewalt verhindern sollte, wird damit zur Rechtfertigung für eine neue willkürliche Gewalt» (in: «Die Verfassung der Freiheit»).

Schutz der Grundrechte

Die direkte Demokratie findet ihre Grenzen in den Grundrechten der Menschen, wie sie in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankert sind. Es geht im Bereich des zwingenden Völkerrechts etwa um das Recht auf Leben oder das Folterverbot – sie  werden durch die SBI nicht angetastet. Zum nicht zwingenden Völkerrecht gehören so fundamentale Rechte wie Meinungsäusserungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit oder Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Ohne sie wird die Demokratie ausgehöhlt.

Die Initiative, die am 25. November zur Abstimmung kommt, spricht mit ihrem Titel «Schweizer Recht statt fremde Richter» ein Problem an, das sich gar nicht stellt. Alle völkerrechtlichen Verträge wurden gemäss den vorgegebenen rechtlichen Abläufen geschlossen und unterzeichnet. Die Verfahren wurden und werden eingehalten, sei es eine zwingende Volksabstimmung oder die Unterstellung eines Erlasses unter das fakultative Referendum. Zudem sitzt im stark kritisierten Gerichtshof für Menschenrechte auch eine Schweizer Richterin – von «fremden Richtern» kann also keine Rede sein, von «Schweizer Recht» hingegen sehr wohl. Die Unterzeichnung und Ratifizierung der völkerrechtlichen Verträge ist demokratisch legitimiert.

Wird die SBI angenommen, entfällt der Schutz der im nicht zwingenden Völkerrecht verbrieften Freiheitsrechte durch die EMRK. Diese Grundrechte könnten folglich durch eine Volksinitiative in der Schweiz problemlos geändert oder gar aufgehoben werden. Dass dies kein Hirngespinst ist, zeigt etwa die vom Volk angenommene Minarett-Initiative, die das Grundrecht auf Religionsfreiheit zumindest ritzt.

Die Grundrechte stünden zur Disposition, zumal die Schweiz keine Verfassungsgerichtsbarkeit kennt, die ihren Schutz garantieren würde. Zudem erweist sich das Parlament allzu oft als sehr nachlässige «Schutzinstitution» der Verfassung, denn es nimmt ihre Bestimmungen häufig auf die sehr leichte Schulter. Das Fundament der Demokratie würde geschwächt.

Relevante Verträge unter Vorbehalt

Die SBI würde jedoch nicht nur wichtige Grundrechte in Frage  stellen, sondern auch all die internationalen Verträge der Schweiz, die nicht dem Referendum unterstanden. Diese Verträge würden fortan unter einem Kündigungsvorbehalt stehen. Davon ist auch die Wirtschaft stark betroffen. Rund 600 der geltenden 5000 völkerrechtlichen Verträge sind wirtschaftsrelevant.

Dabei handelt es sich in erster Linie um Freihandels-, Investitionsschutz- und Doppelbesteuerungsabkommen. Diese Verträge sind zunächst für die Exportwirtschaft von grösster Bedeutung. Sie öffnen ihr die internationalen Märkte – rund jeder zweite Franken des Bruttoinlandprodukts wird im Ausland erarbeitet. Umgekehrt ist ein zuverlässiger rechtlicher Rahmen auch für ausländische Unternehmen, die in der Schweiz aktiv werden wollen, von entscheidender Bedeutung.

Die SBI würde mit dem Kündigungsvorbehalt und dem einzuführenden Kündigungsautomatismus zu einer umfassenden Rechtsunsicherheit führen. Wenn Unternehmen nicht damit rechnen können, dass die rechtskräftig geschlossenen Verträge auch in Zukunft gültig sind, werden sie sich sehr gut überlegen, ob sie in der Schweiz investieren wollen.

Die Schweiz würde sich in den Ruch begeben, nicht mehr vertragstreu zu sein, wenn ein Grossteil der Verträge einem Kündigungsvorbehalt unterworfen würde, der auch als Aufruf zum Vertragsbruch aufgefasst werden kann. Das wäre ein fatal falsches Zeichen gegenüber internationalen Vertragspartnern. Damit würde auch das ohnehin schwierige Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU zusätzlich belastet. Die Vertragstreue ist ein wichtiger Teil der Rechtsstaatlichkeit und damit ein zentraler Standortfaktor. Die kleine und international vernetzte Schweiz, die auf Gedeih und Verderb auf internationale Verträge angewiesen ist, käme im Fall eines Ja massiv unter Druck.

So ist es kein Zufall, dass neben Parlament und Bundesrat alle Parteien, mit Ausnahme der SVP, und die Wirtschaftsverbände die Initiative ohne Wenn und Aber ablehnen. Das gilt auch für den Gewerbeverband, dessen Präsident und SVP-Nationalrat, Jean-François Rime, im Initiativkomitee sitzt. Der Gewerbeverband hat seinen Präsidenten desavouiert – ein bemerkenswerter Vorgang.

Wissenschaft ist sich einig

Der Kritik angeschlossen haben sich 197 Rechtsprofessoren aller rechtswissenschaftlichen Fakultäten an Schweizer Hochschulen. In einer gemeinsamen Stellungnahme rügen sie insbesondere die durch die Initiative entstehende Rechtsunsicherheit, die Gefährdung des Menschenrechtsschutzes sowie der wirtschaftlichen Beziehungen der Schweiz. Die weitgehende Einigkeit der Wissenschaft in einer Frage von derart grosser Bedeutung ist wohl einmalig.

Die SVP will die Schweiz in die Isolation führen. Diesem Zweck diente, schon vor der SBI, die knapp angenommene Masseneinwanderungsinitiative. In dieselbe Richtung zielt auch die von der SVP lancierte Volksinitiative «Für eine massvolle Zuwanderung (Begrenzungsinitiative)». Sie verlangt die Kündigung der Personenfreizügigkeit mit der EU. Damit würde das ganze erste Paket der bilateralen Abkommen mit der EU aufgehoben. Die Initiative ist zustande gekommen, das Volk wird über sie abstimmen müssen.

Es ist eine irrige Annahme, die Schweiz könne auf sich selbst gestellt und sich selbst genügend zu einer florierenden  Insel der Glückseligen werden. Der Wohlstand der Schweiz ist ohne internationale Vernetzung der Wirtschaft nicht denkbar. Isolation führt zu Rückschritt, nicht zu Fortschritt.

Die SBI bringt erhebliche Rechtunsicherheit, stellt die Vertragstreue der Schweiz in Frage und schadet damit der Attraktivität des Standorts erheblich. Ohne den Schutz durch völkerrechtliche Verträge könnte die Schweiz den politischen Machtspielen der grossen Länder und Ländergruppen nichts mehr entgegensetzen – Leidtragende wären die Wirtschaft und jeder Einzelne.

Die Initiative schwächt die Position der Schweiz ohne jede Not, löst aber kein einziges Problem. Sie führt auch nicht zu mehr Selbstbestimmung und Demokratie, im Gegenteil, die direkte Demokratie wird geschwächt. Das darf und kann sich die Schweiz nicht leisten.