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Der Weg in den Ruin

Es grenzt an Nötigung des Stimmvolks, wenn Innenminister Alain Berset die Vorlage zur Altersvorsorge 2020 gleichsam als alternativlos bezeichnet – sie müsse ganz einfach angenommen werden.

Und erst recht, wenn er behauptet, die künftigen Renten der jüngeren Generationen seien im Fall eines Nein gefährdet. Bersets Aussagen sind falsch. Die vermeintliche Alternativlosigkeit existiert auch in diesem Fall nicht. Das Volk kann am 24. September Ja oder Nein dazu sagen.

Es lagen und liegen Alternativen auf dem Tisch, die nicht nur in der Sache besser, sondern finanziell auch günstiger sind. Die Altersvorsorge 2020 ist zu einem Prestigeobjekt der Linken, inklusive des Innenministers, sowie der CVP verkommen, die willfährige Helferdienste geleistet hat.

Die Sache, die so wichtige nachhaltige Sanierung und Sicherung der Altersvorsorge, ist in den Hintergrund gerückt. Das stellt der Politik kein gutes Zeugnis aus.

Ein schwerwiegender Mangel der Vorlage, der in der öffentlichen Debatte kaum beachtet wird, ist die Relativierung des Dreisäulenprinzips in der Altersvorsorge. Es ist in Artikel 111 der Bundesverfassung verankert: Die erste Säule, die AHV, hat für die Sicherung des  Existenzbedarfs in der Pension zu sorgen.

Sie ist eine staatliche Vorsorge und wird über das Umlageverfahren finanziert. Die berufliche Vorsorge (BVG) als zweite Säule soll, zusammen mit der ersten, den gewohnten Lebensstandard sichern.

Sie ist für Arbeitnehmer obligatorisch, ist aber privat organisiert und wird über das Kapitaldeckungsverfahren finanziert. Die steuerbegünstigte private Vorsorge, die dritte Säule, dient zur individuellen Ergänzung. Dafür sind alle selbst verantwortlich.

Der Charme der drei Säulen

Das System mit den drei unabhängigen Säulen sorgt für einen gewissen Risikoausgleich. Das macht den speziellen Charme des Prinzips aus, das auch im Ausland auf viel Interesse stösst. Dennoch wurde es von der politischen Linken stets wenig geliebt – es ist mit der zweiten und der dritten Säule für ihren Geschmack zu sehr privat und zu wenig staatlich ausgerichtet.

Darum wohl die Idee, einen Teil der Renteneinbussen aufgrund der Reduzierung des Umwandlungssatzes in der zweiten Säule über eine pauschale Rentenerhöhung in der ersten Säule zu kompensieren.

Der Aufschlag für alle Neurentner sowie die Erhöhung des Plafonds für Ehepaare stärken die erste Säule auf Kosten der zweiten – und sie verkoppeln sie miteinander. Die altlinke Idee einer Volkspension rückt einen Schritt näher.

Damit ist gleich der zweite zentrale Mangel der Vorlage angesprochen: Die AHV wird nicht gesichert, sondern ausgebaut. Dabei hat es die Propagandisten der Idee nicht gestört, dass die Stimmbürger erst vor knapp einem Jahr über eine entsprechende Vorlage abgestimmt haben.

Die «AHVplus»-Initiative der Gewerkschaften forderte eine pauschale Rentenerhöhung um 10%. Das Volk sagte mit 60% klar Nein. Die Altersvorsorge 2020 kann auch als «AHVplus»-light verstanden werden – und damit als Missachtung des Volkswillens.

Zudem kann man sich kaum vorstellen, dass jemand ernsthaft daran glaubt, die notleidende Altersvorsorge sei über einen Ausbau der AHV zu sanieren. Die Vorstellung ist von entwaffnender Naivität: einfach mehr Geld ins System pumpen, und alle Probleme sind gelöst – ganz so simpel ist die Sache nun wirklich nicht.

Dabei darf nicht vergessen werden, wer dieses Geld in erster Linie zu erarbeiten hat: die Jungen bzw. die noch gar nicht geborenen Generationen. Ihnen Lasten aufzuladen, ist einfach, sie können sich nicht zur Wehr setzen. Das ist weit von einem fairen Kompromiss entfernt, wie er von Innenminister Berset in Anspruch genommen wird.

Der ins Auge gefasste Rentenausbau ist über die geplanten Erhöhungen der Mehrwertsteuer sowie der Lohnprozente zudem nicht für lange Zeit finanziert. Nach wenigen Jahren kippt die Rechnung, es öffnen sich rasant Milliardenlöcher.

Das ist der Fall, weil die strukturellen Probleme der AHV kaum angegangen werden, denn die Altersvorsorge 2020 bietet im Wesentlichen bloss Symptomtherapie. Das Hauptproblem der Altersvorsorge ist die stetig fortschreitende Alterung der Bevölkerung.

Die Lebenserwartung steigt, die Menschen werden immer älter – und das bei häufig guter Gesundheit. Der Trend wird vorerst anhalten, eine Wende zeichnet sich nicht ab. Das ist an sich erfreulich, führt die Altersvorsorge in ihrer heutigen Form aber an existenzielle Grenzen.

In der Altersvorsorge 2020 gibt es lediglich eine einzige Massnahme, die dem Rechnung trägt: die Angleichung des Rentenalters der Frauen an dasjenige der Männer auf 65 Jahre. Der damit verbundene Spareffekt allerdings verpufft gleich, denn die pauschale Rentenerhöhung für Neurentner übersteigt ihn sehr rasch.

Soll das System der Altersvorsorge dauerhaft saniert und gesichert werden, führt kein Weg daran vorbei, das Rentenalter gemäss der steigenden Lebenserwartung nach oben anzupassen. Ohne das werden die strukturellen Ungleichgewichte immer grösser.

Der Tag ist nicht mehr allzu fern, an dem zwei Erwerbstätige für einen Rentner aufkommen müssen. Es ist unmittelbar einsehbar, dass das nicht funktionieren kann. Dessen ungeachtet drückt sich die Politik darum herum, diesen Schritt zu tun.

Es fehlt in weiten Kreisen ganz einfach der Mut, zu dieser zweifellos unpopulären Massnahme zu greifen. Da ist es auch nicht hilfreich, wenn Bundesrat Berset stets wiederholt, die Zeit dafür sei nicht reif.

Wenn man dies dem Stimmvolk stets und ohne Widerspruch suggeriert, wird das auch geglaubt – es wird zur «Self-Fulfilling Prophecy». Die Massnahme muss offensiv angegangen werden, dann ist sie auch vermittelbar. Der Blick in umliegende Länder, die diesen Schritt gemacht haben, bestätigt dies.

In der parlamentarischen Debatte lagen entsprechende Modelle vor. Vorgeschlagen war ein Interventionsmechanismus, der unter bestimmten Voraussetzungen Sanierungsschritte erzwingt.

Dabei wäre es keineswegs so, dass das Rentenalter ruckartig um ein oder zwei Jahre angehoben würde. Erst wenn keine anderen Massnahmen mehr greifen, würde es in kleinen Schritten erhöht.

Die Parlamentsmehrheit wollte davon jedoch nichts wissen. Sie zog es vor, dem Volk Sand in die Augen zu streuen und vorzugaukeln, eine Sanierung sei ohne diesen Schritt möglich.

Bloss etwas Zeit gekauft

Was geschieht, wenn die Vorlage vom Volk angenommen wird? Die Gesetzesänderungen treten rasch in Kraft, und der AHV wie auch der zweiten Säule fliessen frische Mittel zu. Als Folge wird sich die Lage der Sozialwerke kurzfristig etwas erholen – um wenige Jahre später umso heftiger abzustürzen. Mit der Altersvorsorge 2020 wird lediglich Zeit gekauft.

Nur, welche Parlamentsmitglieder werden sich sofort für eine notwendige, neue Revision starkmachen, wenn sich die Ergebnisse kurzfristig verbessern? Die Protagonisten der Vorlage werden sich vielmehr in ihrem «Erfolg» sonnen.

Zudem würde die sofortige Einleitung einer neuen Reform ja nichts anderes bedeuten, als dass die eben angenommene ungenügend war. Ein derartiges Mea culpa ist von Parlamentariern nicht zu erwarten. Der Druck auf eine echte Sanierung wird sinken – es droht der Weg in den Ruin.

Sollte die Vorlage hingegen abgelehnt werden, wäre klar, dass sehr rasch etwas geschehen muss. Der Druck auf eine Revision inklusive Anpassung des Rentenalters würde massiv steigen.

Basierend auf der Abstimmungsvorlage wäre dies rasch zu bewerkstelligen: Die pauschale Rentenerhöhung wäre ersatzlos zu streichen und ein Interventionsmechanismus einzuführen.

Dazu liegen fertige Vorschläge auf dem Tisch, es braucht keine Abklärungen und Studien mehr, die wurden alle schon gemacht. Ein Nein zur Altersvorsorge 2020 eröffnet die Chance für eine nachhaltige Sanierung und Sicherung der wichtigsten Sozialwerke – sie muss ergriffen werden.