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Der Weg aus dem Banken-Dilemma

Der Schweiz steht eine wichtige Debatte bevor. Im Zentrum steht die Frage, inwiefern UBS und Credit Suisse heute, sechs Jahre nach dem Höhepunkt der Finanzkrise, noch ein Risiko für die Volkswirtschaft darstellen. Bis Ende Februar muss der Bundesrat dem Parlament allfälligen Anpassungsbedarf in der hiesigen Too-big-to-fail-Gesetzgebung (TBTF) aufzeigen.

Die Expertengruppe um den Wirtschaftsprofessor Aymo Brunetti hat in ihrem im Dezember publizierten Bericht bereits empfohlen, einige Vorschriften zu verschärfen. Sie verdient Unterstützung.

Die Banken werden dagegen lobbyieren. Sie werden sagen, sie hätten bereits genug unternommen. Sie werden Wettbewerbsnachteile gegenüber ausländischen Konkurrenten beklagen und warnen, eine Verschärfung des TBTF-Regimes schade der Wirtschaft. Dabei wird bisweilen die Ansicht aufkommen, die Debatte drehe sich um die Frage zwischen «mehr Regulierung» und «mehr Markt».

Doch ein derartiger Zielkonflikt existiert nicht. Der Markt will das Gleiche wie der Regulator: besser kapitalisierte und klarer fokussierte Banken. Dieses Signal sollten sich UBS und CS zu Herzen nehmen.

Schweiz nicht mehr an der Spitze

Die Schweiz erlebte im Oktober 2008 eine Nahtod-Erfahrung, als Bund und Nationalbank mit einem Kapitaleinsatz von über 60 Mrd. Fr. die UBS retten mussten. Es war eine meisterhafte Aktion, doch der glimpfliche Ausgang darf niemals darüber hinwegtäuschen, dass das Risiko damals enorm hoch war. Die UBS war ein ­Koloss, der die Staatsfinanzen hätte ruinieren können.

In der Folge nahm die Schweiz global eine Vorreiterrolle in der Lösung des TBTF-Problems ein. Im März 2012 trat das Gesetz in Kraft, das von den systemrelevanten Banken deutlich mehr verlustabsorbierendes Kapital verlangt. In der Überzeugung, die anderen Länder würden weniger weit gehen als die Schweiz, erreichten die Grossbanken damals die Einführung einer Klausel, die die Legislative verpflichtet, das Gesetz drei Jahre nach Inkrafttreten gegebenenfalls anzupassen.

Nun ist der Zeitpunkt für diese Evaluation gekommen. Objektiv kann festgestellt werden: Die USA, Grossbritannien und Schweden sind mit ihren Kapitalvorschriften zum Teil weiter gegangen. Die Schweiz steht heute im globalen Vergleich nicht mehr an der Spitze.

Bevor die Frage geklärt werden kann, was noch zu tun ist, bietet sich ein kurzer Exkurs an: Weshalb existiert das TBTF-Problem überhaupt? Aus liberalen Kreisen ist oft die Aussage zu hören, Banken müssten einfach untergehen können. Die Forderung leuchtet ein, doch sie ist eine Utopie. Gewisse Banken sind von derart hoher systemischer Bedeutung, dass ihr Kollaps horrende volkswirtschaftliche Kosten verursachen würde. Dass diese Institute im Notfall gerettet werden, liegt nicht an etatistischen Politikern, sondern ist das Resultat einer Kosten-Nutzen-Rechnung: die Rettung ist für Volkswirtschaft und Steuerzahler günstiger als der Kollaps.

Dank dieses Status kommen die Banken in den Genuss einer impliziten Staatsgarantie. Diese führt dazu, dass sie sich am Kapitalmarkt günstig finanzieren können, weil sie von der Bonität ihres Heimatstaats profi­tieren. Das ist nichts anderes als eine staatliche Subventionierung der Kapitalkosten der Grossbanken.

So viel ist mittlerweile unbestritten. In der Behebung des TBTF-Problems hat sich – abgesehen von der Variante der Zerschlagung – ein Zweisäulensystem durchgesetzt: Die erste Säule soll die Wahrscheinlichkeit verringern, dass eine systemrelevante Bank überhaupt insolvent wird. Das wird erreicht, indem die Banken mehr verlustabsorbierendes Kapital halten. Die zweite Säule soll ein Systemchaos verhindern und die Kollateralkosten minimieren, falls doch ein Institut kollabiert. Das wird erreicht, indem die systemrelevanten Teile einer Bank organisatorisch isoliert werden und auf globaler Ebene Klarheit herrscht, nach welchen Regeln eine insolvente Grossbank saniert oder abgewickelt wird.

Zweifel an internen Risikomodellen

UBS und CS haben in Bezug auf beide Säulen bereits viel unternommen. Sie haben ihr Kapitalpolster gestärkt; die UBS rascher, die CS zögerlich. Beide bauen ihre Organisation um, damit die systemrelevanten Teile im Notfall isoliert werden können. Sie sind heute deutlich robuster als vor sechs Jahren; das verdient durchaus Anerkennung.

Doch es reicht nicht. Die zweite Säule zur Behebung des TBTF-Dilemmas ist im globalen Kontext schwach geblieben. International etablierte Prozesse zur Isolierung, Sanierung oder Abwicklung einer systemrelevanten Bank sind kaum existent. Zu befürchten wäre im Notfall ein chaotischer rechtlicher Blindflug. «Zurzeit wäre eine geordnete Abwicklung einer Schweizer Grossbank nicht möglich», konstatiert der Brunetti-Bericht.

Weil die zweite Säule brüchig ist, muss die erste Säule stärker werden: dickere Kapitalpolster. Diesbezüglich stehen UBS und CS gut da – allerdings nur, wenn ihre ­Bilanz auf risikogewichteter Basis betrachtet und alle ­Arten von verlustabsorbierendem Fremdkapital einberechnet werden. Auf Basis der harten, ungewichteten ­Eigenkapitalquote (Leverage Ratio) sind sie schwach geblieben. Das Schweizer Regelwerk lässt ihnen Freiraum in der Verwendung eigener Modelle zur Risikogewichtung. Das mag ein Vertrauensbeweis sein, doch es darf nicht vergessen gehen, dass die gängigen Risikomodelle nicht geeignet sind, Extremrisiken in der komplexen, ­dynamischen Finanzwelt adäquat zu erfassen.

Die Schweiz sollte sich ein Beispiel an den USA nehmen und die Mindestanforderung an die Leverage Ratio höher kalibrieren. UBS und CS werden darauf hinweisen, dass das in Kontinentaleuropa nicht der Fall ist. Es kann jedoch keine Strategie für die Schweiz sein, sich an Ländern wie Deutschland und Frankreich mit ihren notorisch unterkapitalisierten Grossbanken zu messen.

Die klaren Signale des Marktes

Im Drang, harte Kapitalvorschriften abzuwehren, sollten sich die Führungskräfte der Banken vergegenwärtigen, was ihre Aktionäre eigentlich wollen. Die beste Regulierung ist die, die der freie Markt vorgibt – und hier sind die Signale eindeutig: Eine robuste Eigenkapitaldecke wird belohnt.

Die bestkapitalisierte US-Grossbank ist Wells Fargo, und mit einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von 1,7 geniesst sie die höchste Bewertung. Die UBS ist im europäischen Kontext überdurchschnittlich kapitalisiert; auch sie erhält an der Börse eine Bewertungsprämie. Aus purem Eigennutz müssten die Bank-Verwaltungsräte also den Kapitalaufbau vorantreiben.

Ein zweites Signal sendet der Markt ebenso klar: Universalbanken werden mit einem Konglomeratsabschlag bestraft. Reinrassige Retailbanken wie Wells Fargo, Asset Manager wie BlackRock oder Privatbanken wie Julius Bär werden an der Börse deutlich höher bewertet als die «One Bank»-Kolosse. Die Analysten von Goldman Sachs haben errechnet, dass der Aktienkurs von J. P. Morgan um 25% steigen könnte, wenn sich der US-Gigant freiwillig in zwei oder vier fokussierte Teile aufspaltet.

Die Aufspaltung einer Grossbank wird gemeinhin als Resultat eines brachialen regulatorischen Akts betrachtet. Dabei wird auf den Glass-Steagall-Act von 1933 verwiesen, der in den USA das Trennbankensystem vorschrieb. Kaum bekannt ist jedoch, dass sich die zwei damaligen Finanzgiganten, National City und Chase National, bereits Anfang März 1933 unter dem Druck ihrer Aktionäre aufspalteten – mehr als drei Monate, bevor der Glass-Steagall-Act im Kongress abgesegnet wurde.

Was wäre also, wenn nicht der Regulator, sondern der freie Markt den Weg weist? Angenommen, eine Universalbank beschliesst sich aufzuspalten und wird dafür an der Börse mit einer Bewertungsprämie belohnt: Der Druck vonseiten der Aktionäre auf die anderen Grossbanken, dies ebenfalls zu tun, würde massiv steigen – und ein Koloss nach dem anderen würde sich in kleinere, agilere, fokussiertere Einheiten auftrennen. Die ­Dinosaurier und mit ihnen das TBTF-Problem würden verschwinden. Nicht aus regulatorischem Eifer, sondern aus reiner marktwirtschaftlicher Vernunft.