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«Der Schweizer Aktienmarkt ist etwas Wunderbares»

Burkard Varnholt: «Schweizer Aktien sind eine Art Welt im Kleinformat.»

Herr Varnholt, ein Börsenspruch heisst: Haussen werden im Pessimismus geboren, wachsen an der Skepsis und sterben in der Euphorie. Wo stehen wir nach über sieben Jahren Aufschwung? - Anlageentscheide sollten stets mit dem Blick nach vorn und nicht nach hinten gefällt werden, auch wenn das leichter gesagt ist als getan. Sollte Ihre Frage suggerieren, dass die Märkte euphorisch sind, so erhebe ich Einspruch. Vor allem in Börsenkommentaren, im Gerede herrscht eine gewisse Euphorie vor. Doch Reden ist billig. Tatsächlich sind viele Investoren seit 2009 in Aktien untergewichtet.

Wirklich nur Gerede? Nimmt die Börse das Beste nicht schon vorweg? - Die Börse reflektiert alle Erwartungen – optimistische und pessimistische. Doch die Aktienallokation bei Pensionskassen in der Schweiz, in der EU und in den USA ist immer noch geringer als im Jahr 2009. Von 1960 bis 2009 hatte der Aktienanteil durchschnittlich mehr als 40% betragen, seither bewegt er sich unter 30%. Selbstverständlich ist man im Rückblick schlauer. Doch 2009 hätten die Pensionskassen ihre Aktienquote verdoppeln sollen. Sie machten das Gegenteil und verpassten einen grossen Teil des Aufschwungs. Ihre heutigen Aktienquoten illustrieren nicht Euphorie, sondern Zurückhaltung.

Weshalb die Vorsicht? Trifft der Spruch zu, müssen sich optimistische Anleger wünschen, dass die Skepsis bestehen bleibt. - Der Grund für die Zurückhaltung liegt in den Nachwehen der Finanzkrise. Sie hat uns traumatisiert. Deswegen sage ich, nach vorne schauen. Kämen wir heute nach längerer Abwesenheit auf die Erde zurück, würden wir feststellen: Die Wirtschaft brummt rund um den Erdball, die Zinsen sind niedrig, und die Unternehmensgewinne steigen. Und wir würden eine interessante Asymmetrie sehen: Die Investoren sind bereit, enorm viel für sogenannt sichere, nominell renditelose Anlagen zu zahlen. Wie sonst ist es zu erklären, dass Investoren Obligationen mit 0,5% Rendite – was einem implizierten Kurs-Gewinn-Verhältnis von 200 entspricht – attraktiv finden, bei Aktienanlagen mit einem KGV von nicht viel mehr als 20 und einer Dividendenrendite von 2 bis 3% aber mit sich ringen, ob sie kaufen sollen? Man spürt förmlich, wie sich das Bauchgefühl, die Historie, querstellt.

Ist es nicht das Gegenteil von Skepsis, wenn Grossanleger hundertjährige Argentinien-Bonds oder Irak-Anleihen im Übermass zeichnen, Übermut, eine Blase? - Ja, da mögen Sie recht haben. Die Asymmetrie beschreibt ja gerade diese Präferenz für festverzinsliche Anlagen im Unterschied zur Skepsis gegenüber Aktien. Oswald Grübel, der frühere CEO der CS und später der UBS, sagte mir einmal: «Wenn alle vom Risiko sprechen, ist es meist gering. Wenn niemand darüber spricht, ist es hoch.» In meinen Investorengesprächen dreht sich die erste und die letzte Frage fast immer ums Risiko.

Was antworten Sie auf diese Frage? - Obligationen und Aktien sind zwei Seiten der gleichen Medaille – Fremd- und Eigenkapital. Ihre Bewertungen sollten in einem gewissen Verhältnis zueinander stehen. Das ist aus dem Ruder gelaufen. Zum Beispiel war letzthin eine Swisscom-Anleihe mit 0,3% Rendite sechsfach überzeichnet. Dabei wirft eine einzige Dividende mehr ab als der Zins der Anleihe in zehn Jahren.

Auch Aktien leiden, wenn die Bondblase platzt. - Richtig. Doch bei vielen Obligationen ist heute der Hebel grösser. Oder anders gesagt: Aktien haben immer noch eine deutlich höhere Risikoprämie als Anleihen.

Im Frühjahr 2015 sagten Sie, die Aktienkurse könnten sich verdoppeln oder verdreifachen, weil die Zinsen noch fünf Jahre auf rekordniedrigem Niveau verharrten. Werden sie das? - Ich beschrieb damals eine Analogie der Geschichte. Einerseits wollte ich erklären, weshalb Phasen extrem expansiver Geldpolitik und tiefer Inflation lange andauern, sich fast verstetigen können. Heute ist die Inflation immer noch im Koma, sediert vom Internet mit seiner radikalen Preistransparenz. Hinzu kommen die demografische Alterung und die Globalisierung, die die Preise tief hält. Solange diese Situation andauert und der Arbeitsmarkt noch Reserven hat, bleiben Inflation und Zinsen niedrig.

Und die Prognose, die Aktienkurse könnten sich verdoppeln oder verdreifachen? - Ich weiss, das sorgte damals für Schlagzeilen. Aber ich habe die Prognose auch begründet: Zwischen den Fünfziger- und den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts und heute gibt es eine interessante Parallelität – die Staaten waren damals wie jetzt hoch verschuldet und mussten sich bei der Notenbanken anlehnen. Das Fed nagelte damals die langen Zinsen bei 2,5% fest. Doch was für ein oder zwei Jahre gedacht war, ging über lange dreizehn Jahre. Der US-Aktienindex S&P 500 stieg in dieser Zeit um das Sechs- und der  Dow Jones Industrial um das Zehnfache.

Ihnen musste bewusst sein, dass die Voraussage auffällt. Gilt sie weiterhin? - Das Timing war schlecht, es gab gleich einen Dämpfer, wie mehrmals seither. Ohne Verschnaufpausen könnte die Hausse gar nicht durchhalten. Immer wieder kommt aufgestaute Liquidität an den Markt und treibt ihn vorwärts. Aus 1 Fr. in Schweizer Aktien sind seit Beginn des letzten Jahrhunderts 1938 Fr. geworden. So wird es auch in Zukunft sein.

Was könnte dem Markt schaden? - Inflation und Rezession. Von beidem fehlt aber jede Spur. Die Weltwirtschaft wächst synchron, der Konjunkturzyklus ist einer der stärksten seit zwanzig Jahren, gerade in Europa.

Stimmen Sie dem Hurra vieler Strategen für europäische Aktien zu? - Im ausgewogenen Depot sind wir mit 45% Aktien neutral, in der Schweiz und in der Eurozone allerdings seit längerem übergewichtet. Aktien bilden die grösste Anlageklasse. Europa profitiert von seiner konjunkturellen Dynamik und einer Geldpolitik, der aus Rücksicht auf politische Risiken, wie die Italienwahlen 2018, immer noch die Hände gebunden sind.

Was spricht für die Schweiz? - Der Schweizer Markt ist etwas Wunderbares, eine Art Welt in Kleinformat. Die Schweiz ist eine offene Volkswirtschaft und besitzt mit Governance, Transparenz, Zuverlässigkeit, Innovation, Leistungswillen und globaler Diversifikation viele Vorteile. Das zieht gerade auch ausländische Anleger an.

Bleibt der Franken stark, auch zum Euro? - Der Franken ist seit hundert Jahren eine starke Währung, das wird so bleiben. Verändert sich die Welt zum Besseren, verliert er temporär an Wert, was wiederum der Börse hilft. Verdüstert sich der globale Horizont, setzt eine Fluchtbewegung ein. Der Franken ist das Gold unter den Währungen.

Welche Sektoren und Titel sind zu favorisieren? - Wir setzen weniger auf die zyklischen Branchen, sondern auf Sektoren und Themen, die zwar ebenfalls gute Aussichten haben, aber noch im Schatten der Zykliker stehen. Das sind primär Telecom, Pharma und Energie sowie Finanzen. Der Finanzsektor besitzt besonders bei Anleihen noch überdurchschnittliches Potenzial. Bei den Energieaktien ist das Momentum erst kürzlich erwacht. Selbst wenn der Ölpreis nicht mehr auf frühere Höhen steigt, haben Energiewerte Raum nach oben.

Wie geht die Entwicklung unter den boomenden Technologieaktien weiter? - In Technologiesektor herrscht eine augenscheinliche Tendenz zum Monopolisten, zum «the winner takes it all». Es gibt Platz nur für eine Amazon, für eine Google. Ob sie in zehn Jahren doppelt so gross sein werden, wie die Märkte es erwarten, bleibt  ungewiss. Deshalb ist unter den Technologieaktien das Diversifikationsgebot besonders wichtig. Technologie ist im Prinzip nur Mittel zum Zweck. Entweder werden Unternehmen, wenn sie Technologie falsch oder mangelhaft einsetzen, auf die Seite gedrängt, oder sie verbessern, wenn sie es geschickt machen, ihre Produktivität und wechseln auf die Überholspur. Auf die Nutzniesser zu setzen, bringt genauso viel, wenn nicht mehr, als die reinen Technologieanbieter herauszupicken.

Titelempfehlungen machen Sie keine, trotzdem die Frage: Was zeichnet in Ihren Augen eine Top-Aktie aus? - Ein Unternehmen muss Marktleader sein, Preissetzungsmacht haben, es muss Wettbewerbsposition und geistiges Eigentum verteidigen können, wachsen und von einem erstklassigen Management nachhaltig geführt werden. Kompakte Teams findet man oft bei kleineren Gesellschaften in Familienbesitz. Je grösser ein Unternehmen, umso schwieriger ist es zu führen. Small und Mid Caps verdienen deshalb an der Börse einen gewissen Bonus, was die aktuell höhere Bewertung im Vergleich zu Large Caps rechtfertigt.