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Der Ölmarkt braucht Puffer

Am 11. November wirkte sich das Treffen eines Komitees von Opec und Partnerstaaten sofort auf den Ölpreis aus. Über Nacht stieg er 1,5 bis 2%. Das Joint Ministerial Monitoring Committee (JMMC) hat die Oberaufsicht über ein Kooperationsabkommen zwischen der Organisation erdölexportierender Länder und zehn verbündeten Staaten, dessen Ziel es war, die Ölproduktion um 1,8 Mio. Fass pro Tag (b/d) zu drosseln. Die Minister verkündeten, das JMMC werde 2019 Nachfrage und Angebot auf dem Weltölmarkt unter die Lupe nehmen und gegebenenfalls weitere Produktionsdrosselungen vornehmen.

Besonders die Meldungen, wonach Saudi-Arabien bereits im Dezember 500 000 b/d weniger produzieren könnte, zeigten Wirkung. Im Oktober schwankte der Ölpreis stark. Zu Anfang des Monats betrug der Preis für Brent 87 $ pro Fass, ein Niveau, wie es letztmals vor vier Jahren zu sehen war. Doch binnen nur eines Monats fiel der Preis 20%.

Es ist sinnvoll, sich die jüngste Geschichte vor Augen zu halten, um Hintergrund und Konsequenzen der heutigen Situation zu verstehen. Im Dezember 2016 war der Ölpreis im freien Fall. Die Lagerhaltung der OECD-Länder lag 340 Mio. Fass über dem Fünfjahresdurchschnitt, einer von Händlern anerkannten Messgrösse. Das Vorspiel zu dieser Entwicklung war die zuvor lange unterschätzte Steigerung der Schieferölproduktion in den USA. Schieferöl überflutete zunächst den amerikanischen und danach den internationalen Ölmarkt.

Deshalb beschlossen der neu ernannte saudische Ölminister, Khalid Al-Falih, und der ebenfalls neue Opec-Generalsekretär, Mohammed Sanusi Barkindo, Russland und andere zugewandte Orte beizuziehen, um der Ölschwemme Herr zu werden. Die Opec und ihre zehn Verbündeten schlossen ein Kooperationsabkommen ab, das mehrmals verlängert wurde und am kommenden Opec-Treffen im Dezember formalisiert werden soll.

Angebot und Nachfrage nähern sich an

Der langen Worte kurzer Sinn: Es dauerte erst einmal anderthalb Jahre, bis die Opec-Massnahmen griffen. Die Ölproduktion wurde zwar gedrosselt, dennoch verringerte sich der Lagerbestand nur langsam. Im Frühjahr dieses Jahres zeichnete es sich ab, dass die Diskrepanz zwischen Nachfrage und Angebot immer kleiner wurde und dass der Fünfjahresdurchschnitt der OECD-Lager nun ausgeglichen war. Die Märkte wurden enger. Bis anhin hatte das JMMC den Opec-Plus-Staaten eingetrichtert, die Produktionsdrosselungen striktestens zu befolgen. Deshalb betrug die Einhaltungsquote im Mai 158%. Als der Ölpreis stieg, wurde es zum Mantra, nicht mehr als 1,8 Mio. b/d einzusparen. Da die Ölförderung  ein sehr langfristiges Geschäft ist, brachten es die 25 Länder erst im vergangenen Monat auf eine Einhaltungsquote von 104%.

Die Preisschwankungen der vergangenen Monate haben verschiedene Ursachen. Zunächst regierten die Märkte übertrieben auf die angekündigten Iransanktionen der USA. Washington hatte die Reduktion iranischer Erdölexporte auf null im Visier. Dies wäre aber für einige amerikanische Verbündete schwierig geworden. Indiens Raffinerien zum Beispiel benötigen schweres Erdöl. Da Venezuela, ursprünglich ein anderer Top-Lieferant, wegen seiner prekären wirtschaftlichen Lage kaum mehr exportfähig ist, musste Indien weiterhin genügend iranisches Erdöl importieren können. Desgleichen brauchten zum Beispiel chinesische und türkische Raffinerien iranisches Öl. Deshalb wurden den acht grössten Importeuren iranischen Erdöls temporäre Bewilligungen für Ausnahmen von den Sanktionen erteilt.  Der Markt drehte sich blitzschnell: Angst vor Versorgungsengpässen schlug in Furcht vor Überversorgung um, was den monumentalen Preissturz im Oktober erklärt.

Märkte werden seit jeher von Gier und Furcht angetrieben. Das ist in diesem Fall nicht anders. Es wird angenommen, dass die Nicht-Opec-Produzenten 2019 mehr als vorausgesagt fördern werden, was den Preis tendenziell weiter senken könnte. Amerika allein wird im April mehr als 12 Mio. b/d produzieren, rund sechs Monate früher als bislang prognostiziert. Zudem hat der Internationale Währungsfonds das erwartete Weltwirtschaftswachstum für die Jahre 2018 und 2019 je 0,2% heruntergestuft. Geringeres Wachstum des Bruttoinlandprodukts (vor allem in Schwellenländern) übersetzt sich zwingend in sinkende Erdölnachfrage.

Die Analytiker von Argus (einem Preisinformationsdienst für den Handel mit Erdöl usw. in London) rechnen damit, dass das Erdölangebot 2019 etwa 1,3 Mio. b/d über der Nachfrage liegen könnte, falls die Opec weiterhin auf dem gegenwärtigen Produktionsniveau bleiben würde. Deshalb erstaunt es wenig, dass der Preistrend sich so schnell umgedreht hat.

Im Oktober hat sich zweierlei erwiesen: Erstens wurde der Erdölmarkt enger, das heisst, dass Nachfrage und Angebot sehr nahe beieinander sind. Deshalb kann die kleinste Nachricht zu enormen Preisschwankungen führen. Zuerst wurden die Auswirkungen der Iransanktionen überbewertet. Nun könnte das Gegenteil der Fall sein: Marktbeobachter berücksichtigen negative Markteinflüsse nicht genügend. Was wird etwa geschehen, wenn die venezolanische Produktion weiter sinkt? Was passiert mit der volatilen Produktion von Nigeria und Libyen? Desgleichen wird die Nachfrage nach Öl in diesem Quartal zum ersten Mal in der Geschichte 100 Mio. b/d übertreffen. Wann immer Angebot und Nachfrage zu nahe sind, wird jede Nachricht und auch jedes Gerücht unverzüglich zu Preisvolatilität führen.

Zweitens ist es wichtig, dass die Kooperation der 25 Opec-Plus-Staaten institutionalisiert wird. Die Opec will für ausgeglichene Ölmärkte sorgen. Dafür braucht es ungenutzte Kapazität. Das ist etwas, was eigentlich nur Länder mit staatlichen Ölgesellschaften bieten können. Seit die USA der grösste Erdölproduzent geworden sind – noch vor Russland und Saudi-Arabien –, ist es wichtig geworden, dass Länder mit effektiver oder potenzieller ungenutzter Produktionskapazität zusammenarbeiten.

Das mag sich nicht sehr marktwirtschaftlich anhören, aber Unternehmen, deren Existenz vom Erdölkonsum abhängt, wie auch die Erdölproduzenten brauchen ein gewisses Mass an Planungssicherheit. Sie können ihre betrieblichen, Investitions- und Hedging-Strategien nicht auf Preisschwankungen von bis zu 600% binnen drei Jahren aufbauen. Das Prinzip der Marktwirtschaft bedeutet, dass Aktionäre es ihren Ölgesellschaften niemals erlauben würden, brachliegende Kapazitäten zu halten. Deshalb müssen andere Produzenten regulierend einschreiten können, um die Preisfluktuationen in einer gewissen Bandbreite zu halten.

«Vernünftiger Korridor» angestrebt

Der CEO von BP, Bob Dudley, hat mehrmals betont, er könne sein Unternehmen auf den verschiedensten Ölpreisniveaus führen, brauche jedoch ein gewisses Mass an Planungssicherheit. Führungskräfte unter den Erdölkonsumenten, etwa Fluglinien, oder auch Automobilkonzerne haben eine ähnliche Maxime.

Genau um die marktwirtschaftlich ausgerichteten Unternehmen sowie die Konsumenten nicht übermässigen Schwankungen auszusetzen, braucht es Marktteilnehmer wie die nationalen Ölgesellschaften der Opec. Sie sind die Einzigen, die Puffer (die nach nicht rein marktwirtschaftlichen Kriterien ausgerichtet sind) zur Verfügung stellen können – also ungenutzte Kapazitäten, die es zur Regulierung der Märkte dringend braucht. In diesem Sinne betonte Minister Al-Falih an der Pressekonferenz am 11. November: «We as responsible producers are going to work, and work hard, to balance the market within a reasonable corridor.» Deshalb ist die Formalisierung des Kooperationsabkommens der 25 Opec-Plus-Staaten im Dezember im Interesse aller.