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Der nächste globale Boom – und danach der Bust

Die Stimmung an der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank Mitte April war düster. Der IWF revidierte seine Prognosen für das weltweite Wachstum erneut nach unten – wodurch sie für heuer und auch für 2017 ein durchschnittliches jährliches Wachstum von lediglich knapp über 3% ausweisen.

Bewahrheiten sich diese Prognosen, wäre das eine trostlose Entwicklung. Vor 2007 bewegte sich das weltweite Wachstum (unter Anwendung der Berechnungsmethode des IWF) im Bereich von 4,5 bis 5%, wobei man von stetigem Produktivitätszuwachs in Industrieländern und einem rasch steigenden Lebensstandard in grossen Schwellenländern wie China, Brasilien und Russland ausging.

Nun stehen die USA vor den Unwägbarkeiten einer Präsidentenwahl, die schwächeren Teile der Eurozone mühen sich weiter ab, und Japan taumelt am Rande einer ausgewachsenen wirtschaftlichen Kontraktion. Brasilien befindet sich inmitten einer politischen Krise, China ist mit den Folgen einer längeren fiskalischen Expansion und des explosiven Wachstums seines Schattenbankensektors beschäftigt, und in vielen anderen Schwellenländern untergraben niedrigere Rohstoffpreise die Wirtschaftsleistung. Obendrein könnten die Briten im Juni auch noch für den Austritt aus der Europäischen Union stimmen.

Stagnation wird nicht von Dauer sein

Wirtschaftliche Aktivität wird von Vertrauen beeinflusst: Glauben die Verbraucher, dass ihre Einkommen möglicherweise steigen (oder sich als sicher erweisen), und sind Unternehmen der Ansicht, dass das zukünftige Wachstum kräftig genug ausfallen wird, damit sich gegenwärtige  Investitionen bezahlt machen? Die makroökonomische Stimmung von heute ist gemeinsamer Pessimismus.

Doch mittelfristig ist globale Stagnation ein unwahrscheinliches Szenario. Es werden weiterhin neue Technologien entwickelt, und Milliarden Menschen streben danach, ihren Lebensstandard durch Bildung und harte Arbeit zu verbessern. Führende Industrieländer – und auch China – legten im vergangenen Jahrzehnt angesichts enormer negativer Schocks auf dem Finanzsektor bemerkenswerte Widerstandsfähigkeit an den Tag.

Die Arbeitslosenrate ist in den Vereinigten Staaten auf 5% gesunken, auch in Teilen Europas läuft es durchaus gut. Und der wichtigste Punkt hinsichtlich des Rohstoffpreiszyklus ist die Tatsache, dass es sich eben um einen Zyklus handelt: Die Rohstoffnachfrage steigt und fällt, während sich das Angebot nur langsam ändert. Wir sollten bei den Rohstoffpreisen mit Volatilität rechnen – ebenso wie beim Ölpreis.

Der Charme der Schulden

Die grösste Frage besteht darin, ob es uns gelingt, aus der ökonomischen Achterbahn auszusteigen und ohne schuldenfinanzierten Überkonsum (wie in den USA vor 2008), ohne Überinvestitionen (wie in China) und ohne überdehnte staatliche Ausgaben (immer noch ein Thema in manchen Teilen Europas) zu einem robusten weltweiten Wachstum zurückzukehren.

Mit Schulden lassen sich produktive Investitionen und Verbesserungen im Bereich Humankapital finanzieren. Aber warum scheinen wir immer zu viel davon zu wollen? Teilweise liegt der Grund im Steuersystem mancher Länder, wo Zinszahlungen für Verbraucherkredite vom steuerbaren Einkommen abgesetzt werden können (in den USA für Hypothekarkredite beispielsweise). Auch Zinszahlungen für Unternehmenskredite sind typischerweise absetzbar.

Doch der vorrangige Reiz von Schulden besteht darin, dass es sich um einen überaus einfachen Vertrag handelt: Entweder man bezahlt die vereinbarte Summe oder nicht. Und wenn alles gutgeht, weist eine hoch fremdfinanzierte Unternehmung – ob ein Unternehmen oder ein Privathaus – eine grossartige Kapitalrendite auf. Diese Renditen sind allerdings nicht risikogewichtet, und das bedeutet, dass es im Fall eines Wirtschaftsabschwungs zu umfangreichen Verlustallokationen kommt – wie es amerikanische Eigenheimbesitzer im Jahr 2008 und koreanische Konglomerate 1997 erfahren mussten und wie es die Regierungen von Schwellenländern wiederholt erleben.

Reformen bleiben blosse Absicht

Die politischen Entscheidungsträger wissen natürlich, dass exzessive Schulden finanzielle Instabilität mit sich bringen, und die Reformbestrebungen der vergangenen zehn Jahre hatten auch einen Schuldenabbau zum Ziel. Allerdings sind Finanzreformen während eines Abschwungs schwer durchzuführen, wenn die Hauptaufgabe darin besteht, das Wachstum wiederzubeleben. Offizielle Absichten bleiben vielfach genau das – Absichten. Ein ums andere Mal finden es politische Entscheidungsträger einfacher, das bestehende System aus Regeln, Anreizen und Garantien unverändert zu lassen. Und weil sich grosse Finanzgesellschaften mit hohem Fremdfinanzierungsanteil blendend entwickeln, wenden sie weiterhin reichlich Ressourcen für ihr Lobbying gegen die Bestrebungen auf, mit denen eine bessere Kapitalausstattung sichergestellt werden soll (mehr Eigenkapital im Verhältnis zur Bilanzsumme).

Tatsächlich sind die grössten Banken in den USA – aber auch in den meisten anderen Ländern – heute sogar noch grösser als vor dem Jahr 2008. Alles deutet darauf hin, dass interne Anreizsysteme praktisch unverändert geblieben sind. Und eine Beschränkung ihrer Aktivitäten wird sich wohl als nicht sehr wirksam erweisen, wenn das globale Wachstum anzieht.

In den USA besteht auf offizieller Seite die Hoffnung, dass die grössten Finanzunternehmen letztlich dazu gezwungen sein werden, sich an eine Bestimmung aus dem im Jahr 2010 beschlossenen Dodd-Frank-Finanzreformgesetz zu halten, in der die Erstellung glaubhafter Notfallpläne in Form eines «Testaments» gefordert wird. Doch bislang haben die meisten Grossbanken keine plausiblen derartigen Pläne vorgelegt, aus denen hervorgeht, wie sie im Pleitefall ohne staatliche Hilfe und ohne Schaden für die Weltwirtschaft abzuwickeln sind, und keine dieser Banken wurde mit Konsequenzen im Falle der Nichteinhaltung konfrontiert.

Weitere Runde auf der Achterbahnfahrt

Das Wachstum wird zurückkehren. Unternehmer werden neue Gesellschaften gründen, und sie werden ihre Risiken mit Beteiligungen aus Risikokapitalfonds finanzieren. Etablierte Nichtfinanzunternehmen haben auf die harte Tour gelernt, dass man mit Fremdfinanzierungen vorsichtig sein muss und sich umfangreiche Liquiditätspolster zulegen soll.

Es sind die Grossbanken, die es vorziehen, weiterhin einen grossen Fremdfinanzierungsanteil aufzuweisen. Und zu viele Politiker fügen sich. Ob es einem gefällt oder nicht: Das bedeutet, wir können uns auf eine weitere turbulente Runde in der Achterbahnfahrt der Weltwirtschaft gefasst machen.

Copyright: Project Syndicate.

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