Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Der Kampf der Briten gegen Windmühlen

Todesmutig stürzt sich Don Quijote in den Kampf gegen Windmühlen, die er für Riesen hält. Begleitet wird er von Sancho Panza, der seinen Herrn immer wieder auf die Diskrepanz zwischen Quijotes Wahrnehmung und der Realität hinzuweisen versucht.

Was der spanische Schriftsteller Miguel de Cervantes vor fast genau 400 Jahren schrieb, umschreibt treffend die Irrungen und Wirrungen der Briten bei ihrem Versuch, sich aus der Europäischen Union zu verabschieden. Sie sind in der Rolle des Don Quijote, der überall auf Widerstände stösst und immer wieder die Realität aus den Augen verliert, Sancho Panza steht für den EU-Chefunterhändler Michel Barnier. Mit eiserner Hand weiss er die britische Gegenseite immer wieder gekonnt zu stoppen und lässt immer wieder durchblicken, wer in den Verhandlungen am längeren Hebel sitzt.

Das Dreitopfmodell

Derweil verrennt sich die britische Seite immer wieder in ihren Anträgen, die sie Brüssel unterbreitet. So hat die Regierung May vor Weihnachten vorgeschlagen, von den bisherigen Modellen wegzukommen und ein auf Grossbritannien und die EU massgeschneidertes Handelsabkommen zu vereinbaren. Es sieht drei Töpfe vor; je nach Branche soll die Anbindung an Brüssel unterschiedlich eng gestaltet werden. Ausgerechnet jetzt stellt sich Deutschland, das May bislang zu Londons Verbündeten gezählt hatte, quer. Kanzlerin Angela Merkel befürchtet beim jüngsten Vorschlag, dass Grossbritannien sich daraus einseitige Vorteile erhofft.

«You can’t have a cake and eat it», lautet ein populäres britisches Sprichwort, was sinngemäss mit «nicht gleichzeitig den Fünfer und das Weggli haben» übersetzt werden kann.

Deutschland hat sehr wohl ein grosses Interesse, den Austritt Grossbritanniens möglichst zu erschweren, denn es wird nach dem Abschied der Briten der grösste Verlierer innerhalb der EU sein. Mit Grossbritannien verlässt ein Nettozahler und ein Verbündeter Deutschlands die Union. Fallen die Gelder aus London weg, wird Deutschland künftig mehr Geld nach Brüssel überweisen müssen.

Zudem wird Deutschland mehr Mühe haben, unter den 27 verbleibenden Mitgliedstaaten Mehrheiten für die eigenen Positionen zu finden. Bislang konnte sich Merkel auf die deutsch-französische Achse sowie Grossbritannien verlassen. Nun steigt die Furcht, dass Mitgliedländer mit nationalistischen Strömungen mehr Einfluss geltend machen werden.

Mit Frankreich hingegen verband das Vereinigte Königreich schon immer eine Art Hassliebe, trotz der traditionellen «Entente Cordiale». Präsident Emmanuel Macron ist ein flammender Befürworter der EU. Er wird sich hüten, sich von den Briten vereinnahmen zu lassen. Ganz im Gegenteil: Vor wenigen Tagen rief er die übrigen EU-Mitgliedstaaten dazu auf, in den Brexit-Verhandlungen zusammenzustehen und Einigkeit zu zeigen. Macron warnte davor, die Partikularinteressen in den Vordergrund zu stellen, denn die negativen Folgen daraus würden schliesslich jedes einzelne Mitgliedland treffen.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass das Vereinigte Königreich keinen Schritt weiterkommt. Die daraus resultierende Nervosität zeigt sich je länger, desto deutlicher. Die Uhr tickt, Fortschritte bleiben aus. Als in den vergangenen Tagen publik wurde, dass sich die EU auf den Austritt der Briten ohne jegliches Abkommen vorbereitet, erzürnte dies Brexit-Minister David Davis zutiefst. Er verstand diese Nachricht als Drohung Brüssels, an einem Deal gar nicht interessiert zu sein. In einem Anfall von Verzweiflung rief er die EU-Mitgliedstaaten dazu auf, doch ihre Vorstellungen des Brexit zu skizzieren.

Irland, Gibraltar, wie weiter?

Tatsächlich droht den Briten die Zeit auszugehen. In gut zwei Monaten steht der nächste wichtige Termin an, wenn sich nämlich am 22. und 23. März die Regierungschefs zum EU-Gipfel treffen. Bis dann muss die Regierung May ihre Position klar formuliert haben. Denn nur dann wird die EU bereit sein, die Details der zweijährigen Übergangsphase, die nach dem Austrittsdatum in Kraft tritt, zu besprechen. Gelingt es nicht, sich auf eine solche Transitionsphase zu einigen, wird sich das Vereinigte Königreich am 29. März 2019 ausserhalb des EU-Binnenmarktes und der Zollunion befinden.

Gleichzeitig bleiben andere wichtige Fragen ungelöst. Das Irlandproblem wird vorerst auf die lange Bank geschoben. Es bleibt unklar, wie zu verhindern ist, dass eine harte Grenze zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland den Friedensprozess torpediert. Offen bleibt auch die Akte Gibraltar. Der Affenfelsen im Süden Spaniens, der ein britisches Überseegebiet ist, lebt von Arbeitskräften und Touristen, die von Spanien über die Landzunge auf die Halbinsel kommen. Auch hier könnte eine harte Grenze folgenschwer sein.

Insgesamt zeigt sich immer deutlicher, dass die Hoffnungen der Austrittsbefürworter mehr auf Illusionen als auf der Realität beruhten. «Lieber 350 Mio. £ wöchentlich in den staatlichen Gesundheitsdienst NHS stecken als nach Brüssel schicken», hatte zum Beispiel eines der Hauptargumente der Brexiteers gelautet.

Doch im vergangenen Dezember hat die «Financial Times» vorgerechnet, dass das abgeschwächte Wirtschaftswachstum das Vereinigte Königreich pro Woche ebendiesen Betrag kosten könnte – unter dem Strich droht also ein Nullsummenspiel. Ein weiterer Rückschlag für die Brexit-Befürworter.

Angesichts dieser Entwicklungen hört man in London hinter vorgehaltener Hand vermehrt Stimmen, die sich den Exit vom Brexit wünschen. Ein solches Einlenken würde indes nicht der britischen Psyche entsprechen. Ein Abbruch des Scheidungsprozederes würde den nationalen Stolz empfindlich treffen.

Das wiederum erklärt, weshalb kaum öffentliche Opposition gegen die Brexit-Bestrebungen zu sehen ist – obschon sich vor eineinhalb Jahren immerhin 48% der Abstimmenden für den Verbleib in der Europäischen Union ausgesprochen hatten. Vereinzelte Gruppierungen versuchen, die proeuropäische Stimmung zu wecken und anzufeuern. Im Lärm des Alltags werden sie indes wenig bis gar nicht wahrgenommen.

Noch bleibt die Hoffnung auf ein Happy End – im Gegensatz zum Schicksal des Don Quijote. Dieser muss nach einer Turnierniederlage die Auflage erfüllen, in seine Heimat zurückzukehren. Kurz darauf wird er vom Fieber befallen, das ihn aufs Totenbett bringt. Dort erkennt er den Unsinn und die Verworrenheit, die ihn über die ganze Zeit angetrieben haben, und jammert, dass ihm diese Einsicht so spät gekommen sei.