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Der Flügelschlag des Schmetterlings

Der Meteorologe Edward Lorenz erwähnte 1972, dass in einem extremen Fall der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen könnte. Die etwas überzeichnete Theorie will sagen, dass es, wenn die Ausgangslage für eine grosse Veränderung gegeben ist, noch einen winzigen Auslöser braucht, der normalerweise völlig unbedeutend wäre. Die aktuelle Zahlungsbilanzkrise der Türkei könnte ein solcher Auslöser sein.

Seit zehn Jahren überschwemmen die grossen Notenbanken die Welt mit billigstem Geld und verzerren Zinsen und Marktpreise. Kapitalanleger freuen sich über steigende Vermögenswerte. Aber mit Niedrigst- und Minuszinsen und Geldschwemmen entstehen seit Jahren gigantische Fehlallokationen. Anstatt der unsichtbaren Hand des Marktes entscheiden einige wenige Notenbanker, wie billig Geld sein soll, und produzieren immense Ungleichgewichte in der globalen Finanz- und Realwirtschaft. Sie scheuen nicht vor Kursmanipulationen in Währungen, Zinsen und selbst Aktien zurück, mit per Knopfdruck neu geschaffenem Geld. Wir sind Zeuge einer historisch einmaligen Finanzmanipulation.

Jeder Kreditzyklus baut seine eigenen Exzesse. Im letzten Zyklus stand primär der Immobiliensektor in den USA und einigen europäischen Ländern im Vordergrund. Diesmal sind es vor allem die Unternehmen in Schwellenländern, von China über Südafrika bis zur Türkei. Gesamthaft haben die Schwellenländer im laufenden Kreditzyklus ihre Schulden von 5 auf 19 Bio. $ erhöht. Die Probleme setzen dann ein, wenn das Geld verknappt wird, meist wegen anziehender Inflation.

Nur das Fed normalisiert

Während die Notenbanken in Japan und besonders in Europa von Normalisierung noch nichts wissen wollen und die EZB in den vergangenen Jahren punkto Exzesse alle anderen überboten hat, begannen die USA noch unter Fed-Chefin Yellen mit der Normalisierung. Ihr Nachfolger Powell treibt diese Entwicklung Schritt für Schritt voran. Zwar sind die Zinsschritte im Ausmass bescheiden, aber doch regelmässig; zugleich führt Powell die auf 4 Bio. $ aufgeblasene Bilanz des Fed zurück. Dieses Jahr wird die Bilanz  rund 420 Mrd. $ reduziert; für 2019 ist ein Abbau von weiteren 600 Mrd. $ geplant.

Das ist ein riesiger Entzug von Kapital aus dem Geldkreislauf, der in den Monaten September bis November noch durch zusätzliche Kapitalaufnahme des US-Schatzamts erhöht wird. Die Mittelaufnahme wird 2019 aufgrund des steigenden Budgetdefizits wohl deutlich über der diesjährigen liegen. Wenn an der Basis das Geld entsprechend verknappt wird, dann hat dies Auswirkungen auf das globale Kreditsystem, weil der Dollar mit grossem Abstand nach wie vor die Hauptwährung der Welt ist. In dieser Währung ist auch der grösste Teil der global ausstehenden Kredite denominiert.

Mit dieser verknappenden amerikanischen Geldpolitik entwickelt sich ein Sog für Kapital in den Dollar und treibt ihn gegenüber anderen Währungen in die Höhe. Besonders Länder mit schwacher Zahlungsbilanz und hohen Auslandsschulden kommen ins Wanken. Nach Argentinien und Iran ist nun die Türkei an der Reihe. Erdogan hat im laufenden Zyklus die Wirtschaft auf einen fremdfinanzierten Wachstumskurs und damit in die Abhängigkeit von fremdem Geld getrieben. Der Streit mit den USA ist inzwischen eskaliert und die Verdoppelung von Zöllen auf die türkischen Stahl- und Aluminiumexporte wiegt in dieser Situation schwer.

Wenn eine Währung im freien Fall ist, weil die Aussenbilanzen in Schieflage sind und die Aussenverschuldung gross ist, dann muss sie so lange fallen, und die Zinsen müssen so lange steigen, bis der Markt wieder ins Gleichgewicht kommt. Bis dieses gefunden ist, steigen die Zinsen. Die Importe verteuern sich und brechen ein – wegen Sanktionen auch die Exporte; Unternehmen und Banken gehen bankrott.

Eine Wirtschaftskrise der Türkei wäre für die Welt nicht weiter schlimm. Aber die Türkei hat Aussenschulden in Dollar und Euro von umgerechnet 400 Mrd. $. Das schwache europäische Bankensystem hat dort 150 Mrd. ausstehen, besonders Banken aus Spanien, Frankreich und Deutschland. Diese Banken sind sonst schon schwach kapitalisiert und werden dadurch in ihrer Kreditvergabe eingeschränkt, was sich letztlich negativ auf Europas Konjunktur auswirkt. Diese läuft zwar immer noch auf gutem Niveau, verlangsamt sich aber deutlich, weil die Exporte aus China nachlassen.

Dort verlangsamt sich die Konjunktur merklich und die verarbeitende Industrie steht am Rande einer Rezession. Die Kreditexzesse in China sind gigantisch und die Notenbank muss nun mit grossen Liquiditätsspritzen die gegenwärtig grössten Probleme etwas mildern. Die Kreditaggregate verlangsamen sich jedenfalls deutlich, was nichts Gutes für die zukünftige Konjunktur bedeutet. Sollte China seine Geld- und Fiskalpolitik zunehmend auf Stimulierung ausrichten, dann würde die Währung weiter unter Druck kommen. Der Dollar zum Renminbi notiert gegenwärtig bei 6.89; die alte Widerstandsgrenze steht bei 7.00. Bricht sie, dann käme trotz Kapitalverkehrskontrollen ein grösserer Abfluss von Kapital aus China. Das wiederum würde Öl ins Feuer giessen im Handelskonflikt zwischen China und den USA. Auch die Schwäche des Euros wird angesichts der nach wie vor geltenden, völlig unverständlichen  Minuszinsen den Handelskonflikt zwischen der EU und den USA befeuern. Bis anhin haben die Kapitalmärkte relativ entspannt auf die Handelsdispute reagiert, weil die Börse normalerweise nur kurzfristig auf politische Entwicklungen anspricht, doch mit einer Verstärkung der handelspolitischen (und früher oder später geopolitischen) Probleme wird am Ende die Weltwirtschaft getroffen. Damit könnte dann der von den Märkten erwartete Unternehmensertrag schnell Makulatur werden.

Dollarstärke bewirkt Liquiditätsentzug

An den Anleihenmärkten sollten sich aufgrund dieser Entwicklungen die Qualitätsspreads ausweiten. Mit Ausnahme der USA haben die wichtigsten Aktienindizes ihre Höchstpunkte seit geraumer Zeit überschritten. Die Märkte sind aufgrund der sich seit Anfang Jahr verschlechternden globalen Liquidität selektiver geworden. Besonders hochkapitalisierte Werte haben in der Regel enttäuscht, während einige Titel mit mittlerer und kleinerer Kapitalisierung noch gut performten. In den USA wurden die Hauptindizes nur noch von wenigen Titeln aus dem Internet- und E-Commerce Bereich getragen, während klassische Standardwerte und zyklische Aktien deutlich unter ihren Höchstkursen notieren.

Diese Entwicklung ist klassisch. Die Verknappung von Dollarliquidität treibt den Dollar unter Schwankungen höher und entzieht der übrigen Welt schrittweise Liquidität. Zuerst trifft es die fundamental Schwächsten, dann frisst sich dieser Prozess solange gegen das Zentrum zu, bis die USA ihre Politik lockern. Da die USA jetzt aber aufgrund des Fiskalschubs nach neun Jahren Expansion an ihre Kapazitätsgrenzen stossen, wird das Fed die Gunst der Stunde zur Normalisierung weiter nutzen wollen und keine Politik zugunsten der übrigen Welt machen. Die Kapitalströme Richtung Amerika werden wohl solange zunehmen, bis entweder in den USA eine Lockerung oder in der übrigen Welt wegen steigender Inflation eine Normalisierung der Geldpolitik eintritt.

Das allerdings wäre weiteres Gift für die Vermögensmärkte. Da amerikanisches Kapital das Geschehen an den Aktienmärkten global klar dominiert und in Dollar gerechnet nahezu alle Börsen ihre Höchstpunkte Anfang Januar, wenn nicht schon im Lauf der vergangenen Jahre überschritten haben, besteht mit dem starken Dollar auch das Risiko, dass amerikanische Anleger angesichts dieser Entwicklung ihre Engagements ausserhalb der USA reduzieren.

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