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Der Aktienmarkt ist historisch überbewertet

Seit März 2009 geht es an den US-Börsen stetig nach oben: Die Anzeigetafel an der New York Stock Exchange meldet das Allzeithoch des DJ Industrial.

Die Hausse feiert Geburtstag. Am 6. März 2009, als die Weltwirtschaft mitten in der schlimmsten Rezession der Nachkriegszeit stand, markierte der S&P 500 sein Tief von 666 Punkten. Seither ist der US-Leitindex 130% gestiegen; gemessen am Dow Jones Industrial hat der amerikanische Aktienmarkt sein Allzeithoch egalisiert. Die Börse nimmt weiter an Fahrt auf: Institutionelle und private Investoren streifen ihre Zurückhaltung ab und steigen wieder in Aktien ein. Gemäss dem Datendienst Lipper haben Aktienfonds im Januar die höchsten Kapitalzuflüsse seit April 2000 verzeichnet. Die These der «grossen Rotation», des Rückflusses des Anlagekapitals aus dem Geld- an den Aktienmarkt, findet wachsende Anhängerschaft.

Was nun? Soll man jetzt noch kaufen, oder ist es an der Zeit, sich zu verabschieden? «Keine Anlage ist gut oder schlecht per se, es kommt immer auf den bezahlten Preis an», pflegt Howard Marks, Gründer des US-Vermögensverwalters Oaktree, zu sagen. Und der Blick auf die Bewertung zeigt klar: Der Aktienmarkt ist historisch betrachtet teuer. Strukturelle, mehrjährige Haussen haben in der Vergangenheit immer erst ab einem deutlich niedrigeren Bewertungsniveau begonnen.

Kein guter Kaufzeitpunkt

Auf den ersten Blick betrachtet, sieht das Preisniveau zwar vernünftig aus; basierend auf den aggregierten Gewinnschätzungen der Analysten für 2013 errechnet sich für den S&P 500 ein Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) 14. Allerdings ist die Bewertung auf Basis der Schätzungen für ein Jahr problematisch. Historisch die grössere Aussagekraft hat das zyklisch adjustierte KGV – nach dem Yale-Ökonomen Robert Shiller auch Shiller P/E genannt – bewiesen, weil es die Gewinne über zehn Jahre berücksichtigt und die Geschäftszyklen glättet.

Die Shiller P/E des US-Aktienmarktes beträgt derzeit 23, was deutlich über dem langjährigen Durchschnitt von 16 liegt (vgl. Grafik 1). Nimmt man die grossen Baissen des vergangenen Jahrhunderts zum Massstab, dann zeigt sich, dass ein Bewertungsniveau zwischen 20 und 25 in der Shiller P/E jeweils eher den Beginn einer strukturellen Baisse und nicht deren Ende markierte. Die grossen Bärenmärkte (1901 bis 1920, 1929 bis 1932, 1937 bis 1941 und 1966 bis 1981) endeten jeweils erst, wenn das zyklisch adjustierte KGV unter 10 gefallen war (vgl. Grafik 2). Von diesem Niveau ist der Markt heute meilenweit entfernt.

Der New Yorker Hedge-Fund-Manager John Hussman bezeichnet den US-Aktienmarkt in seinem aktuellen Kundenbrief als dermassen überbewertet, dass, wer heute kaufe, über die nächsten zehn Jahre real nicht mehr als 3,8% Rendite pro Jahr erwarten dürfe. Das ist fast die Hälfte der 6 bis 7% Realrendite, die in den vergangenen hundert Jahren normal waren. So betrachtet ist das Signal klar: Nach aller historischen Erfahrung ist es kein guter Zeitpunkt, zum aktuellen Bewertungsniveau den breiten Markt zu kaufen.

«Don’t fight the Fed»

Dennoch stehen Investoren vor einem Dilemma. Ben Bernanke, der Vorsitzende der US-Notenbank, hat in mehreren öffentlichen Auftritten seine Absicht geäussert, die Vermögensmärkte aufzupumpen. In der Tat zeigt sich, dass die Hausse seit 2009 immer wieder Energie aus der Ankündigung neuer, aussergewöhnlicher geldpolitischer Massnahmen schöpfte. Die drei Quantitative-Easing-Programme des Fed sowie Beschlüsse wie die Longer Term Refinancing Operations (LTRO) und die Outright Monetary Transactions (OMT) der Europäischen Zentralbank fachten stets eine neue Rally an den Märkten für Risikoanlagen an (vgl. Grafik 3). «Don’t fight the Fed», lautet eine alte Börsenweisheit, die sich einmal mehr zu bestätigen scheint.

Das Dilemma geht weiter: Die expansive Geldpolitik der Notenbanken hat die Renditen auf Staatsanleihen vieler Länder – trotz teilweise rekordhohen Schuldenstands – auf das niedrigste je verzeichnete Niveau gedrückt. Von Japan über die Schweiz, Deutschland und Grossbritannien bis zu den USA nehmen Investoren über lange Laufzeiten gegenwärtig negative Realrenditen in Kauf, wie der Bostoner Vermögensverwalter GMO errechnet. Das dürfte, was den Bondmarkt betrifft, die grösste Blase aller Zeiten sein. GMO-Gründer Jeremy Grantham fasst es in seinem jüngsten Kundenbrief treffend zusammen, wenn er schreibt: «Dank der Politik des Fed sind wir einmal mehr in der Situation, dass alle Vermögensklassen weltweit überbewertet sind.»

Sollen also Investoren überbewertete Aktien kaufen, mit dem Argument, dass Bonds noch extremer überbewertet sind? Das kann gefährlich sein, denn niedrige Zinsen rechtfertigen nicht unbedingt eine höhere Bewertung am Aktienmarkt. Ende der Vierziger- und Anfang der Fünfzigerjahre, als in den USA die Zinsen letztmals auf annähernd so niedrigem Niveau wie heute notierten, pendelte die Shiller P/E des Aktienmarktes um 10 (vgl. Grafik 1).

Kein Timing-Indikator

Leider ist die Bewertung des Aktienmarktes ein miserabler Timing-Indikator. Der Zustand einer deutlichen Über- oder Unterbewertung kann sich, von Liquidität und Anlegerstimmung getrieben, über Monate, gar Jahre erstrecken. Von 1996 bis Ende 2007 waren Aktien permanent massiv überbewertet. Die einzig historisch greifbare Erkenntnis lautet, dass die Renditen über zehn Jahre in aller Regel unterdurchschnittlich ausfallen, wenn man den breiten Markt im Zustand einer deutlichen Überbewertung kauft – was heute eindeutig der Fall ist.

Dennoch müssen Investoren nicht gänzlich abseitsstehen. Nicht alle Börsen sind gleich hoch bewertet wie die der USA. Europas Peripherie, angeführt von Griechenland und Spanien, weist ein zyklisch adjustiertes KGV von unter 10 aus (vgl. Grafik 4). Auch Frankreich, Österreich und Grossbritannien handeln auf Bewertungsniveaus, die durchaus ansprechende Renditen erwarten lassen. Das Gleiche gilt für Emerging Markets wie Russland und Brasilien. Die Schweiz dagegen ist eher teuer.

Auf Sektorebene lassen sich im Technologie-, im Pharma-, im Energie- und im Rohstoffbereich noch attraktive Opportunitäten finden. Jeremy Grantham von GMO hält zudem Japan sowie die grossen, multinationalen Blue Chips nur für moderat überbewertet, verglichen mit dem «brutal überbewerteten» US-Aktienmarkt.

Angesichts dieser Perspektiven kann es aus Investorensicht durchaus angebracht sein, hohe Cash-Reserven zu halten – auch wenn es schmerzt, die Rally ziehen zu lassen, ohne voll investiert zu sein. Bargeld wirft zwar keine Rendite ab, aber es besitzt einen hohen Optionswert, mit dem bewertungsbewusste Investoren sorgfältig umgehen sollten: Cash verleiht nämlich die Handlungsfähigkeit, zuzuschlagen, wenn sich echte Kaufchancen in Form unterbewerteter Aktien bieten.