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Deftiges aus der Römer Küche

Wird Italiens Staatspräsident Sergio Mattarella den Weg freimachen für eine Regierungsbildung der eurokritischen Kräfte Lega und Cinque Stelle? Wird der Parteilose, Cinque Stelle nahestehende Jurist und Polit-Novize Giuseppe Conte Ministerpräsident? Wird er im Kabinett eingehegt von den Parteichefs Matteo Salvini (Lega Nord) und Luigi Di Maio (Cinque Stelle), die selbst Ministerposten übernehmen und den Premier gerade mal die Sitzungen leiten lassen? Bei Redaktionsschluss am Dienstag war das noch nicht bekannt, die Unterredungen im Quirinals-Palast zogen sich in den Abend hin.

Bekannt ist hingegen, elf Wochen nach den Wahlen, dass die von den beiden rechtspopulistischen (wie immer sich das definiert) Bewegungen angebahnte Koalition in Europas Hauptstädten für Nervosität sorgt. Trotz leerer Kassen bzw. traditionell bedenklich hoher Staatsverschuldung (über 130% gemessen an der Wirtschaftsleistung) gehören zu den Wahlversprechen der Lega bzw. der Cinque Stelle u. a. ein Grundeinkommen für alle und eine Steuersenkung (gemäss einer Flat Rate Tax) sowie die Milderung der Rentenreform von 2012, die das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre anhob.

Defizitregel würde verletzt

Diese vollmundig zugesagten Wohltaten kosten, sofern sie denn ganz oder teilweise umgesetzt werden, Unsummen; Schätzungen schwanken von 20 bis 100 Mrd. € jährlich. Das Haushaltdefizit (das im vergangenen Jahr 2,3% betragen hatte)würde jedenfalls über die gemäss den Maastrichter Regeln geltenden 3% steigen, unter Umständen sogar erheblich; die Commerzbank schreibt in einer Studie von horrenden 7% Defizit gemessen am BIP – es drohte im Extremfall eine Rückkehr der Staatsschuldenkrise. Italien wäre von ganz anderem Kaliber als seinerzeit Griechenland.

Hier geht übrigens vergessen, dass Italien angesichts seines hohen Schuldenstands den Haushaltfehlbetrag eigentlich senken muss und gerade nicht erhöhen darf. Der Kurs der EU-konformen haushaltpolitischen Disziplin, den die Vorgängerregierungen einigermassen einhielten, wird unter einer Stelle-Lega-Regierung, wenn sie denn zustande kommt, jedenfalls nicht fortgesetzt.

Ferner war aus Rom zu vernehmen, dass Italien seinen Beitrag an das Budget der Europäischen Union neu aushandeln, also verringern möchte. Das wird gerade im Vorfeld des Brexit kaum Freude auslösen. Immerhin wurde die dreiste Forderung, die Europäische Zentralbank solle von den angekauften italienischen Staatspapieren 250 Mrd. € abschreiben, unterdessen fallen gelassen. Die EZB und die Banca d’Italia halten addiert gut 340 Mrd. € an italienischen Staatsanleihen. Zudem haben die Koalitionäre angedeutet, Italien könnte, die Währungsunion allenfalls freiwillig verlassen. Insgesamt also üppig Konfliktstoff für den Umgang mit den Euro- und EU-Partnerstaaten.

Der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire hat am Wochenende bereits davor gewarnt, dass eine Missachtung der Schulden- und Defizitvorgaben sowie ein Vernachlässigen der Sanierung des Bankensektors die ganze Eurozone gefährden könnte, was Cinque-Stelle-Chef Di Maio via Twitter umgehend zurückwies.

Die Opera Buffa, die Italiens mächtigste Parteipolitiker derzeit geben – im Kontrast zum umsichtigen Präsidenten Mattarella, dem die sich abzeichnende finanzpolitische Frivolität und die Euroskepsis anscheinend missfallen –, dürfte vor allem den französischen Präsidenten Emmanuel Macron nicht amüsieren. Angesichts der manifesten Unzuverlässigkeit in der künftigen Leitung der drittgrössten Volkswirtschaft der Eurozone wird die geringe Bereitschaft Deutschlands (sowie anderer Staaten im nördlichen Euroraum), auf Macrons Pläne für eine Vertiefung der Währungsunion einzutreten, noch weiter gesunken sein.

Es ist unwahrscheinlich, dass am Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs Ende Juni dazu mehr als nur ein paar Gesten zur Gesichtswahrung beschlossen werden. Es wird wohl nichts mit einer EU-Einlagensicherung, einem EU-Finanzminister mit eigenem Budget, Eurobonds. Die feurige Rede Macrons am 10. Mai, als er in Aachen den Karlspreis entgegennahm, könnte ein letzter (vergeblicher) Appell an Berlin gewesen sein, die Hemmungen vor einer Transferunion zu überwinden. Das Elysée soll stattdessen nunmehr auf eine Offensive für europäische Investitionsvorhaben setzen.

Neuwahlen am Horizont?

Es muss jedoch nicht zwingend als ein Unglück betrachtet werden, wenn sozusagen mit italienischer Schützenhilfe Macrons Pläne abgeschossen werden. Eine Vertiefung der Währungsunion würde nämlich den Druck der Kapitalmärkte auf die nationalen Regierungen dämpfen, die Staatsfinanzen verantwortungsvoll und vertragsgerecht zu führen; sie müssten weniger damit rechnen, durch die Ausweitung der Risikoaufschläge auf Staatsanleihen (Spreads) zur Räson gezwungen zu werden.

Eine Regierung, deren «Chef», bisher eine unbekannte Grösse, nur den beiden wahren Chefs als Mittelsmann dient, kann nicht stabil und dauerhaft sein (vom Anpacken der nötigen schmerzhaften Strukturreformen ist erst gar nicht die Rede). Was auch immer in diesen Stunden und Tagen in Rom beschlossen wird: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Italiener bald, vielleicht noch dieses Jahr neu wählen müssen, ist nicht gering.