Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Das Milizparlament stärken

Die erste Hälfte der Legislaturperiode ist Geschichte – in zwei Jahren finden die nächsten eidgenössischen Wahlen statt. Zunächst fällt auf, dass der vor zwei Jahren je nach Sichtweise bejubelte oder gefürchtete Rechtsrutsch nicht stattgefunden hat.

Das Parlament politisiert nicht weiter rechts als zuvor, eher im Gegenteil. Das belegen etwa die Energiestrategie oder die Altersvorsorge 2020. Beide in ihrem Kern linken Vorlagen fanden im Parlament Mehrheiten.

Weiter hat sich ein seit Jahren anhaltender, eher unterschwelliger Prozess fortgesetzt: Die Qualität der gesetzgeberischen Arbeit verschlechtert sich stetig – ein Befund, der noch mehr zu denken geben müsste.

Beispiele hierfür sind etwa das Geldspielgesetz, in dem Internet-Sperren (Zensur!) verankert werden, die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative, die einen krassen Verfassungsbruch darstellt, oder die Altersvorsorge 2020, die ein notleidendes System ausgerechnet über einen Leistungsausbau sanieren wollte.

Zwei weitere ebenso bedenkliche Trends haben sich bestätigt: Im heutigen Parlament gibt es fast keine Charakterköpfe mehr, die aus der Masse herausragen, sich auch einmal von der Klientelpolitik lösen können und sich am Gesamtinteresse orientieren.

Verfügte in früheren Zeiten fast jede Fraktion ab und zu über derartige Persönlichkeiten, sind sie heute nahezu vollständig verschwunden, zumindest aus dem Nationalrat.

Enormer Zeitaufwand

Zudem verabschiedet sich die Wirtschaft immer mehr von der Politik. Das lässt sich anhand von Daten der Universität Lausanne belegen. Noch vor sechzig Jahren hatten fast 25% der Parlamentarier ein Mandat oder eine Anstellung bei einem der hundertzehn wichtigsten Unternehmen oder einem der sieben wichtigsten Wirtschaftsverbände (inkl. Gewerkschaften).

Vor zwei Jahren waren es gerade noch gut 11%. Davon sind die wenigsten Unternehmer im klassischen Sinne. Dieses Know-how ist im Parlament fast nicht mehr vertreten – das ist fatal.

Die Ursache scheint auf der Hand zu liegen. Der zeitliche Aufwand für ein Parlamentsmandat wird immer grösser. Eine im Mai publizierte Studie der Uni Genf kommt zum Schluss, dass ein Nationalratsmandat einen Zeitaufwand von, gemessen an einer 100%-Stelle, im Durchschnitt 87% erfordert.

Im Ständerat sind es mit 71% unwesentlich weniger. Eine simultane Karriere im zivilen wie im politischen Leben, wie sie früher üblich war, scheint damit kaum mehr vereinbar.

Wer im Zivilleben Karriere machen kann, zieht diese in der Regel derjenigen im politischen Leben vor. Das führt, etwas überspitzt ausgedrückt, zu einer Negativauslese im Parlament.

Allerdings gilt es, diese Zahlen etwas genauer anzuschauen: Die Arbeit in den Organen der Bundesversammlung, inklusive Sitzungsvorbereitung, entspricht in beiden Räten im Mittel ziemlich genau einem 50%-Pensum. Der Rest entfällt auf Aktivitäten in der Öffentlichkeit, den Medien oder der Partei. Da hat der einzelne Parlamentarier Gestaltungsspielraum.

Dieser ist auch im parlamentarischen Bereich grösser, als es zunächst scheint. Die hohe Belastung durch die parlamentarische Arbeit ist in weiten Teilen selbst verursacht. So ist derzeit die unglaubliche Zahl von mehr als 1500 parlamentarischen Vorstössen (Motionen, Postulate, Interpellationen, parlamentarische oder Standesinitiativen) hängig.

Einige zufällig ausgewählte Beispiele belegen, dass viele Themen – höflich formuliert – für das Fortbestehen der Schweiz nicht von zentraler Bedeutung sind: Da gibt es etwa eine Motion «Vorbeugend handeln.

Die Salzmenge in unserer Ernährung reduzieren» oder eine andere zur «Gender-Statistik zur Schweizer Filmförderung». Oder eine Interpellation mit dem Titel «Buchhandlungen.

Ist der Bundesrat bereit, diesem wichtigen Akteur zu helfen?»; gefordert wird auch ein «Nationales Sorgentelefon für Lehrlinge».

Die Liste liesse sich beliebig verlängern. Die Vorstösse zeichnen sich durch ein paar Gemeinsamkeiten aus: Sie verlangen in ihrer Mehrheit neue Regulierungen, Verbote oder Gebote, und sie führen zu weiterer Bevormundung der Bürger.

Ein anderer, wesentlicher Teil dient der Bewirtschaftung der Klientel des betreffenden Parlamentariers – er/sie will ja wieder gewählt werden. Vorstösse, die zu einer Deregulierung führen würden, müssen dagegen mit der Lupe gesucht werden.

Damit ist es nicht getan: Seit der Wintersession 2011 wurden zudem 253 Kommissionsvorstösse sowie 459 Fraktionsvorstösse eingereicht. All diese Vorstösse absorbieren nicht nur die Verwaltung, sondern auch die Kommissionen und damit die Parlamentarier.

Darüber hinaus leistet sich vor allem der Nationalrat regelmässig Monsterdebatten zu Themen, in denen es gar nichts zu entscheiden gibt. So haben sich etwa 69 Redner in der Debatte über die Abstimmungsempfehlung zur «No Billag»-Initiative zu Wort gemeldet; die Debatte dauerte mehrere Stunden und musste auf zwei Tage verteilt werden.

Zur «Rasa-Initiative» waren 34 Wortmeldungen und eine mehr als fünfstündige Debatte zu verzeichnen, und im Juni 2014 meldeten sich 62 Redner zur «Ecopop-Initiative» zu Wort – auch diese Liste liesse sich verlängern.

Der Erkenntnisgewinn derartiger Debatten strebt jedoch gegen null, die Meinungen sind längst zuvor gemacht, die Argumente wiederholen sich in stets anderen Formulierungen. Ein grosser Teil der dafür aufgewendeten Zeit könnte für andere Geschäfte verwendet werden.

Polarisierung und Showeffekte

Die Suche nach dem Showeffekt in der Politik ist auch der seit Jahren anhaltenden Polarisierung geschuldet. Mit dem Erstarken der SVP haben sich je ein Pol zur Linken (SP und Grüne) und zur Rechten gebildet.

Sie sehen sich in einem permanenten Wahlkampf, die Auseinandersetzung wird im Wesentlichen über Schlagworte und politische Parolen statt über sachliche Argumente geführt. Diese sind in der Regel weniger attraktiv und garantieren weder Schlagzeilen noch Einschaltquoten.

Die Richtung ist klar: Das Parlament entwickelt sich schleichend weg von einem Miliz- hin zu einem Berufsparlament. Immerhin: Rund 80% der Abgeordneten haben noch eine zivile Beschäftigung.

Die Zahl der Berufspolitiker steigt jedoch stetig – vor allem auf der linken Seite des politischen Spektrums. Die Forderungen nach der Umstellung auf ein Berufsparlament kommen denn auch in erster Linie aus dieser Ecke.

Diesen Trend gilt es zu stoppen. Die in der Vergangenheit feststellbare Professionalisierung der Politik im Sinne eines immer höheren zeitlichen Aufwands für die Gewählten ist nicht mit einer Steigerung der Qualität der parlamentarischen Arbeit einhergegangen, eher im Gegenteil.

Zudem bringt ein Berufsparlament einen gewichtigen Nachteil mit sich: Mit Berufsparlamentariern wird eine Politikerkaste geschaffen, die rasch den Kontakt zur Basis verliert, die Probleme in den Niederungen des Alltags sind den Profis immer weniger geläufig.

Zudem dürfte ein Berufsparlament die Tendenz zum Sesselkleben verstärken: Der typische Berufsparlamentarier wird sein Amt, sein Ansehen und sein finanzielles Auskommen so lange wie möglich bewahren wollen.

Es gibt kein Patentrezept, um den schleichenden Trend zu einem Berufsparlament zu stoppen. In erster Linie sind die National- und die Ständeräte selbst gefordert.

Sie können sich sehr wohl entlasten: Die Flut von Vorstössen kann ohne jede Einbusse für das Gemeinwohl massiv reduziert werden. Zudem sinkt die Belastung auch, wenn auf die angesprochenen unnützen Monsterdebatten verzichtet wird.

Gefordert ist aber auch die Wirtschaft. Sie muss es vermehrt wieder ermöglichen, dass motivierte und fähige Leute aus den Top-Etagen die zeitliche Möglichkeit haben, sich parallel in der Politik zu engagieren. Die Wirtschaft muss ein vitales Interesse daran haben, dass ihre Stimme in der Politik wieder vermehrt wahrgenommen wird – und zwar durch direkte Vertreter im Parlament, nicht unbedingt durch Verbandsfunktionäre.

Newsletter

FuW – Das Wochenende

Erhalten Sie zum Wochenende handverlesene Leseempfehlungen der Redaktion.