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Das italienische Puzzle

Auf der einen Seite: die Anführer der beiden Parteien, die die italienischen Wahlen gewonnen und sich auf die Bildung einer Regierung geeinigt haben. Auf der anderen: der Finanzminister, kein Politiker, sondern ein eher unbekannter Wirtschaftsprofessor.

Nirgendwo zu sehen: der Ministerpräsident, auch er übrigens kein Politiker. Wer wird in den kommenden Monaten die Wirtschaftspolitik bestimmen? Eine Frage von entscheidender Bedeutung.

Italiens Regierungsduo Matteo Salvini und Luigi Di Maio – sie haben sich als stellvertretende Ministerpräsidenten eingesetzt – ist vereint in seiner harschen Kritik am Euro. Davon abgesehen sind die beiden in kaum einer Frage gleicher Meinung. Dennoch haben sie es geschafft, sich auf ein Wirtschaftsprogramm zu verständigen.

Es umfasst massive Einkommenssteuerkürzungen (das progressive System soll durch eine Flat Tax ersetzt werden) und ein universelles «Bürgereinkommen», die Einstellung von 10’000 Staatsangestellten sowie die Senkung des Pensionsalters bei gleichzeitiger Erhöhung der Renten. Bereits rückgängig gemacht wurde die wichtigste Reform der letzten zehn Jahre in Italien, Matteo Renzis Arbeitsmarktreform, die einem der rigidesten Arbeitsmärkte der Welt ein wenig mehr Flexibilität verschafft hatte. Setzen Salvini und Di Maio auch nur einen Bruchteil ihres Programms in die Tat um, versinkt Italien in einer tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise.

Finanzminister Giovanni Tria ist bestrebt, ein gewisses Verantwortungsbewusstsein zu demonstrieren. Die Haushaltsdisziplin, so versichert er, werde hochgehalten. Wegen des Wirtschaftsabschwungs, den Italien etwas mehr zu spüren bekommt als die meisten anderen Euroländer, deutet sich bereits ein Anstieg des Budgetdefizits an, allerdings in moderatem Ausmass. Den will Tria offenbar tolerieren – mehr aber nicht. Wie also will er die Versprechen seiner politischen Chefs umsetzen?

Zwischen Verzweiflung und Wunschdenken

Das werde er, beteuert Tria: dank der Wachstumsbeschleunigung, die, ohne Zweifel, kurz bevorstehe. Spielraum schaffen will er überdies, indem die Staatsausgaben eingeschränkt und die unzähligen Steuerschlupflöcher gestopft werden.

Der klassische Optimismus eines schwachen Finanzministers also, der eine Wachstumserholung verspricht und beteuert, den Haushalt unter Kontrolle zu halten, wo die Vorgänger gescheitert sind. Zudem werde die politische Führung ja Verständnis haben, so Trias Zuversicht, dass «Rom nicht an einem Tag erbaut werden» könne.

Die italienischen Eliten – denen die Wähler eine harsche Abfuhr erteilt haben, ähnlich wie die denen in den USA, Grossbritannien, Deutschland, Österreich, Ungarn, Polen usw. – schwanken zwischen Verzweiflung und Wunschdenken. Nach dem Wahlausgang hoffte man, der Präsident rufe Neuwahlen aus und ermögliche so ihre Rückkehr an die Macht.

Dann, Salvini von der rechtspopulistischen Lega und Di Maio von der linken Anti-Establishment-Bewegung Cinque Stelle würden keine gemeinsame Regierung zustande bringen, was den Weg für eine Minderheitsregierung der gemässigten Rechten und Linken geebnet hätte.

Nun vertraut man auf Trias Überzeugungskraft: Man setzt darauf, dass Matteo Salvini, das Alpha-Männchen des Regierungsduos, alle Hände voll zu tun haben wird mit spektakulären Massnahmen gegen die Einwanderung, zur Freude seines Elektorats. Damit wiederum wäre Luigi Di Maio, der den Grossteil des ökonomischen Nonsens zum vereinbarten Wirtschaftsprogramm beigetragen hat, allein nicht mehr in der Lage, genug Druck auf den Finanzminister aufzusetzen.

«Griechisches» Szenario?

Diese Rechnung mag aufgehen – oder auch nicht. Denn der Deal könnte auch so aussehen: Salvini bekommt freie Hand in der Einwanderungsfrage, Di Maio bestimmt die Wirtschaftspolitik. Vor der Wahlkampagne sprachen sich beide für den Austritt zuerst aus dem Euro, danach aus der EU aus.

Dann wurde der Ton gemässigter; es galt, keine Wähler zu vergraulen, immerhin ist Italien mit den Römischen Verträgen Gründungsmitglied der Europäischen Gemeinschaft. Doch zum Italexit führen zwei Wege: Die italienische Regierung kann den Austritt beschliessen, nach Vorbild der Briten, oder aber Italien wird im Lauf einer heftigen Finanzkrise ausgeschlossen. Das Regierungsprogramm führt geradewegs auf diesen zweiten Pfad.

Dann sieht das Szenario wie folgt aus: Die versprochenen Reformen werden umgesetzt. Das Haushaltsdefizit steigt. Die EU-Kommission fährt ihr bürokratisches Arsenal auf, an den Märkten macht sich Angst breit. Für die Regierung wird es immer teurer, Geld aufzunehmen, und ihre Anleihen verlieren an Wert.

Die italienischen Banken, die direkt oder indirekt fast 70% dieser Papiere halten und ohnehin in schwacher Verfassung sind, bekunden Mühe, die Verluste zu absorbieren. Wegen Deutschlands Widerstand in den vergangenen Jahren kennt die Eurozone keine kollektive Garantie für Bankeinlagen, deshalb fürchten die italienischen Bankkunden um ihr Geld und ziehen grössere Summen von ihren Konten ins Ausland ab, darunter auch in die Schweiz.

Italien sieht sich mit der verhängnisvollsten Situation konfrontiert, einer Kombination von Schulden- und Bankenkrise. Ähnlich wie Griechenland 2010, aber mit einem bedeutenden Unterschied: Italien ist um ein Vielfaches grösser.

Eine Bankenkrise würde das gesamte Finanzsystem erschüttern, Italien muss also auf die eine oder andere Weise gerettet werden. Doch der Rettungsfonds der Eurozone, der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), dürfte mit seinen rund 500 Mrd. € an verfügbaren Mitteln dafür zu klein sein.

Die Europäische Zentralbank (EZB) verfügt theoretisch über uneingeschränkte Mittel. Gut möglich aber, dass sie nur einspringt, wenn Italien vorher einen Kredit des ESM erhält. Dessen Hilfen sind jedoch an Bedingungen geknüpft. Die italienische Regierung müsste als Teil der Auflagen im Wesentlichen wohl alles rückgängig machen, was sie bis dahin umgesetzt hat. Würde sie das?

Die Finanzmärkte werden genau beobachten

Dieses Szenario haben alle vor Augen – und deshalb wird es wohl nicht Realität. Niemand will an den Punkt kommen, an dem die angesprochene Frage tatsächlich beantwortet werden muss: die Europäer nicht, auch nicht die Banken, die italienische Öffentlichkeit ebenso wenig. Wir wissen nicht, ob Italiens Regierung gern die Gelegenheit nutzt, die EU zu verlassen.

Die Geschehnisse nach dem Wahlsieg der linkspopulistischen Syriza in Griechenland mögen abschreckend wirken: Ihr erster Finanzminister, Professor Yanis Varoufakis, durfte sich ein paar Monate in Provokationen ergehen. Als es wirklich brenzlig wurde, musste er den Hut nehmen.

Seither ist Premierminister Alexis Tsipras einer der fügsamsten Kunden des ESM. Vielleicht müsste die Frage ja lauten: Was würden Sie tun, wenn Sie Salvini und Di Maio wären? Bloss: Sie können ja nicht beide sein. Und ohnehin weiss wohl keiner der beiden, was er denn tun wird.

Wo stehen wir also? Wir starren auf ein Durcheinander aus den Teilen eines riesigen Puzzles. Schon bald wird es ans Zusammensetzen gehen müssen, und ein Bild wird erkennbar werden: Alle Akteure beziehen Position. Italiens politische Führung beginnt, ihre Wirtschaftspolitik zu skizzieren und ihre Absichten zu präzisieren.

Die übrigen Regierungen in der EU müssen entscheiden, was akzeptabel ist, was nicht in Frage kommt. Die Europäische Kommission wird laufende und künftige Entscheidungen der italienischen Regierung formell evaluieren.

Die EZB signalisiert, wie weit sie gehen kann, falls Italiens Bankensystem Schiffbruch erleidet. Die Finanzmärkte werden beobachten, welches Bild sich da abzuzeichnen beginnt. Und mögen sie nicht, was sie sehen – dann ist die nächste Krise schon da.

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