Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Das Ende ist erst der Anfang

Besser ein Ende mit Schrecken, mag sich das Direktorium der Schweizerischen Nationalbank (SNB) gedacht haben, als es am Donnerstag den Mindestkurs von 1.20 Fr./€ aufgab. Niemand hatte damit gerechnet. In letzter Zeit wurde in der Öffentlichkeit zwar  über die Zukunft der Währungspolitik diskutiert. Experten schlugen eine Verschiebung der Untergrenze in die eine oder andere Richtung vor. Oder sie empfahlen, als Alternative einen Währungskorb einzuführen, um auf diese Weise die einseitige Abhängigkeit der Schweizer Geldpolitik vom Euro zu verringern. Stets stand dabei aber die Fortsetzung einer Kursanbindung im Vordergrund, nicht zuletzt, um das Land vor einer Deflationsspirale zu schützen.

Dass die Zentralbank den Mindestkurs nun ganz über Bord geworfen hat, versetzt die Nationalbank in akuten Erklärungsnotstand. Warum löste sie die Reissleine, und warum gerade jetzt? Überzeugende Antworten auf diese Fragen sind essenziell, damit die Nationalbank glaubwürdig bleibt. In den Augen der Märkte hat sie in diesem Punkt merklich eingebüsst.

SNB-Präsident Thomas Jordan tat am Donnerstag sein Bestes, um den spektakulären Schritt zu begründen und die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen. Vollends zu überzeugen vermochte er dabei jedoch nicht. Er verwies auf die Geld- und Zinspolitik der Europäischen Zentralbank und des amerikanischen Federal Reserve, die in entgegengesetzte Richtungen liefen. Die Konstellation führe dazu, dass sich der Euro zum Dollar deutlich abwerte, wodurch sich auch der Franken zum Dollar abschwäche. Vor diesem Hintergrund sei es nicht mehr zu rechtfertigen gewesen, den Euro über 1.20 Fr. zu halten. Jordan beschrieb die Mindestkurspolitik als nicht mehr nachhaltig. Sie ergebe keinen Sinn mehr.

Dass der Ausstieg so überraschend umgesetzt wurde, liege in der Natur der Sache: Er sei – genauso wie ein Einstieg – nur als Paukenschlag möglich. Niemand dürfe davon wissen, niemand ihn erahnen. Nur so liessen sich Insidergeschäfte und endlose Spekulationen vermeiden. Der Markt reagiere kurz und heftig, überschiesse zu Anfang und pendle sich dann auf einem neuen Niveau ein. Lieber ein Ende mit Schrecken also als ein Schrecken ohne Ende.

Vor den Marktkräften kapituliert

Die SNB hat mit ihrem konsequenten Schritt Mut bewiesen. Sie entschied sich gegen halbe Sachen, wie es beispielsweise eine Anbindung an einen Währungskorb zwangsläufig gewesen wäre. Sie tat dies allerdings, weil sie währungspolitischen Experimenten inzwischen selbst misstraut. Dahinter verbirgt sich eine schreckliche Erkenntnis: Die Nationalbank droht zwischen den beiden Währungsgiganten Euro und Dollar zerrieben zu werden. Vor allem vor dem anstehenden QE-Programm der Europäischen Zentralbank fürchten sich die Währungshüter. Schon bald wird die EZB Euroanleihen in grossem Stil aufkaufen und damit massiv Liquidität schaffen, um den Euro zu schwächen.

Noch vor einem Monat schwor die Nationalbank, dagegen mit aller Konsequenz vorzugehen, um den Mindestkurs zu verteidigen. Und alle glaubten ihr. Sie intervenierte im Dezember auch tatsächlich. Milliarden wendete sie für Eurozukäufe auf und führte sogar einen leicht negativen Leitzins ein. Aber es gelang ihr nicht, den Wechselkurs höherzuhieven. Er notierte weiter unmittelbar an der Untergrenze von 1.20 Fr./€. Dass sie den Mindestkurs nun fallen lässt, kommt einem Scheitern ihrer Fähigkeit gleich, diesen zu verteidigen. Die deutsche Commerzbank spricht von Kapitulation, und damit vielen Marktteilnehmern aus dem Herzen.

Gegen diesen Vorwurf wandte sich die SNB am Donnerstag: Die Mindestkurspolitik sei immer nur eine vorübergehende Aktion in einer ausserordentlichen Krisenphase gewesen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Die Nationalbank hat den optimalen Zeitpunkt für einen Ausstieg verpasst. Er bot sich, als die akute Euroschuldenkrise überwunden war. Die Gefahr, dass die Währungsunion auseinanderbricht, bestand spätestens 2013 nicht mehr, und damit verschwand auch das Risiko, dass die Schweiz in eine Deflationsspirale stürzt. In jener Zeit wandelte sich die Mindestkurspolitik mehr und mehr in eine staatlich sanktionierte Exportförderung. Statt eines Katastrophenschutzes bot sie eine Schönwettergarantie für einen – wenn auch wichtigen – Zweig der Wirtschaft. Und der Mindestkurs bot vermeintlich Schutz auf viele Jahre hinaus. Die Nationalbank strickte an dieser Legende fleissig mit.

Die volkswirtschaftlichen Konsequenzen des plötzlichen Rückzugs sind gewaltig. Der Euro ist am Donnerstag 14% auf 1.03 Fr. gefallen. Damit wiederholt sich der Kurssturz vom Sommer 2011, der die Nationalbank überhaupt erst dazu gebracht hatte, den Mindestkurs einzuführen. Die massive Aufwertung wird Schweizer Anbietern schwer zu schaffen machen. Industrieunternehmen verlieren im Export an Wettbewerbsfähigkeit, der Detailhandel wird durch das Wochenendshopping jenseits der Landesgrenze Umsatzeinbussen erleben, und die Tourismusbranche muss sich auf einen beträchtlichen Nachfragedämpfer gefasst machen. Konjunkturforscher rechnen mit einem wirtschaftlichen  Einbruch. Statt eines robusten Wachstums prophezeien sie nun Stagnation sowie Inflation weiter unter null.

Vom Mindestkurs zur Minuszinspolitik

Vor allem ist ungewiss, wie wirksam die neue Geldpolitik sein wird. Die Nationalbank kehrte am Donnerstag zwar zu einer Zinspolitik zurück, doch sie teilte gleichzeitig mit, auch künftig den Wechselkurs beeinflussen zu wollen. Die bisherigen Erfahrungen legen nahe, dass sie sich allerdings diesmal zurückhalten und es dem Markt überlassen wird, ein neues Gleichgewichtsniveau für den Franken zum Euro und zum Dollar zu finden. Die SNB hat dazu den Leitzins weit unter null fixiert, sodass Spekulationsgelder in Franken teuer und unattraktiv werden. Das wird künftig ihr Hauptinstrument sein.

Auf Devisenkäufe dürfte die Notenbank so weit wie möglich verzichten. Nur zu oft haben sie sich in der Vergangenheit als untauglich erwiesen. Es hat sich gezeigt, dass es nicht genügt, Spekulationsattacken in den Franken zu bekämpfen, indem die SNB de facto nur gegenspekuliert und Franken verkauft. Den Spekulanten müssen vielmehr finanzielle Schmerzen bereitet werden, also hohe Kosten, indem möglichst hohe Minuszinsen verhängt werden. Die Nationalbank wird künftig diese Verteidigungsstrategie verfolgen, sollte es ernst werden. Erinnerungen an die Siebzigerjahre werden wach, als per Bundesbeschluss ausländische Neugelder mit Negativzinsen von bis zu –10% bzw. einer entsprechenden Abgabe belastet wurden. Aber vor allem wird sich die Nationalbank überhaupt zurückhalten und eine Frankenaufwertung zulassen. Sie kann es sich nicht leisten, sich noch einmal die Finger zu verbrennen.

Die dreieinhalbjährige Mindestkurspolitik und ihr jähes Ende sind auch ein Lehrstück über die Grenzen moderner Geldpolitik. Zentralbanken sind inzwischen mit Aufgaben überfrachtet, intervenieren am Markt und betreiben Konjunkturpolitik, wie es vor nicht allzu langer Zeit undenkbar war. Vieles davon lässt sich ökonomisch rechtfertigen, manches ist ganz einfach überzogen. Notenbanken sind jedoch nicht allmächtig, wenngleich das mancher Wirtschaftsvertreter und manche Regierung gerne hätten. Die Bilanz einer Zentralbank lässt sich zwar grenzenlos erweitern, und damit scheinbar auch ihre Interventionsfähigkeit, doch das einzige Kapital, auf das sich eine Notenbank wirklich berufen kann, ist ihre Glaubwürdigkeit. Sie hängt davon ab, dass einmal getroffene Versprechen auch eingehalten werden.

Eine Zentralbank leiste langfristig am meisten für eine gedeihliche Wirtschaftsentwicklung, wenn sie konsequent zu hohen Erwartungen entgegentrete, sagte Thomas Jordan vor einem Jahr. Er legte damit bereits den Massstab fest, an dem sich die neue geldpolitische Phase nach der Mindestkurspolitik orientieren sollte.